Der Weihnachtsmann als Murmeltier – wer hätte sich das träumen lassen? Nein, um Gottes Willen, es ist keinesfalls so, dass der gute alte Herr statt mit Rauschebart und strammem Schritt nun auf allen Vieren und mit katzenähnlichem Schnurrbart dahergekrochen kommt. Nein, Väterchen Frost, wie der russische Zwillingsbruder unseres Weihnachtsmannes klimagerecht heißt, gleicht eher einem Stehaufmännchen: Er kommt immer wieder.
Verbindung via Hollywood
Was das mit Murmeltieren zu tun hat? Die Verbindung läuft über Hollywood. In dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ hält eine Zeitschleife den Reporter Bill Murray alias Phil Connors gefangen. Immer, wenn ihn der Wecker unbarmherzig aus dem Hotelbett reißt, wiederholt sich für Murray ein und derselbe Tag, mit ein und denselben Szenen und Begebenheiten: Der Murmeltiertag in einem amerikanischen Provinznest.
Wie Bill Murray im Film ahnte auch ich zunächst nichts Böses, als ich mich pünktlich zu den schönsten Tagen des Jahres, auf Heimaturlaub in Deutschland, nach wacker durchgestandenem Vorweihnachtstrubel zum ersten Mal an mein Notebook setzte.
Ich riss die Augen weit auf, als mir plötzlich eine elektronische Glückwunschkarte nach der anderen mit ganz unromantischem Windows-Klingelton den Schlaf aus den Augen trieb. Na ja, da haben sich eben einige verspätet, sagte ich mir in meinem vom weihnachtlichen Glühwein noch etwas festlichen Zustand.
Weihnachtsmann als Murmeltier
Und da kam plötzlich die Post mit dem „Murmeltier“-Effekt: Ein Entwurf für eine Festtagskarte von meinen Kollegen aus dem Moskauer Focus-Büro – mit der unschuldigen Frage, ob die so in Ordnung sei und ob man sie so verschicken könne. Grüßt jetzt statt des Murmeltiers der Weihnachtsmann täglich?
Tausend Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Bin ich in einer Zeitschleife gefangen? Geht jetzt alles von neuem los? Warum hat mich die Zeitschleife nicht zu einer harmloseren Zeit erwischt – etwa im Sommer? Werde ich jetzt ewig auf Geschenke-Einkaufstour, schwer beladen wie ein mittelasiatischer Lastesel, durch überfüllte Innenstädte trampeln? Mit zittrigen Händen Dutzende von Weihnachtskarten bekritzeln? Wie in der Bastel-Selbsthilfegruppe beim Geschenke-Einpacken gegen die Geometrie ankämpfen?
Als ich nach dem ersten Schreck wieder klare Gedanken fassen kann, wird alles nicht viel besser. Denn auch bei nüchterner Betrachtung bin ich tatsächlich in einer Art Zeitschleife gefangen – wenn auch ganz anders als Bill Murray mit seinen Murmeltieren: Denn während in Deutschland die Festtage Vergangenheit sind und endlich das beginnt, was eigentlich nach dem Fest im Kalender steht – die ruhige Zeit – geht der Trubel in Russland erst richtig los.
Folgen der Oktoberrevolution
So wird der Flug nach Moskau am Freitag zu einer Art Zeitreise: Zurück in den Festtagsstress. Denn für die Russen war der 24. Dezember ein ganz normaler Arbeitstag. Nach der Oktoberrevolution haben die atheistischen Kommunisten Weihnachten den Garaus gemacht und Väterchen Frost tritt seither religiös neutral am 1. Januar zur Bescherung an.
Vom Tannenbaum über das Festessen bis hin zum Einkaufswahnsinn in den Innenstädten und dem Kartenschreib-Marathon – das russische Neujahrsfest unterscheidet sich vom deutschen Weihnachten allenfalls in Details.
Nach dem Fest ist vor dem Fest
Da die Feiertage in die Verlängerung gehen, spreche ich mir selbst Mut zu. Vergebens. Denn wenn ich am 1. Januar die zweite große Bescherung erfolgreich hinter mich gebracht habe, wird es mir in der Früh wieder gehen wie Bill Murray mit seinen Murmeltieren: Ich werde Weihnachten nicht nur hinter mir haben – sondern unmittelbar vor mir. Frei nach Sepp Herberger: „Nach dem Fest ist vor dem Fest!“
Des Rätsels Lösung: Die Orthodoxe Kirche rechnet immer noch nach dem alten julianischen Kalender, der dem gregorianischem um 13 Tage hinterherhinkt: Für die Orthodoxen fällt Heiligabend deshalb nicht auf den 24. Dezember – sondern auf den 6. Januar.
Doch auch zwei Wochen nach dem deutschen Fest ist damit noch nicht alles ausgestanden – und der Weihnachtsmann grüßt weiter. Gläubige Russen feiern auch das Neujahrsfest nicht nach dem weltlichen, westlichen Kalender – sondern, ganz nach Kirchen-Gusto, nach dem gregorianischen – also mit 13 Tagen Verspätung am 13. Januar.
Befehl vom Zaren
Dabei ist auch das „alte Neujahr“ in Wirklichkeit eine relative neue Erfindung. Denn es war erst der stets nach Westen schielende Zar Peter der Große, der im Jahr 1700 befahl, Neujahr am 1. Januar zu feiern (also dem 13. Januar nach dem neuen Kalender). Bis Ende des 15. Jahrhunderts feierten die Russen den Jahresbeginn pünktlich zum Anfang der Feldarbeiten am 1. März; 1492 verlegte die Orthodoxe Kirche den Jahreswechsel auf den 1. September.
Was für ein Glück, dass es die Russen bei all ihrer Liebe zur Tradition mit dem „alten Neujahr“ am 13. Januar gut sein lassen und nicht noch weiter zurückblicken – sonst würde der Weihnachtsmann fast endlos grüßen.
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