Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen
Ganz offensichtlich hatten sich Ministerpräsidenten und Kanzlerin nicht den Rat ihres Lieblingsvirologen, Christian Drosten, geholt oder sind ihm nicht gefolgt. Denn der empfiehlt etwas ganz anderes.
In seinem Podcast, der hier vom NDR rezipiert wurde, hat der Chefvirologe der Charité Vorschläge gemacht, die neue Infektionswelle einzudämmen, welche schon erprobt werden. Die Rede ist von Mini-Lockdowns über zwei bis drei Wochen, die wie ein Schutzschalter bei exponentiellen Fallzahlen wirken sollen. Durchgeführt werden diese „Circuit Brakers“ bereits in Wales und Nordirland, teilweise auch in Schottland.
Der Vorteil, laut Drosten, ist, dass von vornherein klar ist, wie lange die Lockdowns durchgeführt werden und evtl. abgschätzt werden kann, zu welchem Zeitpunkt ein solcher Mini-Lockdown günstig wäre (beispielsweise in den Ferien). Innerhalb eines solchen Lockdowns könnte man beispielsweise auch das Prinzip der „Social Bubble“ anwenden, das darin besteht, die Leute nicht allein zuhause in Quarantäne zu lassen, sondern feste Kontakte zwischen zwei oder drei Haushalten zu ermöglichen, welche dann eine Gruppe bilden, die alles zusammen machen könnte. Durch die Gruppenbildung würde dann ein etwaiges Infektionsgeschehen für die Gesundheitsämter übersichtlich und der soziale Kontakt gewährleistet.
Ideen, über die man diskutieren kann. Nicht mehr, fürs Erste.
Der Gastronomie- und Kultur-Shutdown, der jetzt beschlossen wurde, ist auch unter Virologen wohl nicht gerade der Hit.
Grundsätzliches zu Drosten und seiner Sprache
Man kann durchaus empfehlen, sich einen Podcast mit Drosten anzuhören, weil sich dadurch auch ein Problem Drostens erkennen lässt, oder eines, das Teile der Öffentlichkeit mit ihm haben.
Der Virologe mit der sanften Stimme bedient sich einer vergleichsweise brutalen Sprache, die ein durchaus rigoroses Denken freigibt.
So spricht Drosten nicht von Quarantäne oder Isolieren, sondern von „Wegisolieren“. Man könnte meinen, dass solche Begriffe unreflektiert benutzt werden, aber das Denken, das dahintersteht ist, gleichfalls kompromisslos. So spricht Drosten davon, dass der Gesundheitsbereich nicht verhandelbar sei und leitet daraus auch eine Zwangsläufigkeit der Maßnahmen (die er vorschlägt) ab. „Das Virus erzwingt einen Lockdown, es verhandelt nicht.“
Ganz genau, möchte man meinen, das Virus verhandelt nicht, aber wir verhandeln, selbst die Bundesregierung und die Landesregierungen müssen verhandeln, was der eigentliche Unterschied zwischen Mensch und Virus ist.
Drosten stellt die Lage so dar, dass die Gesellschaft quasi in den diktatorischen Modus wechseln muss, wenn sie das Virus bekämpfen will und jubelt den Leuten dieses Denken mit seiner sanften Stimme unter.
Wer nicht aufpasst, glaubt ihm. Denn absolutes Denken ist typisch für Menschen, die sich im Krisenmodus befinden.
Selbstverständlich ist die Aussage, dass die Gesundheit nicht verhandelbar ist, irreführend. Denn es geht ja um relative Maßnahmen, die die Gesundheit der Menschen mal mehr oder mal weniger gut schützen können, aber niemals absolut. Jeder Arzt weiß das und verhandelt mit den Patienten.
Es geht hier um Maßnahmen, die das soziale, psychische und wirtschaftliche Überleben in der Gesellschaft mehr oder weniger erschweren und damit auch massive Nebenwirkungen haben. Sie müssen also abgewogen werden und diese Abwägung ist Gegenstand einer Verhandlung.
Als Virologe wohl nicht mit Grundrechten unterwegs
Schließlich stellen viele seiner vorgeschlagenen Maßnahmen schwerste Grundrechtseinschränkungen dar. So auch die Überlegung, retrospektive Infektionscluster dadurch zu identifizieren, dass man nach der Ansteckungsquelle eines Infizierten fragt und dann in mögliche Gruppen hineingeht, diese auf Verdacht testet und isoliert. Für eine solche Heimsuchung durch das Gesundheitsamt auf bloßen Anfangsverdacht gibt es derzeit keine gesetzlichen Grundlagen, weil sie den Rechtsstaat ziemlich massiv auf den Kopf stellen würden. Drosten bedauert das, aber es ist eben nicht seine Sache. Er spricht harmlos von Regularien, wenn er massive Grundrechtseinschränkungen meint. Seine Gegner sprechen aber von Repression.
Auch in einer Pandemie hat eine Gesellschaft Rechte und die Bürger haben Grundrechte, die nicht aufgehoben werden können.
Drosten geht über diese Tatsachen zu leicht hinweg und verspielt dadurch Vertrauen. Vielleicht ist dies ein Grund, dass sich die Bundesregierung langsam von ihm abwendet, auch wenn er sachlich interessante Vorschläge macht, die aber eher als wissenschaftlicher Brainstorm und nicht als politische Vorschläge gewertet werden sollten.
Fazit: Christian Drosten ist ernst zu nehmen, aber mit Vorsicht zu genießen. Er integriert demokratische Belange weder in seine Sprache noch in sein Denken und ist damit als „politischer Berater“ einer Regierung denkbar ungeeignet.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“