Wie eine Gesellschaft kippt….

In Deutschland wird regelmäßig „Vergleich“ mit „Gleichsetzung“ verwechselt. So unsinnig es wäre, die heutige Bundesrepublik gleichzusetzen mit autoritären Regimen, so sträflich wäre es, keine Vergleiche anzustellen, um dann zu untersuchen, wo die Unterschiede sind und wo es mögliche Ähnlichkeiten gibt.

Schon mit meiner Schulzeit hatte ich mich im Geschichts-Leistungskurs immer gefragt, wie es so weit kommen konnte, dass eine Gesellschaft „kippt“, dass die demokratischen Kontroll-Mechanismen versagen, und die Menschen oder zumindest die Mehrheit lemminghaft in eine Wahn verfallen. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Antwort am eigenen Leib erfahren würde. Und noch dazu – vielleicht – nicht nur einmal.

In Russland habe ich ab dem Jahr 2000 erlebt, wie der frühere KGB-Oberstleutnant Putin Schritt für Schritt die Demokratie abschaffte. So langsam, in so kleinen Schritten, so gut getarnt, etwa mit vielen wunderbaren Sonntagsreden, dass es kaum jemand merkte. Statt Zensur gab es „wirtschaftliche Konflikte“ bei kritischen Medien, Kritiker wurden nicht mehr eingesperrt, sondern bekamen plötzlich Hass oder gar Prügel von „Aktivisten“ zu spüren, in den Fernsehsendern wurde plötzlich nur noch die Opposition kritisiert, und es wurde gemahnt, wenn die an die Macht komme, dann sei das der Sieg des Faschismus. Es gab weiter Wahlen – nur wurde die Opposition so unfair behandelt und stigmatisiert, dass sie keine Chancen hatte, und die anderen Parteien wirken alle so, als seien sie sich bei den großen Themen entweder einig oder tabuisierten sie einstimmig.

Wer warnte vor einem neuen Abgleiten in eine Diktatur, wurde im besten Fall milde belächelt. Jeder konnte doch noch frei seine Meinung sagen, die Opposition kam zu Wort, und was könne der Staat für die Übergriffe auf Kritiker und die wirtschaftlichen Probleme von kritischen Medien.

Kommt Ihnen all das etwas bekannt vor?

Ich fürchte, unser größter Fehler im Umgang mit der Geschichte besteht darin, dass wir darauf fixiert sind, dass sie sich eins zu eins wiederholt. Dass wir Angst haben vor einem neuen 1933 oder eine Wiederkehr der DDR im alten Gewand. Dabei droht weder das eine noch das andere. Die Gefahr ist, dass Totalitarismus, Unfreiheit und Demokratiefeindlichkeit in neuem Gewand erscheinen, verkleidet, maskiert, ganz langsam, schleichend. Dass zuerst kaum einer die Gefahr ernst nimmt.

Auch Hitler und Stalin wurden wohl auch deshalb nicht rechtzeitig entlarvt, weil sie in ihrer Zeit etwas Neues darstellten, und die Menschen zu sehr auf die alten Gefahren fixiert waren. Ein weiterer, massiver Fehler im Umgang mit unserer Vergangenheit ist, dass wir rückwirkend glauben, das Böse sei im Namen des Bösen geschehen. Dass also die Menschen Hitler oder Stalin nachliefen, weil sie sich für das Böse entschieden hätten. Aus ihrer subjektiven Sicht waren viele von ihnen – die unzähligen Opportunisten ausgenommen – aber völlig überzeugt, auf der Seite des Guten zu sein. Diese eigentlich sehr triviale Erkenntnis scheinen heute aber viele vergessen zu haben, und blicken geradezu infantil auf die Vergangenheit – ohne die entscheidende Erkenntnis, dass das Böse immer im Namen des Guten geschieht. Und dass dann, genau aus diesem Irrglauben heraus, auf der Seite des Guten zu sein, das Unrecht beginnt.

Genau in diesem Sinne – und nicht im Sinne einer Wiederholung des Dritten Reiches oder der DDR – tritt unsere Gesellschaft heute wieder auf die gleichen Mistgabeln wie in der Geschichte. Wenn der CDU-Veteran Elmar Brok die Werte-Union als „Krebsgeschwür“ bezeichnet, wenn Friedrich Merz gewählte Parlamentarier als „Gesindel“ diffamiert, wenn gegen den politischen Gegner Hass geschürt wird – und das mit der Bekämpfung von Hass begründet wird. Denn natürlich fühlt man sich ja – wie schon die Vorfahren – auf der Seite des Guten. Dabei werden aus Brandstiftern werden keine Feuerwehrleute, nur weil sie glauben, sie würden ja im Namen des Guten zündeln.

Wie weit sich der von oben geschürte Hass in die Gesellschaft gefressen hat, zeigt eine Nachricht aus Münster: Weil sie sie für AfD Mitglieder gehalten haben, versperrten Demonstranten Besuchern eines 70. Geburtstags den Zugang zu einem Restaurant. Wenn man diesen Irrsinn und Wahn konsequent zu Ende denkt, müsste es auf eine Kennzeichnungspflicht für Mitglieder bestimmter Parteien hinauslaufen. Erschreckend, wie sich die Mechanismen gleichen, und wie immun viele sind gegen die Lehren der Geschichte.

Ralf Höcker, Sprecher der Werte-Union, trat gestern nach Morddrohungen und Einschüchterungen von all seinen politischen Ämtern zurück. „Mir wurde vor zwei Stunden auf denkbar krasse Weise klar gemacht, dass ich mein politisches Engagement sofort beenden muss wenn ich keine ,Konsequenzen‘ befürchten will“, erklärte er. FDP-Politiker wie Michael Rubin, Sohn von Holocaust-Überlebenden, mussten sich als Nazis beschimpfen und bedrohen lassen. Ein FDP-Ministerpräsident wurde bedroht, seine Frau bespuckt, seine Kinder konnten nur noch mit Polizeischutz in die Schule.

Man stelle sich nur für eine Sekunde vor, ein Politiker von SPD, Grünen oder Linken hätte wegen ständiger massiver Bedrohungen von Rechtsextremen aufgegeben und diese öffentlich gemacht. Der Aufschrei hätte Deutschland erschüttert, es hätte Lichterketten gegeben, Sondersendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Durchaus zurecht.

Bei einem Unions-Mann dagegen – so gut wie keine Reaktion.

Im Januar wurde ein neuer Gesetzentwurf zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vorgelegt. Also nur Rechtsextremismus – nicht von linkem oder religiösem Extremismus.

Unter Angela Merkel wird Extremismus gezielt instrumentalisiert: Selbst die bürgerliche Mitte wird als rechtsextrem („Nazi“) diffamiert, um abzuschrecken und abzulenken, Linksextremismus wird geduldet, wenn nicht gefördert zur Terrorisierung des politischen Gegners.

Das ist der wahre Dammbruch in Deutschland und die größte Gefahr für unsere Demokratie.

Wenn Extremisten – egal ob rechts, links oder religiös – Politiker terrorisieren und bedrohen, müssen alle Demokraten zusammenstehen und das verurteilen. Stattdessen erleben wir bis hinein in höchste Staatsämter ein Schweigen, das so penetrant ist, dass es wie Komplizenschaft wirkt. Wir haben es mit Demokratie-Feinde im Schafspelz zu tun. Bis ganz oben in unserem Staat.


Bild: Pixabay

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