Satire oder Ernst? Jens Spahns scheinheiliger Versuch, sich reinzuwaschen Ex-Gesundheitsminister geriert sich als Moral-Apostel

Von Daniel Weinmann

„Wir werden einander viel verzeihen müssen: Wie die Pandemie uns verändert hat – und was sie uns für die Zukunft lehrt. Innenansichten einer Krise“, überschrieb Jens Spahn sein Buch. Mit den Worten „wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich einander viel verzeihen müssen“ bat der damalige Gesundheitsminister im April 2020 um Verständnis für die gleichermaßen willkürlichen wie evidenzlosen Entscheidungen des Kabinetts Merkel.

Die „FAZ“ hofierte den Autor am vergangenen Samstag in einem knapp halbstündigen Podcast direkt auf ihrem Stand auf der Buchmesse. Die servil fragende Journalistin vertrat ihren zurzeit kranken Kollegen. Ob der gesundheitspolitische Redakteur, der sich einen Namen als harter Verfechter der nicht zuletzt von Spahn erlassenen Corona-Maßnahmen gemacht hat, sich mit just diesem Virus infiziert hat, blieb offen. Verwundern würde es sicherlich nicht.

Sein einziges erwähnenswertes Statement gibt Spahn im Podcast auf die Frage, ob er die Inzidenzen verfolgt. Er schaue gelegentlich, wie sich die Dinge entwickeln, antwortet er. „Gott sei Dank kommen wir der Phase näher, wo wir einfach mit dem Virus dauerhaft werden leben müssen, wo wir in einen endemischen Zustand kommen.“ Er sieht uns in einer Übergangsphase – und er weiß nicht, wo die aktuelle Inzidenz liegt. Kaum glaublich, doch angesichts dieser Einlassung wünschte man sich ihn wieder als Gesundheitsminister zurück. Denn für seinen geradezu besessenen Nachfolger Karl Lauterbach scheint Corona niemals seine tödliche Gefährlichkeit zu verlieren.

»Wir sollten empathisch bleiben, nicht verhärten, nicht „unerbittlich“ werden«

Spahn, der sich erst Ende September aus Twitter zurückzog („es macht schlechte Laune“), bediente sich bereits am Freitag ebendieses Mediums, um stolz mitzuteilen: „Viele interessante Gespräche heute in Frankfurt auf der Buchmesse, wo ich mein Buch über die Corona-Zeit und die Lehren daraus vorgestellt habe.“

Was ihm seine wiedergefundene gute Twitter-Laune gehörig verderben dürfte: Die Kommentare auf seinen Tweet teilen so gar nicht seine Sicht der Dinge. „Wir müssen gar nichts. Erst recht nicht dieses abscheuliche Verhalten, den Lug und Betrug verzeihen“, heißt es etwa. Oder: „Sind Märchenbücher im Moment en Allemagne wieder gefragt? Da lasse ich mir lieber eines von Asterix zu Weihnachten schenken!“

Ein anderer User fragt ironisch, ob man das Buch kaufen solle. Die Antwort lautet ganz klar: Nein! Denn es geht dem Autor in diesem knapp 300 Seiten umfassenden Band vor allem um eines: Jens Spahn, der inzwischen zuständig ist für Wirtschaft, Klima, Mittelstand und Tourismus.

Dass Debatten auch kontrovers geführt würden, sei wichtig in einer Demokratie, schreibt der CDU-Politiker auf seiner Website über sein Buch. Aber wir sollten dabei empathisch bleiben, nicht verhärten, nicht „unerbittlich“ werden. Es sind indes genau die unangemessenen und sinnlosen Unerbittlichkeiten des Staates, die Spahn in seinem Buch herunterspielt. Ebenso die unerbittliche Korruption und Amigo-Wirtschaft bei Maskendeals – oder die unerbittliche Verantwortungslosigkeit des früheren Gesundheitsministers. Erst jüngst wurde publik, dass der Bund offenbar rund 730 Millionen OP- und 60 Millionen FFP2-Masken verbrennen lassen will, die zu Beginn der Coronakrise auf Anweisung von Spahn gekauft wurden.

»Das System war nicht perfekt, aber es hat funktioniert«

Schon in der Einleitung gelobt der Unions-Fraktionsvize, nichts auszusparen. Das Wort Untersuchungsausschuss kommt aber kein einziges Mal vor. Fragt sich zudem, welche Krise er meint, deren Innenansichten laut Buchtitel beleuchtet werden sollen. Es geht vor allem um die eigene Krise Spahns.

Sein Werk, das zusammen mit zwei Journalisten entstanden ist, gleicht einem Mix aus Eitelkeit, Ego und Rechtfertigung. Spahn heischt Verständnis, will sich auf billige Weise reinwaschen von seiner kapital verfehlten Politik. Wirkliche Reue für eigene Fehler scheint ihm fremd. Stattdessen versucht er durch inhaltslose Phrasen Verständnis zu heischen. So schreibt er (bzw. sein Team): „Unser Vorgehen war nicht fehlerfrei und konnte ausgenutzt werden. Das System war nicht perfekt, aber es hat funktioniert.“

„Politisch unklug, unsensibel“ sei der Zeitpunkt für den Kauf eines Hauses in Berlin im Sommer 2020 gewesen, „das später wegen des vergleichsweise hohen Werts der Immobilie als ‚Villa‘ in die Schlagzeilen“ gekommen sei. Über die dubiose Finanzierung verliert er indes kein Wort.

Hat Spahn die Bodenhaftung inzwischen gänzlich verloren?

Immerhin bezeichnet er es als „besonderes Versäumnis, dass wir es nicht geschafft haben, die Kinder und Jugendlichen so vor den Folgen dieser Pandemie zu schützen, wie wir es hätten tun sollen“. Im Rückblick glaubt er, dass die pauschale Schulschließung in sämtlichen Bundesländern im März 2020 zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht nötig gewesen wäre – um gleich faktenfrei zu relativieren: Insgesamt seien aber auch harte Maßnahmen hierzulande weniger einschneidend als anderswo in Europa angesetzt worden. Freiheitseinschränkungen seien eine bittere Medizin gewesen, „aber eben auch eine wirksame“.

Ich habe recht gehabt – und da wo nicht, musste ich mich dem Druck von außen beugen. So lässt sich der Tenor des Buches auf den Punkt bringen. Schlussendlich stellt sich die Frage, warum Spahn überhaupt dieses Buch geschrieben hat. Hat er die Bodenhaftung inzwischen gänzlich verloren? Ist er überhaupt offen für Kritik und einen sachlichen Diskurs? Oder wollte er schlicht seinen Kontostand nach oben hieven?

Dieses Buch braucht allenfalls, wer an kalten Wintertagen Papier zum Befeuern seines Kamins benötigt.

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: photocosmos1/Shutterstock

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