Warum wir lernen müssen, uns zu irren Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

Es gibt Momente, die sich für immer ins Gedächtnis brennen. Für mich war einer dieser Momente der Blick eines Mannes, den ich einst als Freund betrachtete. Es war am Ende eines Gesprächs – oder genauer gesagt, eines Interviews –, das ich naiv für ein offenes Kollegengespräch hielt. Er sah mich an, mit einer Kälte und einem Hass, den ich bis dahin nicht für möglich gehalten hätte. Sein Blick war nicht einfach nur wütend – er war anklagend, ja fast entmenschlichend. „Wegen Menschen wie Dir, wegen Deiner Corona-Berichterstattung, sterben Menschen“, sagte er.

Ich weiß noch, wie ich in diesem Moment dachte: Wenn er jetzt ein Gewehr hätte und wir uns in einer rechtlosen Situation befänden, wüsste ich nicht, was er tun würde. Dieser Blick, dieser Moment, hat sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt.

Ein Freund, der keiner mehr war

Es war nicht irgendein Journalist, der mir das sagte. Es war jemand, den ich bis zu genau diesem Moment für einen Freund hielt. Jemand, der meine Tochter in den frühen 2000er Jahren in Moskau als Baby auf dem Arm gehalten hatte; mit dem ich in der Sauna gemeinsam geschwitzt habe. Jemand, den ich kannte und dem ich vertraute. Anfang 2021 hatte er sich unter dem Vorwand der Freundschaft mit mir in Verbindung gesetzt, und um ein Gespräch für eine Geschichte in der „Süddeutschen“ gebeten – angeblich, um meinen Standpunkt besser zu verstehen.

Doch ich wurde gewarnt. Ein ehemaliger Kollege vom „Focus“ riet mir eindringlich, vorsichtig zu sein und abzusagen: „Die locken dich aufs Glatteis. Trau denen nicht.“ Aber ich, naiv und blauäugig, wie ich manchmal bin und auch bleiben möchte, antwortete ihm: „Das ist ein Freund. Der würde mir nie etwas Böses tun.“

Heute weiß ich: Ich hätte auf die Warnung hören sollen. Denn das gesamte Gespräch war eine Falle. Er machte mir falsche Angaben darüber, was für ein Artikel entstehen würde, und suchte gezielt nach Zitaten, die gegen mich verwendet werden konnten. Kurzfristig hatte er sogar angekündigt, noch jemanden mitzubringen, was einen ehemaligen „Focus“-Kollegen, als ich ihm davon erzählte, noch misstrauischer machte. Doch ich ließ mich auch von diesem glasklaren Indiz nicht abschrecken.

Das Gespräch, das ich – ganz arglos – nicht aufzeichnete, sollte sich als moralische Lektion entpuppen. Er und sein Kollege traten auf wie Ankläger, die einen Angeklagten vernehmen – und dabei „guter Polizist“ spielten. Als ich ihn später bat, mir seine Aufzeichnung zur Verfügung zu stellen, weigerte er sich mit der dummdreisten Begründung, es sei „technisch zu schwierig“ mit dem iPad. Rückblickend kann ich nur sagen: Es war eine geplante Falle. Und ich bin hineingetappt.

Das Ergebnis war eine Seite-3-Geschichte in der „Süddeutschen“, die – um es mit den Worten eines jüdischen Freundes und bekannten Journalisten zu sagen – an den Stil des „Stürmers“ erinnerte. Aus dem Gespräch wurde bis auf zwei Aussagen, die aus dem Zusammenhang gerissen waren, gar nichts wiedergegeben. Das Stück war ein Propaganda-Machwerk wie aus dem Lehrbuch. Solidarische Kollegen schätzten es als Rufmord ein (siehe hier). Meine Sichtweise wurde in dem Text gezielt unter den Teppich gekehrt. Das Gespräch hatte nur stattgefunden, um mich bloßzustellen.

Doch dieser Geschichte war nur die Spitze des Eisbergs. Es gab viele andere, die zwar nicht mein Vertrauen ausnutzten, aber dennoch den Kontakt abbrachen, oder mich einfach als „Nazi“ diffamierten – und damit jeden Dialog unmöglich machten. Händeschütteln? Grüßen? Bei vielen Fehlanzeige. Ich wurde behandelt wie ein Aussätziger. Nicht von allen, aber von vielen.

Kein Hass, aber auch keine Vergebung

Ich empfinde keinen Hass auf den Kollegen von der Süddeutschen, den ich früher für einen Freund hielt. Stattdessen empfinde ich Mitleid. Mitleid, weil ich ihn für jemanden halte, der von Ehrgeiz und Ambitionen zerfressen ist. Nach allem, was ich weiß, lebt er nur für seinen Beruf und seine Ideologie, deren Opfer er selbst geworden ist. Er glaubt, auf der „richtigen Seite“ zu stehen und in dieser Überzeugung sieht er keinen Grund, sich selbst zu hinterfragen.

Aber auch wenn ich keinen Hass habe: Ich werde ihm nicht verzeihen. Vergebung würde ihm nichts bedeuten. Sollte er diesen Artikel lesen, wird er wahrscheinlich nur zynisch lachen und herablassend sagen: „Ja, selber schuld, wenn du Nazi geworden bist.“

Ich nenne den Namen des Kollegen hier gezielt nicht – weil ich ihm keine Bühne geben will. Und weil es in diesem Text nicht um ihn geht. Er ist nur einer von vielen. Oder, wie Puschkin es vielleicht gesagt hätte: ein Schuft – aber ein typischer. Es geht nicht um ihn, sondern um das, was er und so viele andere Kollegen repräsentieren: Eine pervertierte „Haltung“, in der Vertrauen und Menschlichkeit nichts mehr zählen, aber Gesinnung alles ist. Für seine Verdienste wurde er später zum Biografen des Kanzlers gemacht – ein typischer Aufstieg im Gesinnungsbetrieb, in dem Linientreue mehr zählt als Anstand.

Und so ist die folgende, entscheidende Frage wohl leider, leider nur eine rhetorische: Obwohl doch inzwischen glasklar ist, dass die kritischen Fragen damals mehr als berechtigt waren – warum ist niemand bereit, sich zu entschuldigen? Nicht dieser Kollege, nicht andere, die den Kontakt abbrachen oder mich als „Nazi“ beschimpften? Nicht einmal Institutionen wie die Bundespressekonferenz, die mich wegen meiner Arbeit ausschloss, obwohl inzwischen klar wird, dass Kritik an der Corona-Politik nicht nur berechtigt, sondern geradezu zwingend notwendig war.

Entmenschlichung: Die gefährlichste Waffe der Ideologen

Die Antwort ist leider klar. Und logisch: Ideologen, egal welcher Couleur, neigen dazu, Menschen in Täter und Opfer einzuteilen. Es ist ein einfacher Mechanismus, der massive Konsequenzen hat. Der Gegner wird nicht mehr als Mensch mit Würde wahrgenommen, sondern als Feindbild, das bekämpft werden muss. Dies ermöglicht es, moralische Grenzen zu überschreiten und Handlungen zu rechtfertigen, die man in einem anderen Kontext niemals akzeptieren würde – auch nicht bei sich selbst. Wenn man jemanden als „Täter“ wahrnimmt, als „Bösen“, und sich selbst als „Guten“, kann man sich bei ihm auch nicht entschuldigen.

Warum wir lernen müssen, uns zu irren

Der Unterschied zwischen Menschen wie meinem ehemaligen Freund und solchen, die eher wie ich ticken, liegt nicht in der Überzeugung, im Recht zu sein. Ich glaube ebenfalls, dass ich auf der richtigen Seite stehe. Klar. Doch ich lasse immer die Möglichkeit zu, dass ich mich irren könnte. Diese Selbstreflexion ist nicht nur eine intellektuelle Übung, sondern ein Schutzmechanismus gegen ideologischen Fanatismus.

Wer glaubt, unfehlbar zu sein, wer felsenfest überzeugt ist, Recht zu haben, kann keine Empathie zeigen. Denn Empathie erfordert die Fähigkeit, die Perspektive des anderen einzunehmen – selbst wenn man mit ihr nicht übereinstimmt. Ohne Empathie gibt es keine Menschlichkeit. Und ohne die Fähigkeit, seine Fehlerhaftigkeit zu erkennen, Irrtümer einzugestehen und sich zu entschuldigen, gibt es keine Selbstkritik und keinen Fortschritt.

Die Rolle des Narzissmus und der Fehlerkultur

Die Unfähigkeit, Fehler einzugestehen, ist oft ein Ausdruck von Narzissmus. Menschen, die an ihrem eigenen Bild der moralischen Überlegenheit festhalten – und die heute allgegenwärtig sind, gerade in Politik und Medien –, können in der Regel keine Kritik ertragen. Sie schützen ihre Ideologie wie ein fragiles Konstrukt, das bei der kleinsten Erschütterung zusammenbrechen würde. Weil sie so unsicher sind. Fehler einzugestehen, würde für sie bedeuten, Schwäche zu zeigen – ein Gedanke, der für Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Zügen unerträglich ist.

In einer gesunden Fehlerkultur können Menschen Irrtümer einräumen, ohne ihre Identität oder ihren Wert infrage zu stellen. Auch mir macht es keinen Spaß, Fehler zuzugeben. Aber es bringt einen eben auch nicht um. Doch bei ideologisch aufgeladenen Menschen, in ideologisch aufgeladenen Zeiten fehlt diese Kultur oft. Stattdessen erleben wir seit Jahren eine Gesellschaft, die auf Ausgrenzung, Selbstüberschätzung und moralische Urteile setzt, statt auf Dialog und Verständnis. Corona war hier der traurige Höhepunkt. Wenn Sie hier bei mir mitlesen, haben Sie sicher auch Ausgrenzung und Entmenschlichung in dieser gruseligen Zeit erlebt.

Der Verrat als gesellschaftliches Symptom

Was mich an dem hier beschriebenen Erlebnis mit dem Kollegen am meisten erschüttert hat, war nicht seine Kritik an meinen Überzeugungen. Kritik ist völlig legitim, ja notwendig. Es war die Entmenschlichung – der bewusste Verrat an einer Freundschaft zugunsten einer ideologischen Agenda. Und mein Freund war nicht allein – ein weiterer Kollege, den ich ebenfalls für einen Freund hielt, schrieb zu dem Artikel später einen bitterbösen Leserbrief tief unter der Gürtellinie. Warum hat er nicht einfach angerufen, wenn er mit mir nicht einverstanden war? Warum ein öffentlicher Dolchstoß mit üblen Unterstellungen, ja Rufmord?

Dieser Verrat steht exemplarisch für eine breitere gesellschaftliche Entwicklung.

Die Polarisierung hat ein Niveau erreicht, auf dem persönliche Beziehungen zerbrechen und Diffamierung zur Normalität wird: Andersdenkende sind nicht mehr Menschen mit anderer Meinung, die man trotzdem mögen kann – sie sind Feinde, „Täter“. Und damit Ausgestoßene. Die Gräben gehen bis in die Familien hinein. Vor zwanzig Jahren konnte man sich ideologisch trefflich streiten, und danach gemeinsam ein Bier trinken. Heute wäre das für viele undenkbar.

Dieser Fundamentalismus ist sonst totalitären Systemen zu eigen. Er unterscheidet Deutschland massiv von autoritären Staaten, die keine totalitären Züge haben. Und er hat das Fundament der demokratischen Gesellschaft grundlegend zerstört. Was früher als Errungenschaft galt – die Fähigkeit, miteinander zu sprechen, einander zuzuhören und voneinander zu lernen – gilt heute als Verrat. Wer der AfD auch nur zuhört, ist schon verdächtig.

Ein Appell an Selbstreflexion und Menschlichkeit

Die zentrale Lehre aus dem Nationalsozialismus hätte sein müssen, Entmenschlichung in jeder Form zu vermeiden. Kritiker, Menschen, die eine andere Meinung haben als die vorherrschende, nie zu diffamieren, zu mobben, zu brandmarken. Mit ihnen zu sprechen, zu diskutieren. Doch genau hier haben wir als Gesellschaft versagt. Statt zu lernen, dass wir alle fehlbar sind und dass Dialog der Schlüssel zu einer besseren Welt ist, haben wir erneut ein Klima geschaffen, in dem moralische Überzeugung zur Waffe wird. Mitglieder und Sympathisanten der AfD werden heute wie Aussätzige behandelt. Das ist eine Schande. Kein aufrechter Demokrat darf sich so verhalten.

Wir müssen wieder lernen, dass Irren zutiefst menschlich ist. Dass wir selbst uns irren können und dürfen – und andere auch. Ich schreibe bewusst „wir“: Denn das Problem mit dem Dogmatismus ist diesseits wie jenseits der politischen Fronten in unserem Land zu finden. Auch unter uns Kritikern der Corona-Maßnahmen waren und sind nicht alle dieser Sünde fern. Auch ich selbst nehme mich da explizit nicht aus. Auch wenn es weh tut.

Sich einzugestehen, dass man Fehler macht, ist nicht ein Zeichen von Schwäche, sondern ein Beweis von Menschlichkeit. Denn wenn wir uns selbst gegenüber nachsichtig sein können, können wir es auch anderen gegenüber: Dann können wir (wieder) lernen, in unserem Gegenüber einen Menschen zu sehen – und kein Feindbild. Das kann, darf und soll jedes AfD-Mitglied für sich einfordern – aber auch ein Karl Lauterbach, eine Annalena Baerbock oder ein Robert Habeck. Wir dürfen alle drei auf das härteste kritisieren. Ja wir sollen das sogar. Aber wir dürfen sie nicht entmenschlichen.

Und wir müssen lernen, unsere Überzeugungen immer zu hinterfragen, sie nie zu Dogmen werden zu lassen. Auch wenn es unbequem ist. Aber wer Dogmen hat, ist nicht mehr lebendig. Nur, wenn wir die Dogmen aufbrechen, können wir den Kreislauf der Entmenschlichung durchbrechen und eine Gesellschaft (wieder-)aufbauen, die auf Respekt und Verständnis basiert – und nicht auf Ideologien, die Spaltung säen.

Zumindest jetzt, kurz vor Weihnachten, wird man sich das wenigstens wünschen dürfen. Auch wenn man nicht mehr an Wunder glaubt – nicht mehr zu benennen, das man sich wünscht, wäre fatal.

❆ WEIHNACHTSGABE ❆
FÜR KRITISCHEN JOURNALISMUS

Im Dezember 2019 ging meine Seite an den Start – damals mit einem alten Laptop am Küchentisch. Heute erreicht sie regelmäßig mehr Leser als manch großer Medienkonzern. Und trotzdem: Der Küchentisch ist geblieben. Denn eines hat sich nicht geändert – meine Unabhängigkeit. Kein Verlag, keine Zwangsgebühren, keine Steuermittel. Nur Herzblut – und Sie.

Umso dankbarer bin ich, wenn Sie bei Ihren Weihnachtsgaben auch an mich denken. Jede Geste, ob groß oder klein, trägt mich weiter. Sie zeigt: Mein Engagement – mit all seinen Risiken, Angriffen und schlaflosen Nächten – ist nicht vergeblich.

1000 Dank dafür! Und eine frohe, besinnliche Advents- und Weihnachtszeit!

Der direkteste Weg (ohne Abzüge) ist die Banküberweisung:
IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71.

Alternativ sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – allerdings werden dabei Gebühren fällig. Über diesen Link

Auch PayPal ist wieder möglich.
Nicht direkt – aber über Ko-fi: Über diesen Link

(BITCOIN-Empfängerschlüssel: bc1qmdlseela8w4d7uykg0lsgm3pjpqk78fc4w0vlx)

Wenn Ihr Geld aktuell knapp ist – behalten Sie es bitte. Mir ist wichtig, dass niemand zahlen muss, um kritisch informiert zu bleiben. Ohne Ausnahme. Gleichzeitig bin ich umso dankbarer für jede Unterstützung, die keinen Verzicht abverlangt. Egal ob groß oder klein – jede Weihnachtsgabe ist ein wertvolles Geschenk für mich und gibt mir das, was in diesen Zeiten am kostbarsten ist: Motivation und Kraft.

Dafür: Ein großes Dankeschön– von ganzem Herzen!

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