Erinnern Sie sich noch daran, wie Frauke Petry die Republik erschütterte? „Wir brauchen umfassende Kontrollen, damit nicht weiter so viele unregistrierte Flüchtlinge über Österreich einreisen können“, sagte die damalige AfD-Vorsitzende 2016 der Zeitung Mannheimer Morgen. Notfalls müssten Polizisten an der Grenze „auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz“. Deutsche Medien waren daraufhin gefühlt im Ausnahmezustand. Petry rettete nichts mehr vor dem medialen Scheiterhaufen. Auch der Hinweis, dass die Polizei doch gar nicht auf Flüchtlinge schießen wolle: „Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt“.
Der Schusswaffen-Einsatz an der Grenze blieb an Petry hängen wie der Schwefel am Teufel. Und jetzt das. Ausgerechnet das öffentlich-rechtliche, mit Gebühren finanzierte SWR-Fernsehen ließ den Schießbefehl wieder aufleben. Und nicht an der Grenze. Sondern an der Corona-Front. Und das nicht erst jetzt. Sondern schon im März. Und keiner merkte es. Ganze sechs Monate lang. Unter den Stichworten „FRAGEN, REGELN UND VERBOTE“ stand bei den Kollegen bis heute früh ein Artikel mit folgender Überschrift: „Coronavirus: Darf ich bei Quarantäne auf den Balkon oder Pizza bestellen?“ (Nach Erscheinen dieses Artikels hat der SWR die Seite vom Netz genommen. Ohne jeden Hinweis, ohne jede Erklärung. Journalistisch sehr unsauber, umso mehr bei einem öffentlich rechtlichen Sender. Sie finden die Seite aber noch in Web-Archiven, etwa hier vom 8.9.2020).
Würde ich russischen Freunden erzählen, dass deutsche Journalisten allen Ernstes solche Fragen stellen, würden sie sich wohl halb tot lachen. In Russland gilt übrigens auch Maskenpflicht. Nur hält sich gefühlt die Hälfte nicht daran. Und jemanden dafür zu verpfeifen oder zur Rede zu stellen, wäre für russische Verhältnisse fast schon ein Grund, ins soziale Abseits zu geraten.
„Betroffene sollten den Balkon oder die Terrasse nur betreten, wenn sie nicht mit anderen Menschen in Kontakt treten können“, belehrt das SWR-Fernsehen. Und weiter: „Wer eine Pizza bei einem Lieferdienst bestellt, muss angeben, dass er in Quarantäne steckt. Die Lieferung muss dann vor der Tür abgestellt werden. Auch bei Lieferungen durch die Deutsche Post gibt es Einschränkungen. Hängt der Briefkasten im Treppenhaus, müssen Betroffene ihren Nachbarn Bescheid geben, um Post vor ihre Wohnungstür zu legen.“
Interessant ist auch, dass die Wohnung regelrecht vermüllen soll in der Quarantäne: „Abfall muss in der Quarantäne-Zeit (also 14 Tage lang) gesammelt werden – am besten in gut verschließbaren Müllsäcken. Vor die Haustüre zu stellen, damit Nachbarn ihn wegschmeißen, ist nicht ratsam. Auf den Müllsäcken könnten sich Viren befinden.“
Weiter steht da: „Auch innerhalb eines Haushaltes sollte sich eine infizierte Person von den anderen isolieren, also allein im Raum bleiben, Mahlzeiten getrennt von der Familie einnehmen.“
Doch es kommt noch heftiger. Auf die Frage „Darf der Staat auch gegen meinen Willen Quarantäne verordnen?“ lautet die Antwort: „Ja, dies kann sogar gegen den Willen des Patienten erfolgen, denn in einer solchen Situation überwiegt der Schutz der Allgemeinheit gegenüber der persönlichen Freiheit des Einzelnen. Um eine Flucht des Erkrankten zu verhindern, dürfen ihm sogar dafür geeignete Gegenstände abgenommen werden.“
Also Schlüsselentzug? Oder Hosen-Liquidation?
All das ist nichts im Vergleich zu dem, was im nächsten Absatz steht, die Antwort auf die Frage: „Was passiert, wenn ein Infizierter das Haus verlässt?“ Setzen Sie sich jetzt bitte hin, damit Sie nicht umfallen: „Gelingt dem Infizierten dennoch die Flucht, darf die zuständige Behörde diesen im Rahmen des Verwaltungszwangs mit Gewalt wieder in Gewahrsam nehmen und in Quarantäne unterbringen. Als letzte Möglichkeit dürfte sogar von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden, denn die Ansteckungsgefahr für eine Vielzahl von Personen wäre so hoch, dass zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung geboten sein kann, flüchtige Patienten unschädlich zu machen.“
Geht’s noch? Haben die Kolleginnen und Kollegen jeden Bezug zur Realität verloren? „Flüchtige Patienten unschädlich zu machen“ – das ist aus dem Wörterbuch des Unmenschen entnommen. Und ganze sechs Monate lang schien sich an diesem Beitrag niemand gestoßen zu haben. Zumindest gab es keinen Aufschrei. Sind wir wirklich so weit, dass ein Schießen auf Corona-Sünder gesellschaftlich akzeptiert wäre? Ein „unschädlich machen“ von „flüchtenden Menschen“ wegen Corona? Dass der Artikel bis heute so im Netz steht, dass er also akzeptiert wird, erschreckt fast noch mehr als die unglaublichen Aussagen darin. Das zeigt, wohin das Schüren von Angst, insbesondere auch durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die Bundesregierung insgesamt im Zusammenspiel mit den Medien führt: Dazu, dass Menschen jedes Maß verlieren. Und zu Denk- und Verhaltensweisen zurückkehren, die man eigentlich für überwunden hielt.
Corona ist nicht nur für die Gesundheit schädlich. Es greift offenbar auch den Verstand an.
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