Stellen Sie sich vor, Sie fahren zur Arbeit und stehen jeden Morgen im Stau, weil die Straßen überfüllt sind. Beim Arzt müssen Sie wochenlang auf einen Termin warten und die Miete für Ihre Wohnung ist in den letzten Jahren explodiert. Die Ursachen? Für viele Bürger klar: Eine Infrastruktur, die nicht mehr mit der wachsenden Bevölkerung Schritt hält. Zumal die Politik bis vor gar nicht allzu langer Zeit von einem Bevölkerungsschwund ausging und entsprechend plante. Doch in einem aktuellen Tweet behauptet der Linken-Politiker Janis Ehling das Gegenteil: Es sei „fast schon ein schlechter Witz“, dass „der Ausländer“ für Probleme wie Wohnungsmangel, lange Wartezeiten und hohe Mieten verantwortlich gemacht werde.
Zunächst wollte ich auf diesen Tweet mit einem kurzen Gegentweet antworten: „Die Realitätsverweigerung bei vielen Linken ist phänomenal. Dass eine Infrastruktur, die für 80 Millionen geschaffen ist, durch massiven Zuwachs auf 85 Millionen in Probleme kommt, ist reine Mathematik und hat nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun.“ Doch dann dachte ich: Dieses Thema ist zu ernst für einen kurzen Schlagabtausch auf Twitter. Es geht um weit mehr als einen missglückten Tweet. Es gibt unendlich viele solcher Tweets, auf die man täglich, wenn nicht stündlich stößt. Es geht dabei um das fundamentale Problem der Realitätsverweigerung bei vielen rot-grünen Politikern und Journalisten.
Ein besonders anschauliches Beispiel für diese Realitätsverweigerung zeigte sich kürzlich bei der „Maischberger“-Sendung in der ARD. Dort traf die „Spiegel“-Vize-Chefredakteurin Melanie Amann auf den ehemaligen Tagesschau-Moderator Ulrich Wickert. Während Wickert aus seinem Leben in Hamburg berichtete und schilderte, dass Frauen sich am Jungfernstieg nicht mehr sicher fühlen, stellte Amann dies prompt infrage und versuchte sogar, das ARD-Schwergewicht lächerlich zu machen. Sie fragte, ob seine Berichte nicht nur von „anekdotischer Evidenz“ seien und unterstellte Wickert indirekt, er verbreite eine unbewiesene Behauptung. Als Wickert daraufhin auf lokale Medienberichte verwies, die über die Sicherheitsprobleme an Hamburgs Vorzeige-Flaniermeile berichteten, wollte Amann das nicht gelten lassen. Realitäts-Allergie im Endstadium (siehe meinen Bericht hier).
Auch dieses Beispiel zeigt, wie meilenweit große Teile der rot-grünen Elite von der Realität entfernt sind. Man macht es sich bequem in der Blase der eigenen Überzeugungen, wo jedes Problem, das nicht ins eigene Weltbild passt, einfach ignoriert oder kleingeredet wird. Man lebt in den besseren Vierteln der Städte, mit Tiefgarage, Geld fürs Taxi oder gar Fahrer, die Kinder gehen in Privatschulen – und mit der Realität der einfachen Leute kommt man kaum in Berührung, wie Ex-Ministerin Kristina Schröder kürzlich dramatisch ausführte (siehe hier). Wer die Realität anspricht, wird als „populistisch“ oder „rechts“ abgestempelt. Meist auf aggressive Weise – in der Psychologie eine bekannte Reaktion darauf, wenn man auf Verdrängtes angesprochen wird.
Was Politiker wie Ehling verkennen: Die Auswirkungen massiver Zuwanderung auf eine überlastete Infrastruktur sind keine Meinungssache, sondern reine Mathematik. Seit 2015 ist die Bevölkerung Deutschlands um fast fünf Millionen Menschen angewachsen, überwiegend durch Migration. Doch die Straßen, Krankenhäuser, Schulen und Wohnungen des Landes sind eben, wie bereits erwähnt, nicht auf 85 Millionen Menschen ausgelegt. Das aktuelle Missverhältnis führt unweigerlich zu Belastungen und Problemen. Erschwerend kommt hinzu: Lange Zeit ging die Politik zudem von einer Schrumpfung unserer Bevölkerung aus – und plante entsprechend. So wurden etwa die Sicherheitsapparate lange zurückgefahren, wie mir ein hochrangiger Behördenleiter vor einigen Jahren klagte. Es wurde viel zu spät umgesteuert.
Dass Ehling und andere Politiker Kritik an diesen Zuständen als „Ethnisierung des Sozialen“ abtun, zeigt die Ignoranz gegenüber den realen Herausforderungen, denen sich die einfachen Bürger, die weniger privilegiert sind als Politiker und viele Journalisten, täglich stellen müssen. Es geht eben nicht um „den Ausländer“, sondern um die Tatsache, dass eine Infrastruktur, die nicht mitwächst, unter dem Druck einer wachsenden Bevölkerung zusammenbricht. Man muss nur einmal in eine Notaufnahme einer Klinik in einem Ballungsraum (und nicht nur da), um das am eigenen Leib zu erleben.
Indem linke Politiker wie Ehling die realen Auswirkungen der Migration auf die Infrastruktur ignorieren, spielen sie den radikalen Kräften in die Hände, die genau diese Themen aufgreifen. Denn die Bürger sehen die Probleme – sie erleben sie täglich. Sie sehen die überfüllten Schulen, die explodierenden Mieten und die überlasteten Arztpraxen. Wenn ihnen von der Politik eingeredet wird, dass diese Probleme nicht existieren oder nichts mit der Zuwanderung zu tun haben, führt das zwangsläufig zu Frust und Misstrauen.
Dieser Frust treibt immer mehr Menschen in die Arme von Parteien, die sich trauen, die Probleme beim Namen zu nennen. Dafür werden sie dann von den Realitätsverweigerern als „Nazi“ beschimpft. Wir haben es hier mit einem Teufelskreislauf zu tun. In Dänemark zeigen die dortigen Sozialdemokraten mit ihrer knallharten Migrationspolitik, dass auch linke Parteien anders können. Nur offenbar nicht in Deutschland.
Das Erstarken der Parteien, die als „radikal“ diffamiert werden, aber oft einfach nur die Probleme ansprechen, die die anderen ignorieren, ist also nicht die Schuld der Bürger, sondern das Ergebnis der Realitätsverweigerung der etablierten Politik. Wenn Linke wie Ehling die Augen vor der Realität verschließen, schaden sie nicht nur ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, sondern gefährden auch den sozialen Zusammenhalt.
Es ist höchste Zeit, dass Politiker aufhören, die Realität zu leugnen.
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, rechnete gerade erst in einem Interview mit der einer der großen Lebenslügen der rot-grünen Ideologen in Politik und Medien ab: Deutschland sei nicht verpflichtet, jeden Asylbewerber aufzunehmen, der an der Grenze das Wort „Asyl“ ausspricht. Eine Zuwanderung ohne Grenzen überfordere den Staat und verstoße gegen den Sinn des Asylrechts (siehe hier).
Die Probleme, die durch die massive Zuwanderung entstehen, lassen sich nicht mit ideologischen Scheuklappen lösen. An deren Stelle braucht es dringend einen klaren Blick auf die Fakten: Deutschland kann nicht weiterhin so tun, als ob es keine Grenzen für den Zuzug gäbe – und als ob die Infrastruktur endlos belastbar sei. Wir brauchen eine Politik, die sich an den Fakten orientiert – und die bereit ist, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Andernfalls wird es unsere Gesellschaft zerreißen und zerstören.
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