Wie Medien die Corona-Demo in Berlin framen Teilnehmer klagen über unangemessene Härte der Polizei

Es waren Szenen, bei denen man sich auf den ersten Blick an Weißrussland erinnert fühlte: Markus Haintz, Rechtsanwalt der „Querdenken“-Initiative, wurde am Sonntagmittag auf dem Berliner Alexanderplatz festgenommen. Auf dem Handy-Video eines Augenzeugen ist zu sehen, wie ihm ein Polizist mit beiden Händen das Gesicht zuhält. Anschließend geht Haintz zu Boden und ein Beamter drückt ihm die Schulter gegen den Asphalt. Seine Freundin Friederike de Bruin-Pfeiffer, die einen der Polizisten bei der Festnahme zu behindern versucht, wird von einem anderen Beamten mit voller Wucht und Anlauf weggeschupst. Direkt auf eine Hauswand bzw. den Boden. Nachdem sie hingefallen ist, tritt sie den attackierenden Beamten mit dem Bein. Der zerrt sie daraufhin am Arm weg. Währenddessen wird Haintz mit dem Gesicht zum Asphalt fixiert und schließlich abgeführt. Hier sehen Sie die Szenen:

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Ich war bei der Festnahme nicht dabei und ohne die Vorgeschichte zu kennen, wäre es vermessen, sich ein Urteil zu erlauben. Ein Begleiter von Haintz erklärte in einem Videointerview, der Anwalt sei während eines Gesprächs mit einem Polizisten von drei Beamten von hinten regelrecht überrumpelt und festgenommen worden. Das legt ein auch Video nahe, das die Szenen unmittelbar vor der Festnahme zeigt (anzusehen hier). Haintz sagte, ihm sei Landfriedensbruch vorgeworfen worden (anzusehen hier). Sucht man in den Google-Nachrichten nach „Haintz Festnahme Berlin“, gibt es nur wenige Suchtreffer bei den großen Medien. Eine kurze, stichprobenartige Recherche zeigt: Viele Medien berichten irreführend über die Ereignisse am Sonntag.

„Spiegel Online“ schreibt unter der Überschrift: „Polizei untersagt Demo – und lässt sie trotzdem laufen“ Folgendes: „Wieder gibt es in der Hauptstadt Protest gegen die Corona-Politik. Viele Teilnehmer ignorierten den Infektionsschutz, die Polizei ließ sie trotz ausdrücklichen Verbots unbehelligt demonstrieren.“ Das widerspricht aber eklatant Videoaufnahmen, die im Netz zu finden sind, und den Berichten der Augenzeugen, mit denen ich gesprochen habe. Und auch den vielen Festnahmen, deren Zeuge ich indirekt wurde (weil ich bei der Feststellung der Personalien zugegen war; siehe Interviews in meinem Livestream hier und hier).

 

Offenbar bezieht sich die Spiegel-Berichterstattung auf einen früheren Zeitpunkt der Demonstration. Tatsächlich ist die Polizei laut mehreren Berichten anfangs nicht eingeschritten. Eine solche Information aber nicht zu aktualisieren, wenn die Ereignisse sich genau gegenläufig entwickeln, ist ein Belügen des Lesers. Der Bericht im Spiegel endet wie folgt: „Gegen 16 Uhr wurde die Demonstration vom Anmelder beendet, wie die Berliner Polizei auf Twitter mitteilte. Laut der Nachrichtenagentur dpa kamen Polizisten auf die Bühne.“ Kein Wort von den zahlreichen Festnahmen. Der Schlusssatz lautet: „Die Teilnehmer sollten den Ort rasch verlassen, andernfalls wollte die Polizei mit Anzeigen reagieren.“ Der Bericht ist offenbar von dpa übernommen. Die Nachrichtenagentur ist Leitmedium und entscheidet über die Berichterstattung in Deutschland. Journalisten scherzen: „Wenn dpa über etwas nicht schreibt, hat es für die Redaktionen nicht stattgefunden“. So ganz offenbar auch an diesem Sonntagnachmittag. Ich habe früher selbst für dpa gearbeitet und hatte eine hohe Meinung von der Agentur.

Der gebührenfinanzierte RBB schreibt: „Gegner der Corona-Maßnahmen verstoßen bei Demo massiv gegen Auflagen“. Das trifft nach den Bildern und Augenzeugenberichten zu. Allerdings wurde ich am Abend auch Zeuge, dass die Polizei selbst massiv gegen die Auflagen verstieß. Zu sehen sind mehrere Szenen, in denen Polizisten ohne Masken und Mindestabstand zusammenstehen, in meinem Livestream auf Youtube. Auch die Festgenommenen wurden teilweise unter Missachtung des Mindestabstands festgehalten. Und korrekterweise hätte der RBB zumindest erwähnen müssen, dass es früher etwa bei der Anti-Rassismus-Demonstration zu massiven Verstößen gegen die Corona-Regeln gekommen ist, ohne dass die Polizei einschritt. Das ist keine Rechtfertigung für weitere Regelverstöße, aber sollte zumindest in einem Nebensatz angesprochen worden.

In dem RBB-Bericht wird weder über die Festnahme von Haintz noch über die zahlreichen Festnahmen berichtet. Es ist nur von einer einzigen Festnahme die Rede: „Nach rbb-Informationen wurde eine Demonstrationsteilnehmerin festgenommen, die zuvor einem Polizisten in die Hand gebissen hatte.“ Diese Aussage trifft nach Aussagen eines Augenzeugen offenbar zu; es soll sich bei der „Beißerin“ demnach um ein Kind gehandelt haben; wenn das so ist, hätte es der RBB erwähnen sollen. Vor zwei Wochen hatte die Berliner Polizei bei einer Demonstration einer Frau Widerstand gegen die Staatsgewalt und einen Angriff auf einen Polizisten vorgeworfen, obwohl sich dank meines Videos nachweisen ließ, dass beides eine Falschaussage war (siehe hier). 

Auch in einem Bericht des Tagesspiegel wird von den Festnahmen nicht berichtet (siehe hier). Dort wird der Polizei vorgeworfen, zu milde vorgegangen zu sein. Auch dies bezieht sich offenbar auf den ersten Teil der Aktionen. Unter anderem heißt es in dem Beitrag: „Zur  „Querdenken“-Bewegung, die zu dem Protest aufgerufen hatte, gehören Corona-Skeptiker, Verschwörungsideologen und Leugner der globalen Pandemie. Unter ihren Befürwortern sind auch bekannte Namen wie der Vegan-Koch Attila Hildmann, der antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet,  „Reichskanzler“ werden und Deutschland von der „Merkel-Diktatur“ befreien will.“

Soweit mir bekannt ist, hat sich „Querdenken“ deutlich von Hildmann distanziert. Deshalb erinnert die Formulierung in dem Text an Framing, also Manipulation. Würde der Tagesspiegel es auch erwähnen, wenn Hildmann etwa Bundeskanzlerin Merkel loben würde (statt sie wie bisher zu verdammen)? Mit einem Tweet versucht der Tagesspiegel den Eindruck zu erwecken, die Polizei sei gegen Gegendemonstranten härter vorgegangen als gegen „Querdenker“:

Weiter steht da: „Eine Szene, die unser Reporter beobachtete, zeigt, wie ein Gegendemonstrant den ‘Querdenkern‘ den Mittelfinger zeigt und anschließend von der Polizei kontrolliert wird. Er trägt eine Maske. Die drei Demonstranten ohne Maske wurden von der Polizei nicht angesprochen.“ Das ist jedoch keine Polizeiwillkür, sondern völlig korrekt: Das Zeigen des Mittelfingers ist eine Beleidigung und damit strafbar, die Polizei muss hier im Zweifelsfall Personalien feststellen. Egal, ob jemand eine Maske trägt oder nicht.

Die Frankfurter Allgemeine (FAZ) berichtet von den Festnahmen, verschweigt aber die von Haintz. Auch das Material der FAZ stammt offensichtlich von einer Nachrichtenagentur, denn es ist etwa wortgleich bei n-tv zu finden. Insofern wirkt die Autorenzeile „Quelle: FAZ.NET“ bei der FAZ wie eine Irreführung der Leser. N-tv betitelt dagegen korrekt alle Quellen: Quelle: ntv.de, kst/dpa/AFP.

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Auffällig ist, dass in den hier analysierten Medien weitgehend die Perspektive der Polizei übernommen wird und Demonstranten oder Vertreter der Gegenseite nicht zu Wort kommen. Nirgends wird auch nur ansatzweise hinterfragt, warum die gleiche Polizei, die etwa im Umgang mit Linksextremen, kriminellen Clans und Drogendealern regelmäßig auf Kuschel-Kurs und Deeskalation setzt, hier plötzlich ungewohnt hart vorgeht.

Ich persönlich kam zu spät zu der Demonstration in Friedrichshain, weil ich über eine von „Querdenken“ angemeldete Demonstration an der Siegessäule berichten wollte. Diese wurde jedoch ohne Angabe von Gründen abgesagt. Lediglich Presse war vor Ort.

Interessant auch meine Begegnung mit Gegendemonstranten, die zum großen Teil jeder Diskussion aus dem Weg gingen, mich beschimpften und schließlich versuchten, mich mit Hilfe der Polizei loszuwerden (anzusehen hier).

Sehen Sie hier meinen gesamten Livestream.

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Bild: Boris Reitschuster

Text: br


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