Von Kai Rebmann
Politiker fast aller Parteien wollen das 9-Euro-Ticket unbedingt als Erfolgsgeschichte verkaufen. Dabei wird jedoch ignoriert, dass die umstrittene Rabattaktion die jahrelangen Missstände bei der Deutschen Bahn und den Betrieben des ÖPNV schonungslos offengelegt hat. Auch die beiden Gewerkschaftsbosse Claus Weselsky (GDL) und Martin Burkert (EVG) wollen nicht so recht in die Jubelarien rund um das 9-Euro-Ticket einstimmen und versichern unisono, dass sie so etwas wie in diesem Sommer bei der Bahn „noch nie erlebt“ hätten. Weselsky bezeichnete den Zustand der Deutschen Bahn in der Welt als „katastrophal“ und wies darauf hin, dass der staatseigene Konzern jahrelang kaputtgespart worden sei. „Das ist der absolute Super-GAU“, sagte der GDL-Chef mit Blick auf die durch das 9-Euro-Ticket verursachten Chaos-Tage bei der Bahn.
Dass weder die vorhandene Infrastruktur noch die Mitarbeiter der Deutschen Bahn auf einen derartigen Ansturm vorbereitet waren, bekräftigte auch Martin Burkert: „Ich habe in einem Zug von Rostock nach Hamburg gesehen, wie Menschen buchstäblich aus dem Zug gefallen sind, als die Türen geöffnet wurden.“ Überfüllte Züge sind aber bei weitem nicht das einzige Problem, das mit der Einführung des 9-Euro-Tickets noch verschärft wurde. So berichtet der EVG-Chef als Folge der stärkeren Abnutzung unter anderem von defekten Aufzügen an den Bahnhöfen oder nicht funktionierenden Toiletten in den Zügen. Und nicht zuletzt denkt Burkert auch an die Mitarbeiter der Bahnbetriebe und warnt: „Viele Kolleginnen und Kollegen sind bereits an der Belastungsgrenze.“ Für die in jüngster Zeit deutlich gestiegenen Krankenstände machte der Gewerkschaftler zur Abwechslung mal nicht Corona verantwortlich, sondern stellte unmissverständlich klar: „Wir merken: Das 9-Euro-Ticket macht krank.“
ÖPNV nur dank milliardenschwerer Subventionen überlebensfähig
Letztendlich sind es also der S-Bahn-Fahrer in München und der Schaffner in Hamburg, die ihren Kopf, sprich ihre Gesundheit dafür hinhalten müssen, während sich die Politiker inmitten der Wirtschaftskrise als Wohltäter der Nation glorifizieren können. Anstatt sich um die Modernisierung oder zumindest Sanierung einer völlig maroden Infrastruktur zu kümmern, wozu längst nicht nur das Schienennetz gehört, werden aus allen Ecken neue Vorschläge für eine ÖPNV-Flatrate abgefeuert, die ab September auf das 9-Euro-Ticket folgen soll. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ist bereits mit einem 69-Euro-Ticket vorgeprescht. Geht es nach VDV-Geschäftsführer Oliver Wolff soll dieses „ÖPNV-Klimaticket“, wie er es bezeichnet, bundesweit in der 2. Klasse aller Regionalzüge gültig sein. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) brachte am Wochenende eine Jahres-Flatrate ins Spiel und sprach sich für ein sogenanntes 365-Euro-Ticket aus.
Alle diese Vorschläge mögen zwar sehr populär klingen und dazu beitragen, die Bahnkunden von den eigentlichen Problemen abzulenken, sie werden die von den Gewerkschaften angesprochenen Missstände aber nur noch weiter verschärfen und zu einem Dauerzustand machen. Die erwartbare Folge wären eine nie dagewesene Kündigungswelle unter den Bahnmitarbeitern sowie in der weiteren Konsequenz ein völliger Zusammenbruch der Infrastruktur. Da hilft es auch nicht weiter, wenn einzelne Medien im Zusammenhang mit der Diskussion rund um das 9-Euro-Ticket auf Länder wie Luxemburg oder Malta verweisen, in denen der ÖPNV bereits ganz kostenlos ist (Luxemburg) bzw. werden soll (Malta). Diese beiden Länder sind in keinster Weise mit einem großen Flächenland wie Deutschland zu vergleichen, sondern wenn überhaupt eher mit Großstädten wie Frankfurt oder Berlin.
Und wo es um durch Steuergeld finanzierte Subventionen geht, muss natürlich auch immer über die Kosten gesprochen werden, denn irgendjemand muss Geschenke wie das 9-Euro-Ticket ja auch bezahlen. Beim vom VDV vorgeschlagenen 69-Euro-Ticket geht Oliver Wolff von jährlichen Kosten in Höhe von rund zwei Milliarden Euro aus. Bei der aktuellen ÖPNV-Flatrate sowie dem Söder-Vorschlag lägen die Kosten für den Steuerzahler wohl noch deutlich höher. Dass der ÖPNV in Deutschland ohne Subventionen von sich aus aber eigentlich gar nicht überlebensfähig wäre, wissen auch unsere Politiker. Bremens Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne) gibt in der WamS zu: „Ohne eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel ist davon auszugehen, dass die regulären Ticketpreise im kommenden Jahr stark erhöht werden müssten, weil die stark gestiegenen Energiekosten die Kalkulationen der ÖPNV-Anbieter völlig über den Haufen werfen.“ Dies sei in Krisenzeiten aber das „falsche Signal“, so die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz. Und natürlich würde es auch das fleißig verbreitete Narrativ vom ÖPNV als „günstige Alternative“ zum eigenen Auto untergraben, wenn Bahnkunden für ein Ticket den Preis bezahlen müssten, der für einen wirtschaftlichen Betrieb der Deutschen Bahn und der angeschlossenen Verkehrsbetriebe verlangt werden müsste.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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