Von Mario Martin
In Rostock geht man gern mal spazieren. Daher waren in den letzten Wochen stets viele tausende Menschen bei den Montagsspaziergängen auf der Straße. Vermutlich waren die Rostocker Umzüge die deutschlandweit größten.
Nach offiziellen Angaben zogen vor einem Monat rund 17.000 Menschen durch Rostock und auch an den folgenden Montagen waren tausende Menschen unterwegs. Am 3.1. wurden offiziell 4.000 Menschen und vom Veranstalter 27.000 Menschen gemeldet. Letzte Woche wurde die offizielle Teilnehmerzahl mit 3.000 bis 4.000 Menschen angegeben.
Anscheinend erregten die hohen Teilnehmerzahlen die Aufmerksamkeit der Politik. Das gestrige Polizeiaufgebot und auch die Polizeitaktik war jedenfalls nicht mit dem Vorgehen der letzten Wochen zu vergleichen.
Informationen aus Polizeikreisen
Im Vorfeld zu den gestern bundesweit stattgefundenen Protesten hatten uns Informationen zu der Veranstaltung in Rostock erreicht.
Die gut unterrichtete Quelle aus Polizeikreisen berichtete von einem internen Konflikt in den Reihen der Rostocker Polizei. Dort wäre es beim Erteilen der Befehle für den gestrigen Abend zu Problemen gekommen, als sich Teile der Polizei geweigert hätten, das von der Polizeiführung geforderte Vorgehen durchzusetzen.
Eine Konfrontation der Polizei mit den Demonstranten sei intendiert gewesen. Da sich die Unterführer der Polizei Rostock geweigert hätten, gewaltsam gegen die Spaziergänger vorzugehen, wären diese nicht zu der Besprechung zugelassen worden.
Teile der Rostocker Polizei wären vom angedachten Vorgehen und vom Ausschluss geschockt gewesen, hieß es.
Darüber hinaus wurde vor einer absichtlichen Eskalation durch V-Leute einerseits und Hooligans von Hansa Rostock auf der anderen Seite gewarnt.
Um die Aufgabe durchzuführen, seien dann ersatzweise Hundertschaften aus Schleswig-Holstein angefordert worden. In den Livestreams waren diese dann auch zu erkennen. Externe Kräfte waren allerdings auch immer schon in den Vorwochen zugegen gewesen. Allerdings nie in diesem Ausmaß.
Das große Aufgebot der Polizei setzte sich aus farblich markierten Einheiten, Einheiten der Bundespolizei sowie Einheiten der Bereitschaftspolizei aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zusammen.
In einem Telefonat mit der zuständigen Polizeidienststelle wurden die Aussagen unserer Quelle weder verneint noch bestätigt. Unterführer seien nie bei Lagebesprechungen zugegen und es sei auch nichts Ungewöhnliches, dass externe Bereitschaftspolizei und die Bundespolizei eingesetzt werden.
Auf die Frage, warum diesmal so viele Kräfte im Einsatz waren, wurde darauf verwiesen, dass die Teilnehmer in der Vorwoche von Provokateuren aufgeputscht worden wären. Dies hätte man gestern mit dem massiven Aufgebot verhindern wollen.
Letzten Montag seien zu wenig Kräfte (rund 400) vor Ort gewesen, die dem Treiben tatenlos zusehen hätten müssen.
Ablauf der Veranstaltung
Das riesige Aufgebot hatte die Veranstaltung gestern Abend von Anfang an im Griff. Gleich zu Beginn des Umzugs wurde der durch die Rostocker August-Bebel-Straße laufende Zug von einer Polizeiabsperrung aufgehalten.
Der Zug staute sich dann auf und wurde von beiden Seiten von der Polizei eingekesselt. Die Angaben zur Anzahl der eingekesselten Menschen variieren. Die Livebilder geben leider keinen Aufschluss. Die Menschen in der Liveübertragung sprachen immer wieder von mehreren Tausend.
Da die Auflagen zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung von den Teilnehmern teilweise nicht eingehalten worden waren, sagte der Veranstalter die Veranstaltung um 18:40 Uhr ab, ohne sie eröffnet zu haben. Auch, weil nicht genügend Ordner zur Verfügung standen. Anschließend wurden die Menschen vom Veranstalter gebeten, nach Hause zu gehen.
Nun waren die Menschen aber eingekesselt und konnten nicht einfach gehen. In der Aufzeichnung ist zu hören, dass sich innerhalb des Kessels auch schwarz vermummte Teilnehmer aufhielten.
Nachdem die Veranstaltung abgesagt worden war, kam es immer wieder zum Einsatz von Pyrotechnik. Es folgten Durchsagen, die Nutzung von Böllern und Pyrotechnik zu unterlassen und friedlich zu bleiben. Die Menschen skandierten “Straße frei!” und “Schämt euch!” in Richtung der Polizei, die den Demonstrationszug eingekesselt hatte.
Die Polizei erlaubte dann gegen 19:15 Uhr Eltern mit Kindern die Veranstaltung Richtung Steintor zu verlassen.
Etwa zur gleichen Zeit setzte sich außerhalb des Kessels ein Demozug in Bewegung.
Im Livestream war das riesige Polizeiaufgebot zu sehen. Zwei Wasserwerfer standen bereit. Die Polizei setzte Pfefferspray gegen die Menschenmenge ein:
17.1.22 – August-Bebel-Straße – Rostock
Bundespolizei setzt Pfefferspray wahllos gegen Menschenmenge ein.#hro1701 #Montagsspaziergang #Polizei pic.twitter.com/FMZIPWGaF0
— Eugen Richter (@Freiheitsloewe) January 17, 2022
Auch danach kam es zu Gewaltszenen. Hier prügeln Polizeikräfte aus Schleswig-Holstein auf einen Demonstranten während der Festnahme ein:
„Fotzen seid ihr! Wixer! Schweinehunde!“ schreien Demonstranten zu den Beamten. Die zunehmende Verrohung ist beängstigend. Ich hab in den vergangenen Monaten kaum eine Demo erlebt, auf der Beamte nicht aufs Übelste beschimpft & angegangen wurden. #hro1701 pic.twitter.com/INNn78iZFl
— Sophia Maier (@_sophiamaier) January 17, 2022
Bei Betrachtung dieser Szenen wird erkennbar, dass die Polizei anscheinend mit niedriger Einsatzschwelle agierte – also angewiesen war, schnell einzugreifen. Ob hier Gewalt provoziert werden sollte, steht auf einem anderen Blatt.
Ebenfalls ist nicht klar, wer die Pyrotechnik in Richtung der Polizei warf, und ob es sich dabei möglicherweise um V-Leute handelte.
Hier finden Sie einen vollständigen Stream aus dem Kessel von gestern Abend und können sich selbst einen Eindruck vom Geschehen machen:
Polizei 'sehr zufrieden' mit der 'völlig aus dem Ruder gelaufenen Corona-Demo'
Im Interview mit der Ostseezeitung (Paywall, Madsack-SPD), bemerkte der Pressesprecher der Polizei Rostock, Stefan Baudler, am späten Abend, dass die Veranstaltungen in Rostock “im Großen und Ganzen friedlich abgelaufen sind”, er und die Kollegen sind: ”da wirklich sehr zufrieden.”
Widersprüchlich wirkt in diesem Kontext, was die Ostsee-Zeitung am Dienstagmorgen (Paywall) schreibt: “Die Corona-Demo in Rostock mit rund 3.000 Teilnehmern ist am Montag völlig aus dem Ruder gelaufen. Es gab mehrere verletzte Polizisten, Wasserwerfer fuhren auf. Flaschenwürfe, Böller, elf Festnahmen und mehrere verletzte Polizisten: Wochenlang blieb es bei den Corona-Demonstrationen in Rostock friedlich, dieses Mal aber griff die Polizei durch.”
Ja, die Polizei griff durch. Das ist auf den Bildern zu sehen. Aber hat die Abschreckung funktioniert oder wird das Abwälzen des eigenen politischen Versagens auf die Polizei, indem man wieder einmal fabulöse Vorwände nutzt, um eine Demonstration zu unterbinden, nicht noch mehr Menschen mobilisieren?
Einmal mehr musste die Polizei als Prügelknabe herhalten, sich von Teilen der Antifa applaudieren lassen, und friedliche Menschen für die Ausübung ihres Demonstrationsrechts bestrafen.
Rostocks Polizeichef Achim Segebarth äußerte sich (Paywall) ebenfalls: „Es ist uns gelungen, konsequent einen Aufzug zu verhindern, der sich nicht an die Regeln hält.“
Es gehe nicht darum, friedliche Demonstrationen zu verhindern. „Aber Gewalt hat keinen Platz bei Demonstrationen. Und die Regeln müssen eingehalten werden“, so Segebarth weiter.
Er fügte hinzu: „Aufgrund der Anzahl der eingesetzten Kräfte war es uns möglich, die Auflagen auch umzusetzen.“
Da kommt es natürlich gerade recht, wenn ein paar Spinner Flaschen und Böller auf die Polizei werfen, während die Polizei in Bataillonsstärke – es waren etwa 1.000 Polizisten im Einsatz – zugegen ist, um gegen die vermeintlichen Extremisten durchzugreifen.
Noch viel mehr großartige Bilder zur gestrigen Demo in Rostock finden Sie auf dieser Seite. Wir bedanken uns bei Alexander Heil für die Freigabe.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Mario Martin ist Ökonom und arbeitet als Software-Projektmanager in Berlin.
Bilder: Alexander HeilText: mm