Das dritte „Corona-Gesetz“ erhitzt die Gemüter im Land. Kritiker betrachten es als massiven Eingriff in die demokratischen Fundamente unseres Staates und sehen Grundrechte und Demokratie in Gefahr (siehe Beitrag „Lex Corona – der Einstieg in eine ökohygienische Diktatur?“ sowie „Überwachung durch die Hintertür“). In den großen Medien werden die weitreichenden Einschnitte, die das Gesetz mit sich bringt, nur wenig thematisiert. So sieht es die Einschränkung zahlreicher Grundrechte vor.Trotz solch heikler Punkte stehen offenbar alle Ampeln auf „Durchwinken“. Umso überraschender ist jetzt, dass eine Ausarbeitung des „Wissenschaftlichen Dienstes“ des Bundestages ebenfalls sehr kritisch mit dem Gesetzesentwurf ins Gericht geht. Bislang wurde laut Google-News noch nicht darüber berichtet (das Original liegt mir vor).
Hier vorab das Fazit der „Ausarbeitung“:
Der „Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (BT-Drs. 19/23944, im Folgenden: GE) verbessert die Rechtsgrundlagen für die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Kritikpunkte bleiben allerdings:
- So genannte Standardmaßnahmen, also konkrete Ermächtigungen für bestimmte Maßnahmen, werden nicht eingeführt. Stattdessen benennt der Gesetzesentwurf nur Regelbeispiele für Maßnahmen.
- Einige Formulierungen des Gesetzesentwurfs entsprechen der Normenklarheit und -bestimmtheit nur bedingt. Das gilt etwa für die Unterscheidung von „schwerwiegenden“, „stark einschränkenden“ und „einfachen Schutzmaßnahmen“.
- Regelungen zur Berichtspflicht der Bundesregierung, Evaluierung und Befristung der Maßnahmen sind nicht vorgesehen.
- Die Beteiligungsmöglichkeiten des Bundestages am Erlass der Rechtsgrundlagen wurden nicht verbessert.
Auf gut Deutsch und etwas zugespitzt: Der Wissenschaftliche Dienst hält den Gesetzesentwurf für Pfusch, zumindest in Teilen. Dass aus Sicht der Regierung ein drittes Gesetz überhaupt notwendig wurde, hat mit der Rechtsprechung zu tun. In der „Ausarbeitung“ heißt es dazu: „Zuletzt hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Eilbeschluss festgestellt: Bei den angegriffenen Beschränkungsmaßnahmen handele es sich um intensive und mittlerweile lange andauernde Grundrechtseingriffe. Dafür reiche die Verordnungsermächtigung der §§ 28, 32 IfSG möglicherweise nicht mehr aus (Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.10.2020, Az.: 20 NE 20.2360).“
Weiter steht in dem Papier: „Kritisiert wurde bisher, dass die äußerst intensiven und breit wirkenden Grundrechtseingriffe im Rahmen der Corona-Pandemie auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt werden. Gefordert wurde deshalb die Schaffung von konkreten Ermächtigungsgrundlagen für besonders eingriffsintensive und streuweite Maßnahmen, welche qualifizierte Tatbestandsvoraussetzungen und differenzierte Rechtsfolgen vorsehen (sogenannte Standardmaßnahmen). In § 28a Abs. 1 GE werden anstelle der geforderten Standardmaßnahmen Regelbeispiele genannt. Es wird eine Vielzahl von Maßnahmen aufgeführt, die auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden können, unter anderem Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum (Nr. 1) sowie die Anordnung eines Abstandsgebotes im öffentlichen Raum (Nr. 2). Dadurch wurde jedenfalls die Bestimmtheit der Rechtsgrundlage erhöht.“
Kritisiert wird auch, welche Maßstäbe das Gesetz für gewisse Schritte vorsieht: „In § 28a Abs. 2 des Gesetzesentwurf ist ein abgestuftes Vorgehen, orientiert an der Überschreitung bestimmter Schwellenwerte, vorgesehen. § 28a Abs. 2 des Gesetzesentwurfs sieht vor, dass je nach Höhe der Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen entweder ‘einfache‘, ‘stark einschränkende‘ oder ‘schwerwiegende‘ Schutzmaßnahmen in Betracht kommen. Die Verwendung dieser Begriffe ist nicht überzeugend, da sie an keiner Stelle im Gesetz definiert werden. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs liefert keine Klärung. Unter anderem wird nicht deutlich, was der Unterschied zwischen den einzelnen Schutzmaßnahmen sein soll. Die Formulierung des § 28a Abs. 2 des Gesetzesentwurfs, dass bestimmte Schutzmaßnahmen in Betracht kommen‘, ist rechtstechnisch ungewöhnlich. Es handelt sich nicht um eine Einschränkung, sondern um eine reine Beschreibung.“
Auch andere Regelungen findet der Wissenschaftliche Dienst kritikwürdig: „Laut § 28a Abs. 2 S. 1 GE sollen die Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte an Schwellenwerten ausgerichtet werden, soweit Infektionsgeschehen innerhalb eines Landes nicht regional übergreifend oder gleichgelagert sind. Es fällt auf, dass es sich um eine sog. Soll-Vorschrift handelt, so dass Ausnahmen möglich sind.“
Auch andere Punkte in dem Gesetz sind fragwürdig: „§ 28a Abs. 2 S. 6 und S. 7 GE sehen vor, dass bei einer bundesweiten bzw. landesweiten Überschreitung des Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen bundesweit bzw. landesweit einheitliche schwerwiegende Maßnahmen anzustreben sind. Es wird nicht deutlich, durch wen die einheitlichen schwerwiegenden Maßnahmen anzustreben sind. Zudem haben die Regelungen einen rein appellativen Charakter. Die Regelung, dass bei einer bundesweiten Überschreitung des Schwellenwertes bundesweit einheitliche schwerwiegende Schutzmaßnahmen anzustreben sind, ist darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit deshalb problematisch, weil die Infektionen ungleichmäßig über das Bundesgebiet verteilt sein können. So könnte der Fall eintreten, dass in einigen Ländern sehr niedrige und in anderen Ländern sehr hohe Infektionszahlen vorliegen. Das könnte dazu führen, dass der Schwellenwert bundesweit überschritten wird. In der Konsequenz wären schwerwiegende Schutzmaßnahmen auch in Ländern mit sehr niedrigen Infektionszahlen anzustreben.“
Weiter bemängelt der Wissenschaftliche Dienst, es sei nicht klar, was folge, wenn die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufgehoben werde: „Nach der Formulierung des § 28a Abs. 1 GE ist denkbar, dass die in den Regelbeispielen genannten Maßnahmen nicht länger angeordnet werden dürfen. Unklar ist, welche Maßnahmen in diesem Fall noch auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden können.“
Eine Befristung von Einzelmaßnahmen oder der Verordnungsermächtigung sieht der Gesetzentwurf nicht vor, heißt es weiter in der Ausarbeitung. Und: „Eine Beteiligung des Bundestages an den Rechtsverordnungen des Bundesministeriums für Gesundheit ist weiterhin nicht vorgesehen.“ Sowie: „Es wurde schließlich empfohlen, eine Pflicht zur Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und eine Evaluierung der Maßnahmen vorzusehen. Dem wurde nicht Rechnung getragen.“
Auch beim Datenschutz sieht der Wissenschaftliche Dienst Probleme in dem Gesetzesentwurf: „Im Übrigen ist bei der Durchsicht des Gesetzentwurfes Folgendes aufgefallen: Nach § 36 Abs. 8 S. 1 Gesetzesentwurf wird die Bundesregierung, sofern der Deutsche Bundestag nach § 5 Abs. 1 S. 1 IfSG eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt hat, ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates festzulegen, dass Personen, bei denen ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht und die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen oder eingereist sind, verpflichtet sind, der zuständigen Behörde ihre personenbezogenen Angaben und Aufenthaltsorte bis zu zehn Tage vor und nach der Einreise und das für die Einreise genutzte Reisemittel mitzuteilen. § 36 Abs. 9 S. 4 Gesetzesentwurf sieht vor, dass die erhobenen Daten spätestens 14 Tage nach der Einreise zu löschen sind. Hierbei wird keine Löschungspflicht für diejenigen Einreisewilligen normiert, die letztendlich nicht eingereist sind.“
Ob der Pfusch noch behoben wird, ist fraglich – zumindest, wenn man den Zeitplan ansieht, der auch in der „Ausarbeitung“ nachzulesen ist: „Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben am 3.11.2020 den Gesetzentwurf vorgelegt. Er soll am 6.11.2020 in erster Lesung beraten werden und bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Wenn dieser in seiner nächsten regulären Sitzung am 27.11.2020 seine Zustimmung erteilt und die Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten zügig erfolgt, könnte das Gesetz (gemäß Art. 8 Gesetzentwurf mit einer Ausnahme) Anfang Dezember 2020 in Kraft treten.
Faktisch sollen hier im Schweinsgalopp tiefgreifende Einschnitte in die Grundrechte verabschiedet werden, die ihresgleichen suchen. Und das Gesetz über die „konkreten Ermächtigungsgrundlagen“ ist noch nicht einmal handwerklich solide ausgearbeitet. Umso erstaunlicher, dass es die meisten Medien faktisch durchwinken und ein kritisches Hinterfragen kaum stattfindet.
[themoneytizer id=“57085-1″]
Text: red