Es gibt einen Spruch, der angeblich ein alter chinesischer Fluch sein soll: “Mögest du in interessanten Zeiten leben!” Spannend, oder? Nur leider, wie so oft, ein Mythos. Es gibt in China keinen solchen Spruch. Aber was es tatsächlich gibt, ist ein Sprichwort, das viel ehrlicher klingt: “Lieber ein Hund in friedlichen Zeiten als ein Mensch in chaotischen.” Das trifft es schon eher. Diese kleine Weisheit besagt nichts anderes, als dass man sich auf das Chaos der Welt wirklich nicht allzu viel einbilden sollte – manchmal kann es eine Strafe sein, mittendrin zu stehen.
Als Journalist sollte man eigentlich dankbar sein, wenn Zeiten interessant, wenn sie turbulent, manchmal sogar chaotisch sind. In „langweiligen“ Zeiten gäbe es kaum was zu berichten, nichts, das uns wirklich aufrüttelt oder an die Eingeweide geht. Aber wenn ich ehrlich bin: Es gibt Momente, da wäre mir diese sprichwörtliche Langeweile fast lieber. Manchmal schwappt das Chaos so heftig herüber, dass selbst die härtesten Nachrichtenmacher wanken. Und doch bleibt uns kaum die Wahl – wir müssen berichten. Und kommen dabei immer öfter in Situationen, wo wir mit dem Latein am Ende sind. Und falsche Entscheidungen treffen. Zumindest ich.
Gestern Abend fand ich beim Kollegen Henning Rosenbusch einen Ausschnitt aus einem Artikel im Spiegel, den er wieder bei ArgoNerd gefunden hat (solche Quellenangaben sind heute wichtig, auch wenn ich persönlich finde, dass sie den Lesefluss stören – aber ich möchte keine Kollegen vor den Kopf stoßen). Die Schlagzeile des Textes: „Psychotherapeutin über besorgte Klienten: Was kann ich tun, wenn ich wegen Donald Trump Angst habe? Der Wahlsieg von Donald Trump bestürzt viele Menschen, auch in Deutschland. Verhaltenstherapeutin Maren Vogel berichtet von fassungslosen Klienten – und sagt, was hilft.“
Nein, das ist keine Satire.
Das steht da tatsächlich so.
In dem Text stehen Sätze wie diese:
„SPIEGEL: Welche Auswirkungen hat das alles auf Menschen in Deutschland?
Vogel: Für viele war das wie ein Schock. Es lähmt. Viele Leute haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder auch einfach nur zur Arbeit zu gehen. Viele finden ihr eigenes Leben auf einmal total banal.“
Ich habe dazu gestern Abend folgenden Post gemacht in den sozialen Netzwerken:
„Der Spiegel übertrifft jede Realsatire – eine Psychotherapeutin gibt Ratschläge für deutsche „Trump-Geschädigte“. Das kann kein Böhmermann toppen! ;-)))
‚Auch wenn ich morgens denke, ich kann wegen Trump nicht zur Arbeit – dann könnte es helfen, trotzdem zur Arbeit zu gehen, denn Leute zu treffen, tut gut.‘
Was kann ich tun, wenn ich Angst bekomme, wenn ich den Spiegel Online öffne und solche Beiträge sehe?“
Heute muss ich sagen: Ich habe das Thema damit unterschätzt.
Die Sache ist zu bezeichnend, zu gruselig, um sie nicht auch hier auf der Seite zu bringen.
Ich habe mir den Spiegel hinter der Bezahlschranke angetan und dazu extra ein Probe-Abo abgeschlossen. Was ich da zu lesen bekam, hat mich absolut erschüttert.
„Was bedrückt die Menschen besonders?“, fragt der Interviewer Malte Göbel, der früher bei der „taz“ und beim „Freitag“ arbeitete – also einen stramm rot-grünen Stallgeruch hat.
Vogels Antwort: „Ich kann nicht zu sehr in Details gehen, weil ich die Privatsphäre meiner Klientinnen und Klienten nicht verletzen möchte. Aber allgemein kann ich sagen, dass es viel Angst gibt: vor der Zukunft, vor Krieg, was jetzt mit der Weltpolitik passiert, wird die Welt noch die gleiche sein? Auch eine Fassungslosigkeit: Wie können die Amerikaner das machen, noch mal diesen schlimmen Menschen wählen? Das führt zu Sorge und Frustration und auch zu Ärger.“
Der Spiegel fragt nach: „Wie erklären Sie sich diese Reaktion?“
Darauf Vogel: „Vieles davon ist einfach Fakt. Und ich finde es sehr naheliegend, dass man sich Sorgen macht.“
Fakt? Was bitte ist hier Fakt? Außer der Faktenresistenz von Interviewer, Interviewten – und ganz, ganz vielen im polit-medialen Komplex.
Wie bitte? Wegen Trump können Menschen nicht mehr zur Arbeit gehen?
Vielleicht gibt es solche Fälle, ich kann es nicht ausschließen. Aber dann wäre es ein Anlass für eine Psychotherapeutin zu fragen: Wie wurden die Menschen von den Medien in einen derartigen Angstzustand, ja in eine derartige Psychose versetzt?
Aber derartige Reflexion oder gar Selbstkritik zu erwarten, wäre wohl naiv.
Ich könnte nun das ganze Interview durchgehen und glauben Sie mir: Genauso wie ich kämen Sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich bin froh, dass mir niemand zusah beim Durchlesen, denn sicher ging mein Mund herunter und meine Augen waren weit aufgerissen.
Da fragt etwa Malte Göbel: „Was können Sie Menschen raten, die etwas Ähnliches durchmachen?“
Vogel antwortet: „Es ist ein schmaler Grat. Manche würden raten, keine Nachrichten oder Social Media mehr zu konsumieren, aber das finde ich falsch. Natürlich muss man aufpassen, dass man sich nicht in Katastrophengedanken verliert. Ich finde es aber wichtig, das nicht zu verleugnen und an sich ranzulassen.“
Göbel: „Könnte es auch helfen, sich damit zu beruhigen, dass es womöglich gar nicht so schlimm wird?“
Vogel: „Das würde ich auf keinen Fall sagen. Es ist wichtig, die Sorgen zu validieren und anzuerkennen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob es stimmt, dass es wirklich nicht so schlimm wird.“
Göbel: „Was kann man noch tun, um mit der Situation klarzukommen?“
Vogel: „Es ist natürlich wichtig, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Man sollte das eigene Leben nicht komplett beiseitelegen.“ Und dann folgt der Satz, den ich für meinen Post aufgriff: „Auch wenn ich morgens denke, ich kann wegen Trump nicht zur Arbeit – dann könnte es helfen, trotzdem zur Arbeit zu gehen, denn Leute zu treffen, tut gut.“
Es kommt noch heftiger.
Göbel: „Nun ist zusätzlich auch noch die Ampelregierung zerbrochen. Welche Wirkung könnte das haben?“
Vogel: „Das kann man nicht so allgemein sagen. Manche könnten sagen, jetzt gerät aber wirklich alles aus den Fugen, alles wird noch schlimmer.“
Dann baut Vogel zwar eine Eselsbrücke zur Realität, dass manche das Ende der Koalition auch als Ende des „lähmenden Stillstandes“ auffassen könnten. Doch das bleibt eine absolute Ausnahme in dem Interview. Das eigentlich gar keines ist. Denn was der „Spiegel“ hier abliefert, ist keine Berichterstattung, sondern eine Beichtstunde im rot-grünen Kosmos. Ein Journalist und eine Psychotherapeutin, beide so tief in ihrer eigenen, rot-grünen Welt verankert, dass sie den Boden der Realität längst verlassen haben. Wenn ein Wahlergebnis in einem anderen Land das Leben deutscher Bürger angeblich so sehr aus den Angeln heben kann, dass sie “wie gelähmt” sind, dann stellt sich die Frage: Haben diese Menschen wirklich Angst vor Trump – oder vor einer Realität, die sie sich so zurechtbiegen, dass sie sie nicht mehr aushalten können?
Das Interview liest sich wie eine Fallstudie, nicht über Trump-Geschädigte, sondern über ein Milieu, das sich in selbstinszenierter Opferrolle eingerichtet hat. Ein Milieu, das keine anderen Meinungen erträgt und jedem Bruch seiner Filterblase mit psychologischen Ratschlägen begegnet, anstatt mal einen Schritt zurückzutreten und die eigene Überreaktion zu hinterfragen.
Ja, es ist zum Lachen, wenn man es von außen betrachtet. Aber zugleich ist es beängstigend. Denn wenn ein Teil der Gesellschaft schon bei einer demokratischen Wahl in den USA in Schockstarre verfällt, was passiert dann, wenn echte Krisen zuschlagen? Die größte Tragik in diesem Theater: Ein ganzes Milieu erträgt es nicht, wenn das Leben nicht nach seinem Drehbuch verläuft. Man bleibt in der Rolle des tragischen Helden gefangen – ohne zu merken, dass die wirkliche Tragödie das völlige Fehlen jeder Selbstkritik und jedes Hinterfragens der eigenen Dogmen ist, hinter denen sich dieses Milieu verschanzt hat wie in einer uneinnehmbaren Festung des Mittelalters – fernab jeder Realität.
Trump wirkt dabei wie eine Atombombe, gegen die selbst ihre dicksten Mauern nicht standhalten können. Die Angst vor ihm ist die Angst, dass ihr „Elfenbeinturm“ kippt und sie plötzlich mit einer Realität konfrontiert werden, die sie nicht mehr kontrollieren. Eine Realität, die ihnen die Lufthoheit über den Meinungskorridor und das Monopol auf den Zeitgeist entzieht. In dieser Vorstellung liegt für dieses Milieu der wahre Albtraum – das Ende einer Ära, in der sie den Takt vorgeben konnten.
„Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd“
sagt ein altes chinesisches Sprichwort. Bei uns ist es wohl eher ein guter Anwalt – und der kostet Geld. Augsburgs CSU-Oberbürgermeisterin Eva Weber hat mich gerade angezeigt, weil ich es gewagt habe, ihre Amtsführung zu kritisieren. Es geht um mehr als nur diesen Fall. Es geht um das Recht, Kritik an den Mächtigen zu üben, ohne kriminalisiert zu werden. Helfen Sie mir, dieses wichtige Recht zu verteidigen! Jeder Beitrag – ob groß oder klein – macht einen Unterschied. Zusammen können wir dafür sorgen, dass unabhängiger Journalismus stark bleibt und nicht verstummt. Unterstützen Sie meine Arbeit:
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