Berlins Grüner Justizsenator Dirk Behrendt hat angehenden Staatsanwältinnen erlaubt, im Gerichtssaal mit Kopftuch aufzutreten. Darauf müssen sich Angeklagte in Strafprozessen ebenso einstellen wie Kontrahenten im Zivilprozess etwa bei einem Streit mit dem Fitnessstudio, ganz egal, ob sie Christen, Juden, Hindus, Buddhisten oder Atheisten sind. Denn auch Richterinnen können künftig mit Kopftuch Recht sprechen. Auch Kippa und andere religiöse Symbole sind demnach erlaubt.
Bisher galt so etwas als unmöglich, weil der Staat zur Neutralität verpflichtet ist. In Berlin ist es jetzt seit August erlaubt. Bildungssenatorin Scheeres (SPD) hält dagegen am Kopftuchverbot in Schulen fest. Im Strafrechtsbereich gilt die Regelung nur für Auszubildende, die dann aber eine fertig ausgebildete Staatsanwältin oder einen fertig ausgebildeten Staatsanwalt an ihrer Seite haben sollen, der keine religiösen Symbole trägt.
Die Neuregelung durch den Grünen Behrendt provozierte einen Eklat in der rot-rot-grünen Koalition in Berlin. Am Mittwoch gab es im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses ungläubige Blicke von Volksvertretern der SPD und der Opposition.
Behrendt nannte als Begründung eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes in Erfurt über das Berliner Neutralitätsgesetz. Die Richter billigten einer Muslimin 5.129 Euro Entschädigung zu, weil sie wegen ihres Kopftuches vom Land Berlin nicht in den Schuldienst eingestellt wurde. Das Land Berlin müsse klarer begründen, warum das Kopftuch den Schulfrieden störe, so die Richter in dieser Einzelfallentscheidung. Generell stellten sie das Neutralitätsgesetz aber nicht in Frage.
In Ausbildung zulässig
Das Berliner Neutralitätsgesetz verbietet Beamten, während ihres Dienstes religiöse Symbole zu tragen. Bei Beamten in Ausbildung ist dies aber zulässig.
Laut Behrend müsse für jeden im Gerichtssaal klar sein, dass die Anklägerin mit Kopftuch noch in Ausbildung sei. Ein Zivilrichter könne ebenfalls eine Referendarin, die ein Kopftuch trage, zeitweise die Verhandlung führen lassen, solange er sich daneben befindet.
„In der Koalition wird Behrendts Entscheidung als eigenmächtig und als Affront gewertet“, schreibt der „Tagesspiegel.“ SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier sagte demnach: „Hier müssen wir als Koalition eine einheitliche Linie finden. Der Alleingang von Dirk Behrendt ist nicht gut.“ Der Neuköllner Bundestagsabgeordneter Fritz Felgentreu (SPD), der das Neutralitätsgesetz 2005 im Abgeordnetenhaus mit verfasst hatte, twitterte: „Inakzeptable Haltung von Dirk Behrendt. Der eigene Senator stellt sich gegen den Sinn des geltenden Rechts. Er ist der falsche Mann an der Spitze der Berliner Justiz.“
Heftige Kritik gab es auch von FDP und AfD. Behrendt reiße im Alleingang rechtliche und institutionelle Brandmauern ein. In der aktuell aufgeheizten Debatte zwischen Links und Rechts könnte die Entscheidung für weitere Radikalisierung sorgen.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Kopftuch an Schulen hat im rot-rot-grünen Senat in Berlin heftige Differenzen ausgelöst. Der alte Streit um Kopftücher bei Referendarinnen ist jetzt wieder voll im Gange. „Die SPD pocht auf das Neutralitätsgebot des Staates – gerade vor Gericht oder bei der Polizei. Die Sozialdemokraten befürchten einen politischen Dammbruch“, schreibt der „Tagesspiegel“.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagte am Donnerstag im Abgeordnetenhaus: „Wir werden uns jetzt die Urteilsbegründung anschauen und prüfen, ob wir Verfassungsbeschwerde einreichen.“ Es sei ihr wichtig, „dass wir eine neutrale Situation an den Berliner Schulen haben, damit keine Konflikte in die Schulen getragen werden“.
‘Fatales Urteil‘
Ganz anders die „Grünen“. Die Alternativen werten Lehrerinnen mit Kopftuch als Zeichen für die Zukunft im multikulturellen Berlin. Das helfe Kindern, zu lernen, „mit Vielfalt und Differenz umzugehen“. Dafür sei ein „diverses Kollegium“ hilfreich. Entsprechende Realitäten an Schulen würden dafür sorgen, dass Akzeptanz „in der Gesamtgesellschaft“ entstehe.
Grüne und Linke sind seit langem sehr kritisch gegenüber dem geltenden Neutralitätsgesetz in Berlin. Jetzt nehmen sie das Erfurter Urteil zum Anlass für eine Änderung des Gesetzes. Dabei solle Antidiskriminierung das Ziel sein. Massive Kritik an dem Neutralitätsgesetz kam auch früher schon von Justizsenator Behrend. „In der multireligiösen Gesellschaft muss es darum gehen, was jemand im Kopf und nicht auf dem Kopf hat“, twitterte er.
Das hat etwas Kurioses, wie der Tagesspiegel schreibt: „Während Teile der Linken und der Grünen das Urteil der Bundesarbeitsrichter feiern, beklagen andere Teile der beiden Parteien die Rückkehr der Religion im Staat. Zumal das Christentum in Berlin an Einfluss verliert. Nicht einmal ein Viertel der Berliner gehört einer der beiden christlichen Kirchen an. Dagegen gewinnt der Islam an Einfluss.“
Das Blatt zitiert einen empörten Beamten: „Es herrscht völliges Unverständnis. Ein Kollege sagte, dann werde er als Christ demnächst eine Dornenkrone tragen.“ Die Kopftuch-Freigabe habe „die Entfremdung zwischen dem Senator und der Justiz noch verstärkt“.
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Text: red