Angst und Schrecken in Dijon – und Schweigen in ARD und ZDF

In Dijon, der idyllischen Hauptstadt der historischen ostfranzösischen Region Burgund mit 155.000 Einwohnern, geht die Angst um. Bewaffnete Banden von Tschetschenen auf der einen und Menschen mit nordafrikanischen Wurzeln auf der anderen Seite liefern sich dort seit Tagen in einem Vorort Schlachten, für die das Wort bürgerkriegsähnlich kaum zu hoch gegriffen ist. Sie sind bewaffnet mit Schlagstöcken, Sturmgewehren und Kriegswaffen. Weil die Polizei vor Ort des Treibens nicht Herr wird, musste das Innenministerium in Paris am Dienstag eine Spezialeinheit in die Stadt schicken.

Mehrere Nächte lang wurden in dem Vorort mit dem Namen Grésilles unter anderem auch massive Brandstiftungen verübt: Autos und Gegenstände wurden angezündet, Barrikaden errichtet. Laut Innen-Staatssekretär sind die Bewohner von Dijon „von diesen Vorfällen traumatisiert“. Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen „versuchten Mordes durch organisierte Banden“. Auslöser der Gewalt war offenbar ein brutaler Angriff auf einen 16-jährigen Tschetschenen, für den seine Landsleute Rache nehmen wollen. Rache hat in der Tradition der moslemischen und von zwei Bürgerkriegen erschütterten russischen Teilrepublik eine große Bedeutung.

Dijon ist ein Fanal: Die Ängste all derjenigen, die einen Import von Gewalt und Konflikten durch Zuwanderung befürchten, werden in der betulichen französischen Senf-Metropole auf beunruhigende Weise bestätigt. Wer mit kritischen, wachen Augen nach Frankreich blickt, stellt sich unwillkürlich die Frage, ob solche Zustände auch hierzulande drohen. Gerade auch, weil sehr viele Tschetschenen und Nordafrikaner zuwandern – also die Gruppen, die in der Stadt in unserem Nachbarland aneinander geraten sind.

Insofern sollte man erwarten, dass in Deutschland breit über die Ereignisse berichtet wird. Dass sie in Talkshows Thema sind, in den Nachrichtensendungen. Stattdessen: Schweigen in den großen öffentlich-rechtlichen Medien. Eine Suche auf tagesschau.de und auf zdf.de ergab in der Nacht auf Mittwoch keinen einzigen Treffer. Dagegen titelt etwa die Welt in ihrem Video: „TSCHETSCHENEN SCHLAGEN ZU: Frankreich schockiert von Gewalt in Vororten von Dijon“. Es wäre die ureigenste Aufgabe von ARD und ZDF, mit ihrem großen Netz an Korrespondenten, wie es kein privates Medium hat, hier ausführlich zu berichten. Dijon zeigt ebenso wie die Berichterstattung zu den Protesten in den USA (siehe meinen Beitrag „Unglaubliche Gewaltszenen aus den USA, die unsere Medien nicht zeigen“): Werden die großen öffentlich-rechtlichen Sender damit ihrem Programmauftrag gerecht? Oder steht Ideologie vor Information? Weil nicht sein kann, was nicht sein dar, wird auch nicht berichtet.

Erfreulich ist, wie die privaten Medien das Vakuum der öffentlich-rechtlichen wenigstens halbwegs füllen. Hier wird zumindest berichtet – wenn auch eher im Kleingedruckten, also in bzw. auf den hinteren Seiten. „Bandenkrieg zwischen Tschetschenen und Nordafrikanern – mit Kriegswaffen“ schreibt die Welt und nennt damit Ross und Reiter. Ganz anders die Süddeutsche. „Die Straßenschlachten zwischen rivalisierenden Banden eskalieren“, schreibt die Münchner Zeitung. Sie berichtet zwar von „Angst und Schrecken“ – die ethnische Komponente wird aber eher schamhaft umschrieben. Die Wörter Nordarika“ und „Nordafrikaner“ kommen gar nicht vor, „Einwanderung“ und „Einwanderer“ nur einmal, versteckt im Wort „Einwandererviertel.“ Man muss zwischen den Zeilen lesen wie in Ländern mit unfreien Medien. Am Schluss des SZ-Beitrags heißt es: „Keine Frage: Frankreichs Rechtsextreme frohlocken. Sie werden alles tun, um aus den Unruhen von Dijon politisch Kapital zu schlagen.“

Von den öffentlich-rechtlichen berichtet zwar der Deutschlandfunk mit seiner vergleichsweisen Reichweite. Doch dessen Reichweite ist vergleichsweise mickrig. Er nennt weder in der Überschrift noch im Vorspann Ross und Reiter, aber wenigstens im ersten Absatz. Damit kann man das gerade noch als journalistisch korrekt abhaken – wäre der Beitrag nicht den Ereignissen unangemessen viel zu kurz, mit nur zwei Absätzen.

ntv berichtet zwar, reagiert aber mit den üblichen Instinkten. Liest man den Beitrag dort, könnte man zu dem Schluss kommen, das größere Problem als der Bandenkrieg seien Rechtspopulisten, die, überspitzt ausgedrückt, genau vor dem warnen, was gerade passiert. In dem oben erwähnten Beitrag der Welt ist das ähnlich – wie die anderen Medien beendet auch sie ihren Text mit Hinweis auf die so genannten „Rechtspopulisten“: Marie Le Pens „Partei Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung, der frühere Front National) beschwört immer wieder einen ‚Bürgerkrieg‘ in französischen Vorstädten herauf, der mit aller Härte bekämpft werden müsse.“ Auch das klingt fast so, als habe Le Pen Zustände wie in Dijon heraufbeschworen.


Bilder: SpreeTom, WikiCommons, (CC BY-SA 3.0)

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