Es ist ungewöhnlich in einer Demokratie, dass ein Parteimitglied seinen Parteichef entlässt. Genau das ist heute in Sachsen-Anhalt geschehen. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der schon 1976 in die CDU der DDR eingetreten war, hat Landesinnenminister Holger Stahlknecht (Chef der Landes-CDU) entlassen. Damit steht die CDU in dem Bundesland vor einer Zerreißprobe. Haseloff wirft seinem Parteichef vor, die laufenden Bemühungen gestört zu haben, die Koalition aus CDU, SPD und Grünen im Konflikt um die Erhöhung des Rundfunkbeitrages zu stabilisieren. Und zwar, indem er „unabgestimmt den Koalitionsbruch in den Raum gestellt“ habe, so Haseloff. Damit sei das Vertrauensverhältnis schwer gestört. Schwer gestört hatten aber Tage zuvor die kleinen Koalitionspartner mit ihren zusammen 15,8 Prozent der Wählerstimmen das Vertrauen: Sie drohten der CDU (29,8 Prozent) frech mit Koalitionsbruch, wenn sie nicht für eine Erhöhung der Fernsehgebühren stimmen würde.
Insofern war das, was Stahlknecht getan hat, also Notwehr nach den Drohungen der anderen Parteien. Und somit ein ganz normaler Vorgang in einer Demokratie. Und keine Ketzerei. So etwas gehört zum normalen Poker um die Macht. Der einzige relevante Vorwurf gegen Stahlknecht könnte sein, dass er dies nicht mit Haseloff abgestimmt hat. Aber immerhin ist Stahlknecht Parteichef und nach den demokratischen Sitten, die früher in Deutschland herrschten, darf ein Parteichef solche Überlegungen anstellen.
Hysterische Reaktion
Nicht so im Merkel-Deutschland. Hier war die Reaktion hysterisch. Wurden die Aussagen des CDU-Chefs doch von SPD und Grünen als schlimmstmögliche Ketzerei im „besten Deutschland aller Zeiten“ aufgefasst: als Ankündigung für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Eine solche wird im Zweifelsfall selbst bei anderen Parteien schon einmal per Machtwort der Kanzlerin aus Südafrika gestoppt, wie im Februar in Thüringen geschehen.
Der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich, der eigentlich wenig mit dem Bundesland zu tun hat, echauffiert sich: „Die CDU in Sachsen-Anhalt droht mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Es ist zu befürchten, dass eine solche Kooperation zwischen CDU und AfD tatsächlich nur ein weiterer Schritt bei der Annäherung zwischen diesen beiden Parteien ist.“ Die CDU, so Mützenich, verlasse damit den Konsens der demokratischen Parteien, mit Anti-Demokraten nicht zusammenzuarbeiten. Seine Forderung: Das müssten die verantwortlichen Entscheidungsträger in der CDU verhindern.
„Bei der Aussage des Genossen Mützenich wird deutlich, dass die SPD den bürgerlichen Demokratiebegriff des Bonner Grundgesetzes abgelegt und sich den Ausdruck ,Demokratie‘ der Antifaschisten von SED und KPD zu eigen gemacht hat“, kommentiert ein bekannter Unionspolitiker, der anonym bleiben möchte, die Position des ranghohen Sozialdemokraten.
Tatsächlich müssen SPD und Grüne nur noch „Hüh“ rufen und schon macht die CDU brav Männchen. Selbst Gedanken an ein Ausscheiden aus einer Koalition und eine Alternative in einer Minderheitsregierung beantwortet die Partei inzwischen mit Entlassungen des „Ketzers“. Der wurde zudem offenbar sofort zur völligen Kapitulation gedrängt: Er kündigte seinen Rücktritt an. Das sind Vorgänge, wie sie in demokratischen Systemen eher unüblich sind. Man kann hier getrost von einer politischen Selbstkastration der Partei sprechen. Auf Bitten ihrer Gegner. Und wohl auch mit dem Kanzleramt im Nacken.
Dass die einst stolze CDU so brav Männchen machte, lobte denn auch die SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Sachsen-Anhalt, Katja Pähle, zufrieden im Neusprech: „In einer Zeit, in der Demokratie bekämpft wird, kommt es besonders auf Haltung an. Reiner Haseloff hat heute Haltung gezeigt“, lobte sie den Ministerpräsidenten. Haltung war früher eigentlich etwas, was man eher mit Dressurreiten in Verbindung brachte als mit Politik. Oder eben mit ideologischen Systemen. Ein Kollege mit DDR-Erfahrung sagt immer: „Haltung ist heute das, was bei uns früher der Klassenstandpunkt war. Nach diesem Maßstab wird die Welt heute in Gut und Böse eingeteilt. Und nur, wer den richtigen Klassenstandpunkt hat, ist ein guter. Kenne ich alles von früher.“
Die Sozialdemokratin mahnte auch, der Konflikt um die Ausrichtung der CDU in dem Bundesland sei noch nicht entschieden. Grünen-Fraktionsvorsitzende Cornelia Lüddemann hatte zuvor die Forderung aufgestellt, dass „die Vernünftigen in der CDU“ dagegen aufstehen sollten. SPD und Grüne wollen also den Kurs der CDU bestimmen. Und haben sich durchgesetzt. Kann man sich da wirklich noch wundern, wenn Kritiker das böse Wort „Blockparteien“ in den Mund nehmen?
Streit um Rundfunkgebühr
Der Hintergrund des Streites geht noch viel tiefer. Die eigentliche Ursache ist die Ankündigung der CDU-Fraktion, gegen die Beitragserhöhung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stimmen. Sollte die Fraktion das durchsetzen, könnte das kleine Bundesland die Beitragserhöhung bundesweit stoppen, weil sie nur bei Einstimmigkeit aller 16 Landesregierungen und Landtage möglich ist.
Im Hintergrund wird nun offenbar Druck gemacht, dass die CDU-Fraktion durch ein Umfallen in dieser Frage die Selbstkastration noch weiter vorantreibt. Bezeichnend ist auch das weitgehende Schweigen innerhalb der Partei zu dem Mini-Putsch in Magdeburg (und so kann man es bezeichnen, wenn ein Parteichef vom Ministerpräsidenten entlassen wird, der in der Parteihierarchie unter ihm steht). Niemand hat offenbar mehr den Mut in der Partei, Unmut offen zu äußern. Aus den stolzen Christdemokraten eines Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Helmut Kohl sind stumme Mitläufer geworden.
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Text: br
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