Nie werde ich diese Taxifahrt vor einigen Jahren in Moskau vergessen. Der Fahrer war Moslem, aus Kirgistan. Freundlich, gesprächig, ein Traum von einem Taxifahrer. Und er hatte eine gesunde Neugierde. Er wollte viel über Deutschland wissen. Ob er den ganzen Meldungen im russischen Fernsehen trauen könne, fragte er – weil da ja so viel gelogen werde. Aber er höre dort immer wieder, dass inzwischen selbst Frauen in Deutschland zuweilen Bekleidungsempfehlungen gemacht würden, damit Zuwanderer aus moslemischen Ländern sich nicht beeinträchtigt fühlen. Ich sagte ihm, dass dies nicht die Regel sei, aber durchaus solche Fälle vorkommen.
Der Mann mit seinem breiten Schnurrbart schüttelte so heftig den Kopf und geriet so in Rage, dass der Wagen für einen Moment fast schaukelte wie ein Schiff auf hoher See, und ich Angst hatte, dass wir auf der Gegenfahrbahn landen.“Wie kann das sein?“, fragte er laut: „Ich bin Moslem, ein Gläubiger noch dazu! Nach meinem Glauben ist es nicht okay, dass die Russinnen mit Miniröcken so kurz wie Unterhosen rumlaufen. Aber die Russen haben mich aufgenommen, ich bin hier Gast. Und als Gast habe ich die Regeln meines Gastlandes zu akzeptieren. Wenn mir die nicht gefallen, kann ich gehen!“. Fast die halbe Fahrt zum Flughafen wiederholte der Mann immer wieder diesen Gedanken, in anderen Variationen, und konnte sich nicht mehr beruhigen: „In ein anderes Land kommen und dann dort seine Regeln durchsetzen, das geht doch nicht! Das geht doch gar nicht! Warum lasst Ihr das mit Euch machen?“
Als ich ihm dann noch erzählte, wie großzügig die Sozialhilfe auch für Zuwanderer in Deutschland bemessen ist, drohte der Wagen vollends aus der Spur zu geraten. Vor allem, als er ausrechnete, dass er mit seinen vier Kindern in Deutschland mehr Zuwendung vom Staat bekommen würde, als er in Moskau jemals verdienen kann: „Was macht Ihr mit den Leuten? Ihr erzieht sie zum Nichtstun? Ich bin heilfroh, dass ich in Russland Zuflucht gefunden habe, ich würde nie auf die Idee kommen, mich aushalten zu lassen!“ Viele seiner Glaubensbrüder in Deutschland sähen das ähnlich, sagte ich ihm, aber bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens dürfen sie nicht arbeiten, manchmal sehr lange.
Im Rückspiegel sah ich, wie ihm seine Gesichtszüge entglitten. „Ich will Ihnen nicht zu nahe treten“, sagte er kurz bevor wir ankamen, „ich habe ja immer die höchste Meinung von den Deutschen gehabt, aber nach allem, was ich lese und höre, und was Sie jetzt sagen, habe ich den Eindruck, dass Sie – verzeihen Sie – etwas durchgedreht sind.“ Ich musste leider zustimmen: „Aber nicht die Deutschen, sondern recht große Teile ihrer Politik und Medien.“
Hoffentlich bekommt der Mann nicht eine Nachricht aus Duisburg zu lesen: Nach Beschwerden von Badegästen hat die Niederrhein-Therme in der Ruhrgebiets-Stadt weiblichen Besuchern untersagt, freizügige Bikinis zu tragen. Die Begründung: Einige Besucher fühlten sich von knapper Badebekleidung gestört. „Wir sind ein Standort, wo viele Kulturen aufeinandertreffen. Freizügigkeit wird nicht immer von allen Besuchergruppen toleriert“, sagte eine Sprecherin der Niederrhein-Therme der WAZ.
Erstaunlich: Wo auf der einen Seite immer Toleranz von allem und jedem gefordert wird, sollen sich nun plötzlich alle unterordnen, weil offenbar bestimmte Gäste eben keine Toleranz an den Tag legen.
Dem Bericht zufolge werden in Zukunft Mitarbeiter allen „Sünderinnen“, also Frauen mit zu freizügiger Badekleidung, auf das Verbot ansprechen. Sodann seien die Besucherinnen gezwungen, ihre Badebekleidung in eine züchtigere Version zu wechseln. Die Badeanstalt stellte Schilder mit folgender Inschrift auf. „Im Interesse aller anwesenden Gäste weisen wir Sie ausdrücklich darauf hin, daß unzureichende Badekleidung (String-Tangas, Brazilian Bikinis, etc.) in unserer Therme nicht gestattet sind“, heiße es darauf.
Der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund in Duisburg beträgt 43,3 Prozent. Im Hamborn, dem Stadtteil, in dem in die Badeanstalt ihren Sitz hat, liegt dieser Anteil bei 57,4 Prozent.
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Text: br