Aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus heraus haben die Väter unseres Grundgesetzes dem Bundespräsidenten eine besondere politische Zurückhaltung auferlegt. Das ist gut so. Und mehr oder weniger haben sich bisher alle Bundespräsidenten daran gehalten. Bis auf den jetzigen. Der agiert nicht wie ein Präsident, sondern wie ein Aktivist. Das hat er jetzt bei einer „Gesprächsrunde über Rassismus“ in seinem Amtssitz Schloss Belevue erneut eindringlich belegt. Und in den Medien fiel offenbar kaum jemandem auf, wie er sich dabei entlarvte.
Frank-Walter Steinmeier, der in seiner Studentenzeit für die vom Verfassungsschutz beobachtete Zeitschrift „Demokratie und Recht“ schrieb, deren Verlag der Deutschen Kommunistischen Partei nahestand und von der DDR finanziert wurde, sagte bei seinem Auftritt: „Nein, es reicht nicht aus, ‚kein Rassist‘ zu sein. Wir müssen Antirassisten sein.“
Nein, Herr Präsident!!! Antirassismus ist ein umstrittener Begriff. Für die einen ist der die Inkarnation des Guten. Für viele etwas, was man sich aus Opportunismus auf die Fahnen schreiben muss. Für andere wie mich steht er, ähnlich wie „Anti-Faschismus“, für den Missbrauch einer eigentlich guten Sache für politische Ziele. Für die Pervertierung einer guten Idee. Im Namen des Anti-Rassismus wird in den USA Gewalt ausgeübt. Massive. Und sie ist auch schon in Deutschland aufgetreten: Bei der „Anti-Rassismus“-Demonstration in Berlin am Samstag vor einer Woche wurden 28 Polizisten verletzt. Lässt man die austauschbaren, von den Redenschreibern zusammengeschriebene Phrasen weg, die immer edel klingen, aber meist wenig Substanz haben, sagt Steinmeier zwei geradezu empörende Schlüsselsätze. Die kaum jemand aus den Worthülsen herausfilterte. Zum einen: „Solange es Rassismus gibt in unserer Gesellschaft, in unserem Umfeld, in unserer Nachbarschaft, vor allem aber in unseren eigenen Einstellungen, Vorurteilen, Denkmustern, können wir uns nicht teilnahmslos verhalten. Sondern wir entscheiden uns – jeden Tag, bewusst oder unbewusst, in unserem Handeln wie in unserem Nichthandeln –, wo wir stehen, auf welcher Seite wir stehen.“
Und: „Rassismus erfordert Gegenposition, Gegenrede, Handeln, Kritik und – was immer am schwierigsten ist – Selbstkritik, Selbstüberprüfung. Antirassismus muss gelernt, geübt, vor allen Dingen aber gelebt werden.
Kaum verholen unterstellt das Staatsoberhaupt seinen Bürgern damit faktisch und pauschal Rassismus und fordert eine Umerziehung. Ich weiß nicht, wie es sich bei Steinmeier verhält. Aber ich kenne genügend Menschen, die, anders als er behauptet, keinen Rassismus in ihren „eigenen Einstellungen, Vorurteilen, Denkmustern“ haben. Denen Hautfarbe und Herkunft egal sind. Und die sich deshalb eben nicht „jeden Tag“ neu entscheiden müssen, wo sie stehen. Wenn das für den Präsidenten und/oder seine Redenschreiber zutrifft, wenn sie Selbstbezichtigung für nötig halten, haben sie mein Mitgefühl. Aber sie mögen bitte nicht von sich pauschal auf alle Menschen in diesem Land schließen.
Und vor allem mögen sie diese nicht (um-)erziehen. Genau das fordert Steinmeier mit seiner Aussage, „Antirassismus muss gelernt und geübt werden.“ In seiner heutigen Ausprägung steht der „Antirassismus“ vor allem dafür, überall die Menschen nach Hautfarbe und Herkunft zu unterscheiden. Und etwa zu zählen, wo wie viele Menschen welcher Herkunft welche Posten besetzen. Ich will es nicht lernen, Menschen unter dem Vorwand des Antirassismus nach ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Ethnie zu unterteilen.
Ein Bundespräsident hat der Repräsentant mündiger Bürger zu sein. Und nicht deren Vormund und Erzieher. Bezeichnend, dass es heute in Deutschland kaum noch jemandem auffällt, dass Steinmeier genau in diese Rolle geschlüpft ist. Ich will ein Staatsoberhaupt, und keinen Aktivisten und Umerzieher.
Bilder: Arne List/flickr.com(CC BY-SA 2.0)