Ein in Berlin und ganz Deutschland bestens vernetzter Freund sagt mir seit langem, aus dem Kanzleramt gebe es sogenannte „Formulierungshilfen“ an die Redaktionen in Deutschland. Gut, er geht noch weiter, aber ich gebe seine Aussage hier in entschärfter Fassung weiter. Auch zu Beginn der Corona-Krise sagte mir ein Medien-Insider stolz, Merkel habe es toll fertiggebracht, mit Anrufen und Gesprächen die Redaktionen „zur Vernunft“ zu bringen. So nannte er das.
An diese beiden Aussagen musste ich heute denken, als ich beim „Focus“ Pressestimmen zur Scholz-Bundespressekonferenz las. Ich gebe Auszüge im Original wieder:
„Focus“ titelt: „Olaf Scholz gab am Donnerstagvormittag eine große Pressekonferenz. Die Presse konstatiert ihm hinterher einen ‘souveränen Auftritt‘ in einer schwierigen Lage.“
Die „Pforzheimer Zeitung“ schreibt: „Es ist das erste Jahr von Olaf Scholz im Stahlbad Bundeskanzleramt und seine erste Sommer-Pressekonferenz. Der Kanzler agiert und regiert trotz der Last der Probleme souverän.“
In der „Stuttgarter Zeitung“ heißt es: „Immerhin hat Scholz mit einem durchaus souveränen Auftritt ein Etappenziel erreicht.“
In der „Freien Presse“ steht: „Immerhin hat Scholz mit einem durchaus souveränen Auftritt ein Etappenziel erreicht.“
Auch der Kommentator von Phoenix hatte gleich nach der Bundespressekonferenz vor der Kamera gesagt: „Um es zusammenzufassen – ein souveräner Auftritt hier von Bundeskanzler Olaf Scholz“. Von so viel „souverän“ beeindruckt, machte ich mich bei Google auf die Suche. Und siehe da, auch hier war die Ernte reich – besonders in den Überschriften:
„NZZ„: „Insgesamt aber bewältigte Scholz die Pressekonferenz souverän.“
„Neue Westfälische„: „Pressekonferenz des Bundeskanzlers: Hanseatisch, kühl, souverän.“
„NTW„: „Zwischen souverän und stur“.
„Spiegel„: „Bundeskanzler Scholz – Wie souverän hat er sich auf der Sommerpressekonferenz zum Hamburger Cum-ex-Skandal geäußert?“
„STERN„: „Olaf Scholz will den Eindruck vermitteln, die Lage im Griff zu behalten, gab eine souveräne Vorstellung ab.“
„Deutsche Welle„: „Fast in jedem Moment souverän absolvierte Olaf Scholz seine erste Sommer-PK vor der Hauptstadtpresse.“
„Münchner Merkur„: „Es war ein größtenteils souveräner Auftritt, den der Kanzler – übrigens ohne Krawatte – hinlegte.“
„T-Online„: „Die Rolle eines souveränen Regierungschefs hielt Scholz über weite Strecken seines Auftritts durch“.
Und nochmal „T-Online„: „Hier zeigte sich, dass Scholz zwar zunehmend souverän die Rolle als Krisenkanzler ausfüllt…“
„Frankfurter Allgemeine“: „Aber über eine Frage nach dieser Kritik aus den Ampelreihen ging Scholz am Donnerstag souverän hinweg.“ (Grammatikfehler aus dem Original übernommen).
„Vorwärts„: „Gelassen, professionell und souverän beantwortet der Kanzler fast zwei Stunden lang alle Fragen der Journalist*innen aus dem In- und Ausland.“
Ein Schelm, wer hier daran denkt, dass so viel „Gleichtaktung“ in den Medien normalerweise ein Anzeichen für autoritäre Regime ist, in denen die Redaktionen von oben „Hinweise“ erhalten, etwa in Form von „Spickzetteln“. Und zu „Blockflöten“ wurden (wobei der Begriff in der DDR eine andere, aber wesensverwandte Bedeutung hatte – er wurde für die Blockparteien angewandt).
Identisches Ticken
Im BeDaZ, dem besten Deutschland aller Zeiten, liegt dies sicher daran, dass einfach zufällig die Redakteure nicht nur fast identisch ticken, sondern auch noch synchron denken. So synchron, dass sie sogar das exakt gleiche Wort verwenden. Was ja bei Beurteilungen von irgendwelchen Auftritten sonst eher selten ist – 100 Beobachter, 150 Meinungen.
Aber nehmen wir – im Zweifel für den Angeklagten – an, sie sind wirklich nur Synchrondenker. Und es hat nicht irgendjemand die Linie ausgegeben, der Auftritt sei als „souverän“ zu bezeichnen. Und nicht damit gerechnet, dass nicht umformuliert wird, wie es sich gehört.
Wäre das dann nicht auch noch ein gewaltiges Problem?
Fragen über Fragen.
Leserkommentar:
Journalist: „Was haben Sie zu den Vorwürfen zu sagen?“
Scholz: „Nichts!“
Unsere Medienlandschaft jubelt beifallklatschend im Einklang: „Souverän!“
Ja klar, mein Geld könnt ihr mir zwar rauben, meinen Verstand aber nicht!
Text: br
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