Rassismus revers – oder wie ich zum „Nazi“ wurde

Ideologie bringt die Menschen zu erstaunlichen Logik-Purzelbäumen: In ein und demselben Artikel behauptete gestern ein Kollege im Tagesspiegel schon in der Überschrift, es gebe keinen Rassismus gegen Weiße, aber schrieb dann weiter unten im Text: „Weiße können durchaus die Erfahrung machen, als Minderheit benachteiligt zu werden“. Für mich ist das ein Kapern von Begriffen und beleidigt die Intelligenz der Leser.

Die linke akademischen Definition von „Rassismus“ halte ich für Unsinn: Da wird der Begriff einfach so abgegrenzt, dass nur das darunter fällt, was einem ins stramm ideologische Weltbild passt. Für mich ist Rassismus jede Form der Benachteiligung oder Vorurteilen gegenüber jemanden aufgrund seiner Nationalität oder seine Hautfarbe und diverser anderer Merkmale, bis hin zu Akzent oder Dialekt.

Im weitesten Sinne fällt damit für mich auch unter Rassismus, was ich 2017 in Berlin in der Fußgängerzone erlebte – wo eine alte Dame (und ich quasi im Schlepptau gleich mit) als „Nazis“ beschimpft wurden, nur weil sie einen mutmaßlichen Fahrraddieb zur Rede stellte (und ich sie unterstützte, als der gegen sie aggressiv wurde). Erstaunlich waren die Reaktionen, als ich damals über den Vorfall auf facebook berichtete: Auch da musste ich mich heftig attackieren lassen. Ich sei „voreingenommen“, hieß es. Habe Vorurteile. Wenn es „voreingenommen“ und ein „Vorurteil“ ist, wenn man einen heruntergekommenen Mann mit einer Beißzange und einem aufgebrochenen Fahrradschloss mit einem teuren Damenfahrrad, dass ihm viel zu groß ist, zur Rede stellt, dann ist offenbar „Unvoreingenommenheit“ und „Vorurteilsfreiheit“ heutzutage nichts anderes als völlige Verblödung. Nachdem die Polizei anhand meines Berichts Ermittlungen aufnahm, stellte sich übrigens heraus, dass der Mann polizeibekannt war. Und zwar einschlägig.

Aber bevor ich erzähle, warum mich dieses Erlebnis prägte und ich im Nachhinein sogar dankbar dafür bin, hier die ganze Geschichte – in meinem Original-Post von facebook:

Straßenkampf in Berlin, am helllichten Tag: Ein Mann mit Rad brüllt eine ältere Passantin wie wild an in der Wilmersdorfer Straße, droht sie zu attackieren. Alle laufen vorbei, als würden sie nichts sehen. Als ich nachfrage, was los ist, zeigt sie auf den Bolzenschneider, den der Mann im Fahrradkorb liegen hat: „Der hat gerade das Schloss aufgeschnitten, klaut das Fahrrad, und ich habe gesagt, das geht doch nicht.“ Der Mann schreit wild, radebrechend: „Mein Rad!“ Ein neuwertiges Damenfahrrad, dessen Sitz fast auf Höhe seiner Brust ist, mit durchgetrenntem Zahlenschloss. „Nazi“, schreit er die Frau auf einmal an. Erst jetzt bleiben Passanten stehen, mischen sich ein. Sie verteidigen den Mann, attackieren die Frau: „Vielleicht ist es ja sein Fahrrad! Lassen Sie ihn in Ruhe“. Er schreit immer weiter in Richtung der Frau und mir: „Nazi Du!“ Andere Fußgänger kommen dazu, schimpfen auf die Frau, die der Mann bedroht: „Stalken Sie ihn nicht! Er sagt doch, es ist sein Fahrrad.“ Er schiebt das Rad, das ganz offensichtlich viel zu groß ist für ihn, mitsamt dem Bolzenschneider davon, immer noch laut auf die Frau schimpfend. Die lässt ihren Kopf hängen: „Sind hier alle verrückt geworden?“

Die immer freundlichen Obsthändler um die Ecke sind konsterniert. „Wir hätten uns ja gerne eingemischt, aber der Kontaktbeamte der Polizei hat uns gesagt – nie einmischen, wenn irgendwas abgeht hier.“ Sie schütteln den Kopf: Zivilcourage sei leider polizeilich verboten in Deutschland. „Schon merkwürdig bei Euch hier“, sagen sie.

Nach der heute vorherrschenden, in meinen Augen manipulierten Definition von Rassismus hat das, was die alte Dame und am Rande auch ich erlebte – das Beschimpfen als „Nazi“ aufgrund der – in diesem Fall deutschen – Nationalität und das sofortige positive Aufgreifen dieser Diffamierung durch vorher teilnahmslose Passanten auch etwas mit Rassismus in seinem ursprünglichen Sinne zu tun. Und ebenso die massiven Vorwürfe, die ich mir später dafür anhören musste, dass ich es wagte, diese Geschichte überhaupt öffentlich zu machen. Für mich was das ein entscheidender Moment auf meinem Weg dahin, nach meiner Rückkehr nach 16 Jahren Russland 2012 zu begreifen, wie viele Dinge in unserem Land geradezu pervertiert sind. Im Nachhinein muss ich dem Mann mit dem geknackten Fahrradschloss also geradezu dankbar sein. Er hat mir geholfen, die Augen für die Realität zu öffnen. Die viel weiter fest verschlossen halten. Aus Angst, dass die Realität ihr Weltbild ins Schwanken bringen könnte.

Hier noch mein PS zu dem Facebook-Text von 2017:

P.S.: Ich habe gesehen, dass in einer facebook-Gruppe massiv über meinen Bericht hergezogen wird. Tenor: „tendenziös“, „manipulierend“. Frei nach Hegel: Wenn die Tatsachen nicht mit meiner Überzeugungen übereinstimmen – umso schlechter für die Tatsachen.

Viele glauben ganz offenbar, man dürfe Missstände nicht thematisieren und aufgreifen. In meinen Augen hat das etwas kleinkindliches: fest die Augen zumachen, und was ich nicht sehe, ist auch nicht da.

Ich bin fest überzeugt: Gerade Wegsehen und Verschweigen stärkt die Radikalen und die Feinde der Demokratie. Wenn der Staat sich immer schwerer tut, Recht durchzusetzen, und das toleriert wird, geht es an die Grundfesten der Gesellschaft. Missstände müssen benannt und angegangen werden, und zwar von den Demokraten. Wir haben da massive Defizite in Deutschland, auch große Teile der Medien. Wenn wir da nicht umschwenken, wenn wir die Probleme nicht beim Namen benennen und schönschreiben, machen wir die Ränder noch massiv stärker….

P.P.S.: Kaum habe ich das hier gepostet, schon schrieben mir mehrere Leser, dass sie ähnliches erleben.


Bilder: Pxhere, Pixabay

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