„Wie im Hotel“

Ein Gefängnis, so habe ich das in Schule gelernt, ist dazu da, Kriminelle zu bestrafen. Dazu gehört auch ein gewisser Abschreckungseffekt. Ich war in meinem Leben – Gott sei dank nur als Journalist und Besucher – im Ausland in schlimmen Knästen, die den Insassen neben der Freiheit auch noch die Würde nahmen. Das hat hat kein Straftäter verdient.

Umso größer war meine Überraschung, als mir dieser Tage ein Kollege einen Beitrag von „Spiegel“ TV über die Justizvollzugsanstalt im sächsischen Waldheim schickte. Das Stück ist zwar bereits 2017 auf Sendung gegangen – hat aber an Aktualität nichts verloren (auch das Strache-Video war fast zwei Jahre alt, und hat dennoch eine Regierung zum Sturz gebracht). Es wirkt wie ein Blick in ein Parallel-Universum.

Die JVA Waldheim ist ein Gefängnis für „schwere Jungs“, also wegen schwerer Straftaten verurteilter, in dem laut Reportage „immer mehr Männer mit Integrationshintergrund einsitzen“. Dem Bericht zufolge erinnert der Knast eher an ein Hotel als an das, was man landläufig als Gefängnis versteht. Im begeisterten Ton schildert die Sprecherin des Spiegel-Beitrags: „,Wenn schon Knast, dann Waldheim, denkt auch Drogendealer Jaffel: ,Für ihn ist es hier fast erholsam. Urlaub in Sachsen, im Einzelzimmer.´“ Dann kommt der Gefangene selbst zu Wort: „Es ist hier wie in einem Hotel, wir sind hier nicht zu zehnt oder zu zwanzigst in einer Zelle, in Tunesien bringen sie sehr viele Menschen in einer Zelle nebeneinander unter, hier hat jeder sein eigenes Bett, und seine eigene Sachen.“

Die Gefängnisleitung kümmert sich derart um die Insassen und ihre Bedürfnisse, wie ich als weit Gereister mir das in manchem Hotel gewünscht hätte. In den Duschbereich wurde extra eine „Schamwand“ eingebaut (im Film wird sie „Dursch-Burka» genannt), das Menü ist selbstverständlich diversifiziert, Toleranz als Konflikt-Vermeidungsstrategie wird groß geschrieben, und mehr noch: „Wer nach dem Wecken noch etwas dösen will – kein Problem, ausschlafen ist ausdrücklich erlaubt“, wie die Sprecherin in dem Film stolz betont. Das würde ich mir auch wünschen. «JVA Waldheim ist die beste Wahl, vor allem in Sachsen, wie Luxus hier, nicht wie Dresden und Gorlitz“, erzählt ein verurteilter Drogenhändler strahlend in die Kamera – beim Training im Fitness-Studio. Damit der Zuschauer nicht vollends das Gefühl bekommt, die Reportage drehe sich um ein Sanatorium und nicht um ein Gefängnis, bremst dann die Sprecherin: „Doch kein noch so gutes Gefängnis kann mit der Welt da draußen mithalten“. Und: «Die Anstaltsleitung will den Männern neben der Freiheit nicht auch noch die Würde nehmen, das weiß man zu schätzen“.

Damit hat die Anstaltsleitung völlig Recht. Aber eine gewisse Abschreck-Wirkung sollte von einer Freiheitsstrafe schon ausgehen. Und wenn sich die Gefangenen wie in einem Hotel fühlen, mögen das die Spiegel-Reporter – so spürt man es zumindest – ganz toll finden. Ob es wirklich sinnvoll ist, ist eine ganz andere Frage. Ich musste sofort an die wilden Zeiten in Russland zurückdenken, als dort unter Michail Gorbatschow das Essen und vieles andere knapp war – und es einen regelrechten Gefängnistourismus etwa nach Schweden gab, wie zumindest die Legende besagt: Sowjetbürger verübten dort kleinere Straftaten, die ihnen mehrere Monate Gefängnis einbrachten – wo sie sich im Vergleich zur hungrigen Freiheit in Russland geradezu im Luxus fühlten.

P.S.: Als gelernter Zwischen-den-Zeilen-Leser frage ich mich bei so mancher Aussagen der JVA-Beamten, ob sie wirklich das denken, was sie sagen. In meinen Augen in manchen Momenten nicht. Ich bin gespannt auf Ihre Eindrücke – unten in den Kommentaren.


Bild: Screeshots Spiegel-TV/youtube

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