Zuerst dachte ich, ich müsse mich verlesen haben, als ich folgende Schlagzeile beim „Focus“ las: „Wir müssen umdenken. Audi-Chef will autofreie Tage und Tempolimit in Deutschland.“ Wie bitte? Der Mann fordert genau das, wogegen sich seine Industrie bisher mit Hand und Fuß gewehrt hat? Aus nachvollziehbaren Gründen: Der Absatz von PS-Schleudern ist der wesentliche Gewinnbringer vor allem für die Hersteller teurer Wagen – und mit einem Tempolimit würde die Lust am Rasen und damit an übermotorisierten Fahrzeugen fallen.
Gilt das nun auf einmal nicht mehr? Audi-Chef Markus Duesmann beruft sich auf die „Energie- und Klimakrise“ bei seinem „Aufruf zum Umdenken in der deutschen Verkehrspolitik“ (ich habe mich zuerst vertan und in einem Freudschen „Verleser“ zunächst „in der deutschen Volksrepublik“ gelesen). Die Menschen müssten in der Energiekrise sparen, sagte er der „SZ“. Doch Geld „als einziger Regler“ reiche nicht: „Um uns in Deutschland besser einzustimmen auf die Lage und die Notwendigkeit des Sparens, könnte es wieder autofreie Tage geben, so wie in den 1970er-Jahren.“ Auch ein Tempolimit sei angesichts der hohen Spritpreise in Deutschland angemessen, so Duesmann.
Die Argumentation des Audis-Chefs gegenüber dem Blatt: „Wir müssen umdenken, uns klar werden, dass sich unser Leben ändert“. Man müsse auch die Vorteile bei solchen Maßnahmen sehen: „Wenn es ein Sonntag ist, werde ich mit meinem Rennrad über die gesperrte Autobahn fahren.“
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich halte die Argumentation von Duesmann für völlig legitim. Ich teile diese Ansicht nicht, aber ich respektiere sie. Doch dass hier ausgerechnet der Audi-Chef zum Auto-Verzicht aufruft, halte ich für absurd. Das ist so, wie wenn ein Tabak-Produzent dazu aufrufen würde, weniger zu rauchen und rauchfreie Tage einzuführen.
Schlimmer noch – Duesmann fällt den eigenen Unterstützern in der Regierung und in den Verbänden in den Rücken. Denn seine Aussagen widersprechen nicht nur der Verkehrspolitik der FDP und Minister Volker Wissing, sondern auch dem Verband der Automobilindustrie. Präsidentin Hildegard Müller kanzelte kürzlich die Vorschläge von Tempolimit und autofreien Tagen ab. Autofahrer würden „keine Belehrungen“ brauchen, so Müller laut „FOL“.
Was also steckt hinter der Initiative des Audi-Chefs? Meine erste spontane Assoziation war die Erinnerung an die frühe Sowjetunion, als böse „Kulaken“ sich quasi selbst bezichtigen mussten im meist erfolglosen Versuch, ihren Kopf zu retten.
Ex-Bild-Chef Julian Reichelt kommentiert auf Twitter: „Was der Audi-Chef hier vollkommen entkoppelt fordert, ist, dass normale Menschen ihre Kinder am Sonntag nicht mehr mit dem Audi zum Fußball fahren dürfen. Arroganz und Abgehobenheit unserer Eliten ist furchterregend.“
Woran liegt es?
Es gibt zur zwei Erklärungsmöglichkeiten. Die eine wäre eine „Läuterung“ Duesmanns. Also dass ihn die rot-grüne Muse küsste, ihm Erleuchtung brachte und er nun sein Leben und Wirken neu denkt. Was kein Wunder wäre, angesichts der Dauer-Gehirnwäsche in Medien und sozialen Netzwerken.
Die zweite Erklärungsmöglichkeit: Es handelt sich um einen Kniefall. Eine Selbstkastration in der Hoffnung, das schmerzhafte „Enteiern“ durch den Zeitgeist und seinen Jüngern zu entgehen und sich selbst mit an die Spitze der Bewegung zu stellen, die einem den Garaus machen will.
Für diese Erklärung spricht, dass der Ingolstädter Autobauer ab 2026 keine neuen Autos mit Benzin- oder Diesel-Motor mehr herstellen wird und ab 2033 nur noch Elektrofahrzeuge die Werksgelände verlassen sollen.
Anschauungsmaterial
Wenn künftige Historiker versuchen werden, das Rätsel zu lösen, wie die erfolgreichste Automobilbauer-Nation der Welt diesen entscheidenden Ast für ihre wirtschaftliche Existenz selbst absägte, werden die Aussagen von Duesmann sicher hilfreiches Anschauungsmaterial sein.
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