Hier mein Video zu diesem Text.
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen, besagt ein altes Sprichwort. Selten war das so aktuell wie heute. Zweimal war ich in den vergangenen Wochen in Deutschland unterwegs. Und obwohl die beiden Reisen nur sehr kurz waren, könnte ich ein kleines Buch darüber schreiben – von der Kakerlake im Hotelzimmer und dem Umgang des Personals damit über das Urin-Aroma in der Sauna bis hin zum Basar am Check-In-Schalter (von der Bahn gar nicht zu reden) – was man früher eher in Mogadischu erwartet hätte, wird heute in Deutschland wahr.
Ebenso erstaunlich wie die Erlebnisse, die an sozialistische Länder erinnern, ist die Tatsache, dass ein großer Teil der Mitbürger sie offenbar verdrängt oder sich schönredet. Solange der neue Öko-Sozialismus noch von der Substanz der alten Leistungsgesellschaft zehrt, ist das noch halbwegs gut möglich.
Heute möchte ich mich hier auf das einschneidenste Sozialismuserlebnis meiner beiden Reisen beschränken: Den Münchner Flughafen, der zu einer Art Bermuda-Dreieck verkommen ist. In dem Koffer ebenso verschwinden wie jede Art von Verantwortung.
“Einen Buckligen heilt nur das Grab”, besagt eine alte russische Redensart. Aber ich hatte wegen der vielen Mitbringsel für die Familie gar keine andere Wahl, als Gepäck aufzugeben für meinen Flug, obwohl ich die Berichte gelesen habe, wonach am Münchner Flughafen im Sommer wieder Gepäck-Chaos herrscht, weil Mitarbeiter fehlen. Und dass zeitweise jeder zehnte Flug ohne Gepäck abhebt.
Ich ahnte noch nichts Böses als ich – eingecheckt und schon durch Sicherheits- und Passkontrolle – errechnete, dass ich meinen Anschlussflug verpassen und einen Tag festsitzen würde. Dass man mir das gleich am Check-In gesagt hätte, war nicht zu erwarten. Da sich online nichts umbuchen ließ, musste ich wieder durch die Passkontrolle zurück – mit einer veritablen Warteschlange, in der ich mir vorkam wie am Bangkok-Airport (womit ich diesem wohl Unrecht tue).
Mein Gepäck, so wurde mir versprochen, würde automatisch umgeleitet.
Pustekuchen.
Auch heute, vier Tage später, steht es immer noch am Gate 1 von Terminal 1. Ich kann den Standort meiner Koffer metergenau bestimmen dank eines Airtags, das ich dort platziert habe. In vermeintlich weiser Voraussicht – die aber sinnlos war, wie sich herausstellte.
Alles, was nötig wäre, ist, dass jemand die Koffer auf ein Laufband stellt, wo sie dann automatisch erfasst und weitergeleitet werden.
Aber das ist nicht zu machen am Münchner Flughafen.
Der weist die Verantwortung auf die Fluggesellschaften, die sie wiederum aufeinander abwälzen. Auch eine Intervention weit oben brachte nichts.
Niemand ist zuständig. Der Flughafen hat offenbar Angst, einen Mitarbeiter an das Gate zu schicken. “Das dürfen wir nicht”, so Henner Euting, der Sprecher des Staatsbetriebs, sinngemäß (unten der komplette Briefwechsel – der die Lektüre wert ist): “Allein die Fluggesellschaft (ist) Ihr Ansprechpartner.“
Die aber ducken sich genauso weg.
Im Zweifelsfall dürfen sie auch gar nicht, wie die Flughafen-Gesellschaft, in jeden Bereich, um nachzusehen.
Den Flughafensprecher habe ich gebeten, mir detailliert zu erklären, wie die Verantwortlichkeit geregelt ist.
Keine Antwort. Nicht zuständig.
Niemand.
Für nichts.
Es gibt Schlimmeres, als sein Gepäck zu verlieren, auch wenn persönliche Gegenstände drinnen sind, die einem am Herz liegen.
Aber was mir wirklich das Herz bluten lässt, ist, dass wir inzwischen die organisierte Verantwortungslosigkeit haben. Niemand ist zuständig.
Ein Insider erklärte mir, dass wohl beim Umladen irgendein überforderter Mitarbeiter mein Gepäck irgendwo abgestellt hat, wo es nicht hingehört. Und es niemand sucht und findet.
Das sei heute Standard, weil es an Mitarbeitern fehlt, und diejenigen, die da sind, oft schlecht qualifiziert und überfordert sind (wovon ich die ganze Reise über ein Lied singen kann).
Über diverse Verschachtelungen, etwa über Subunternehmer („Dienstleister“), wird die Verantwortung dann noch weiter abgewälzt. So dass am Ende alles wie in einem Nebel in einem Nirvana der Verantwortungslosigkeit versinkt.
Bei der Fluggesellschaft erreicht man im Normalfall nur Mitarbeiter, die sich schwer tun, einen zu verstehen, und deren Kompetenz gegen Null geht. Eine Mitarbeiterin von Austrian Airlines, bei denen der Ball nun liegt, empfahl mir in schlechtem Deutsch, mich an den Zieflughafen zu wenden. Mein Hinweis, dass das Gepäck aber noch am Startflughafen liegt, ließ man nicht gelten: “Da haben wir keine Telefonnummer. Rufen Sie am Zielflughafen an.”
Schon im Sommer brauchte die Austrian fünf Tage, um einen nicht verlorenen, aber verspäteten Koffer meiner Tochter zuzustellen. Während etwa „Air Serbia“ auch meinen Koffer verschleppte – aber sofort fand und am übernächsten Tag zustellte.
„Austrian“ tut aktuell vor allem eines: nichts. Außer zu schweigen.
Die frühere Qualitäts-Airline hinkt heute, nach der Übernahme durch die Lufthansa, beim Service selbst Billiganbietern hinterher. Hinter vorgehaltener Hand klagen Mitarbeiter über Chaos in der Firma – deren neue Chefin von der Lufthansa dafür politisch sehr korrekt ist (siehe mein Bericht: „Lovehansa – wenn das Fliegen zum Grauen wird“).
Zuständig vor Ort für die Gepäckabwicklung ist die Lufthansa. Dort einen Ansprechpartner vor Ort zu finden ist in etwa so wahrscheinlich wie ein Lottogewinn.
Spricht man mit Crews, die München oft anfliegen, stehen einem die Haare zu Berge – da werden Flugzeuge eine gefühlte Ewigkeit nicht abgefertigt, weil Mitarbeiter für die Zugängerbrücken fehlen, da gehen Schlüssel verloren, oder die Spezialbetreuung für behinderte Passagiere kommt einfach nicht – und die stranden mitten in der Nacht auf dem Rollfeld.
Dafür macht der Flughafen groß in Klima.
So gammelt der eingekaufte Käse jetzt in meinem Koffer vor sich hin.
Irgendwann werden sich vielleicht Maden darüber hermachen.
Wo es eigentlich so einfach sein sollte, einen Mitarbeiter an den bekannten “Aufenthaltsort“ der Koffer zu schicken:
So bleibt nur Beten. Und die Hoffnung auf ein Wunder. Vielleicht liest ein Mitarbeiter des Flughafens diesen Text und fasst sich ein Herz.
“Das sind Zustände wie in der DDR”, schrieb mir ein Freund, dem ich von dem Ganzen berichtete. “Beleidige mir die DDR nicht”, war meine Antwort.
Die böse Frage, die mir sofort in den Sinn kam: Bei so viel organisierter Verantwortungslosigkeit, Unfähigkeit und Inkompetenz – ist es da nicht nur eine Frage der Zeit, bis das erste Flugzeug vom Himmel fällt?
Ich hoffe sehr, dass ich mich irre.
Aber die alte Bundesrepublik, in der “Made in Germany” noch ein Gütezeichen war und für die man uns weltweit beneidete um Effektivität, Qualität, Ordnung und Gründlichkeit, ist untergegangen. Auf Schritt und Tritt hatte ich bei meiner kurzen Reise den Eindruck, dass dafür die DDR Urstände feiert.
Dazu gerne im nächsten Text mehr, über die Urin-Sauna, das Kakerlaken-Wunder, den Basar beim Einchecken, das Schlangenwunder und viele andere Dinge, für die man wohl abstumpft, wenn man nicht längere Zeit im Ausland war und dann ganz geballt ohne Anpassungszeit die volle Dosis Öko-Sozialismus abbekommt.
Hier mein Video zu diesem Text.
Leser-Kommentar des Tages – von Acki-W:
Ähnliches ist mir vor ein paar Wochen auch passiert.
Dank der Tags hatte ich den Koffer zwei Stunden später.
War aber nicht in D, sondern am Flughafen Corfu/Griechenland.
Die Mitarbeiterin war hocherfreut, als ich ihr den Standort des Koffers (wie Sie) zeigen konnte, sagte mir sehr freundlich und im gebrochenen Englisch:“ We will fetch ist and bring ist on board“.
Hat funktioniert.
Aber eben nicht im besten D aller Zeiten. Woanders funktioniert das noch, wenn man nett fragt.
Wobei ich Ihnen damit keinesfalls unterstellen will, dass Sie nicht „nett“ gefragt hätten!!
Auf meinen vielen Reisen habe ich immer wieder festgestellt, dass die Welt nicht schlecht ist, egal wo ich war. Ich habe immer wieder Menschen, die mich gar nicht kannten, kennen gelernt, die mir geholfen haben. Nur bei uns scheint Das irgendwie nicht mehr zu funktionieren…..
12.9.23, 10.42 Uhr:
Sehr geehrte Damen und Herren,
über meine bzw. die Erlebnisse meiner Koffer an Ihrem Flughafen möchte ich gerne schreiben bzw. sie in einer Geschichte mit anderen Aspekten verarbeiten.
Im konkreten Fall liegen die Koffer, wie sich anhand der Airtags rekonstruieren lässt, seit einem Tag einfach im Terminal 1, ohne Bewegung.
Erst vergangene Woche gab es Berichte, dass jeder zehnte Flug ohne Gepäck abhebt bei Ihnen und Personalmangel die Ursache ist.
Meine Frage wäre: Warum ist es nicht möglich, getackte Koffer auf ein Förderband zu stellen, wie sie dann die Anlage automatisch weiterleitet?
Besten Dank im Voraus und freundliche Grüße
Boris Reitschuster
12.9.23, 14.30 Uhr:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sehr geehrter Herr Reitschuster,
Dass jeder zehnte Abflug ohne Gepäck stattfindet oder stattgefunden hat, dementieren wir. Der Großteil der zuletzt erfolgten Flüge ohne Gepäck fiel hierbei auf zwei Gewittertage, an denen es zu zeitweisen sicherheitsbedingten Abfertigungsstopps kam, die sich dann unweigerlich auf den Flugplan und damit auch die Schichtplanung der Abfertiger ausgewirkt haben.
Wir möchten auch darauf hinweisen, dass für die Gepäcksortierung sowie die Ermittlung verspäteter Gepäckstücke allein die Airlines und ihre Dienstleister verantwortlich sind. Die zuständigen Airlines und ihre Dienstleister sortieren das Gepäck in gesonderten Bereichen und stellen das Gepäck in der Regel mit dem nächsten möglichen Flug bzw. innerhalb weniger Tage den betroffenen Passagieren zu. Der Flughafen München ist weder in die Ermittlung noch in die Gepäcknachsendung detailliert eingebunden. Diesbezüglich müssten Sie sich bitte an die Airlines wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Henner Euting
Sehr geehrter Herr Euting, vielen Dank für Ihre Nachricht!
Gerne würde ich noch mehr über das Verfahren erfahren, denn ich möchte nun eine Glosse darüber schreiben – so ärgerlich die Sache für mich als Fluggast ist, so hoch interessant ist sie für mich als Journalist.
Denn dass Koffer zwei Tage an ein und derselben Stelle im Flughafen stehen, ohne angerührt zu werden (laut Airtags-Standortbestimmung, siehe Anlage), wo alles, was nötig wäre, aus meiner Sicht ist, sie auf ein Band zu legen, ist ja hoch interessant.
Um die generellen Abläufe zu verstehen und meinen Millionen Lesern schildern zu können, wäre ich für ein zeitnahes kurzes Interview sehr verbunden. Wann ginge es bei Ihnen?
Besten Dank im Voraus und freundliche Grüße
Boris Reitschuster
14.9.23, 15.03 Uhr:
Sehr geehrter Herr Reitschuster,
wie in der Antwort bereits geschildert, ist für die Gepäcksortierung sowie die Ermittlung verspäteter Gepäckstücke allein die Fluggesellschaft Ihr Ansprechpartner verantwortlich. Mit dem Kauf eines Flugtickets gehen Passagiere einen Vertrag mit der Airline ein, darunter fällt auch z. B. der Transport des Gepäcks. Folglich haben wir als Flughafenbetreiber keine Einsicht in die Passagier- und Gepäckdaten, die für die Sortierung und Zustellung des Gepäcks notwendig sind. Daher wenden Sie sich bitte an die betreffende Airline, um sich deren Prozess der Gepäcknachsendung erläutern zu lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Henner Euting
14.9.23, 15.16 Uhr:
Sehr geehrter Herr Euting,
mir geht es aber darum, was genau der Flughafen macht, welche Prozesse von ihm übernommen werden und welche nicht, also welche Prozesse genau er abgetreten hat oder nicht.
Es geht insbesondere darum, ob die Airline den Flughafen oder irgendwelche Subunternehmen des Flughafens beschäftigt mit der Gepäckabwicklung.
Für mich wäre sehr wichtig für den Artikel zu verstehen, wo genau die Verantwortung übertragen wird. Denn ich habe den Verdacht, dass das Problem hier genau darin liegt, dass diese nicht genau zugewiesen ist.
Besten Dank im Voraus und freundliche Grüße
Boris Reitschuster
Bislang keine Antwort von Herrn Euting
Unter Beschuss – aber umso wichtiger ist Ihre Unterstützung!
„Verschwörungsideologe“, „Nazi“ oder „rechter Hetzer“: Als kritischer Journalist muss man sich heute ständig mit Schmutz bewerfen lassen. Besonders aktive dabei: die öffentlich-rechtlichen Sender. Der ARD-Chef-Faktenfinder Gensing verklagte mich schon 2019, der Böhmermann-Sender ZDF verleumdete mich erst kürzlich als „Verbreiter von Verschwörungserzählungen“ – ohne einen einzigen Beleg zu benennen, und in einem Beitrag voller Lügen. Springer-Journalist Garbor Steingardt verleumdete mich im „Focus“, für den ich 16 Jahre lang arbeitete, als „Mitglied einer Armee von Zinnsoldaten“ und einer „medialen Kampfmaschine“ der AfD. Auf Initiative des „Westdeutschen Rundfunks“ wurde ich sogar zur Fahndung ausgeschrieben. Wehrt man sich juristisch, bleibt man auf den Kosten in der Regel selbst sitzen. Umso wichtiger ist Ihre Unterstützung. Auch moralisch. Sie spornt an, weiter zu machen, und nicht aufzugeben. Ich danke Ihnen ganz herzlich dafür, dass Sie mir mit Ihrem Beitrag meine Arbeit ermöglichen – ohne Zwangsgebühren und Steuergelder.
Aktuell sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link. Alternativ via Banküberweisung, IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut.
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