Funktionierende Demokratien kann man daran erkennen, dass die Politik und die Justiz unabhängig voneinander sind und die Medien als vierte Macht beiden mit Distanz und Kritik gegenüberstehen. Deutschland wirkt nach 16 Jahren Angela Merkel und zwei Jahren Ampel wie eine Karikatur auf solche wirklich demokratischen Zustände.
Schon seit langem ist bekannt, dass etwa das Bundesverfassungsgericht ausgewählten Journalisten – die Mitglieder der so genannten Justizpressekonferenz – über lange Zeit schon am Vorabend von wichtigen Urteilsverkündungen über seine Entscheidungen informiert. Erst als kritische Journalisten sich über diese Praxis empörten, wurde sie eingestellt.
An diese Vorabend-Information musste ich heute denken, als die „Frankfurter Allgemeine“ (FAZ) um 8.52 Uhr eine „Eilmeldung“ veröffentlichte mit der Überschrift: „AfD-Politiker Höcke zu Geldstrafe verurteilt.“ Das Problem: Um diese Zeit hat die Verhandlung noch gar nicht angefangen. Geschweige denn, dass es ein Urteil gegeben habe. Das fiel erst mehr als zehn Stunden später – am Abend.
Die @faznet weiß mehr als das Gericht – so funktioniert etablierter Journalismus im Jahr 2024. #Höcke pic.twitter.com/9yDc9YF0Y5
— Björn Höcke (@BjoernHoecke) May 14, 2024
Der Verdacht liegt also mehr als nahe, dass die Journalisten des einstigen Leitmediums „FAZ“ bereits vorab wussten, wie das Gericht entscheiden wird.
Ich musste sofort an einen alten, makabren Sowjetwitz denken: 28. Januar 1986: KGB-Chef Tschebrikow ruft CIA-Chef Casey an: „Mein Beileid zum Absturz der Raumfähre Challenger“. Casey: „Welcher Absturz? Die startet doch erst in einer Stunde?“ Tschebrikow: „Mist, diese verdammte Zeitverschiebung!“
Die einstige Qualitätszeitung erklärte schnell, es habe sich um ein Versehen gehandelt. Irgendjemand habe die falsche Taste gedrückt und einen vorformulierten Artikel aus Versehen veröffentlicht.
Bild als Vorbild?
Ganz ehrlich: Für mich klingt das wie ein Ammenmärchen. Die FAZ ist keine Nachrichtenagentur, bei ihr kommt es nicht darauf an, eine Meldung ein, zwei oder drei Minuten vor der Konkurrenz zu haben. Eine Kurzmeldung über ein Urteil kann ein erfahrener, schneller Journalist in wenigen Minuten herunterschreiben – mit dem Hinweis, dass weitere Details folgen. Genau so hat es etwa die „Bild“ gemacht, die nicht unbedingt für Qualitätsjournalismus steht.
Dass ausgerechnet die FAZ so eine 08/15-Meldung vorab formuliert, um dann besonders schnell zu sein, halte ich für wenig glaubwürdig. Zumal: Wenn die Journalisten an eine unabhängige Justiz glauben würden – warum hätten sie dann vorher schon geahnt, dass ein Schuldspruch fallen wird?
Ebenso bezeichnend wie der entlarvende Fehler der „FAZ“ ist die Tatsache, dass andere große Medien wie der „Focus“ sich geradezu krampfhaft bemühen, die Sache als Irrtum und als völlig harmlos darzustellen. Das Blatt schreibt: „Ein kleines technisches Versehen mit großer Wirkung.“
Dass der Vorsitzende Richter Jan Stengel später extra betont, das Gericht habe „unabhängig entschieden“, ist in meinen Augen ein weiteres Verdachtsmoment. Normalerweise sollte das selbstverständlich sein. Und wenn so etwas selbstverständlich ist, kommt man nicht auf die Idee, es zu betonen. Kaum ein Unschuldiger wird im Kaufhaus von sich aus rufen: „Ich bin kein Dieb, ich habe nichts gestohlen!“
Die bösen Stimmen, die von einer Koordinierung der großen Medien durch die Politik unken – sie haben heute massiv an Glaubwürdigkeit gewonnen. So wenig ich an eine direkte Steuerung glaube – so gut kann ich mir vorstellen, dass es eine informelle „Koordinierung“ etwa durch Anrufe und Treffen gibt. Anders ist die teilweise wortgleiche Interpretation von wichtigen Ereignissen in den großen Medien kaum noch zu erklären.
Eine Frage der Karriere?
Wer weiß, wie die Justiz funktioniert, weiß auch, dass Richter durchaus vor Urteilen entsprechende Signale senden können. Und eine förmliche Anweisung von oben war im Fall Höcke sicher nicht nötig – jeder Richter weiß in einem solchen Prozess, mit welchem Urteil er sich bei seinen Vorgesetzten beliebt macht und seine Karrierechancen verbessert. Und mit welchem Urteil er seine Karrierechancen zerstört.
Genauso wie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, dass die Beobachtung der AfD durch den „Verfassungsschutz“ gestern für rechtens erklärte, fällt auch die Verurteilung Höckes mitten in den Wahlkampf zum EU-Parlament.
Was für ein Zufall!
Ich halte das Urteil für hanebüchen: Das Landgericht in Halle, an dessen Fassade der bekannte KZ-Spruch „Jedem das Seine“ in Reinform prangt, verurteilt AfD-Mann Höcke zu 13.000 Euro Geldstrafe, weil ein Satz von ihm drei Wörter enthielt, die unbekannterweise auch die SA verwendete: „Alles für Deutschland“. Genau die gleichen Wörter hatten bei einer CSU-Frau und bei einem Spiegel-Journalisten keinerlei Konsequenzen (siehe hier). Es kommt also nicht darauf an, was gesagt wird – sondern wer etwas sagt.
Das ist eine Parodie auf einen Rechtsstaat.
Sollte das Urteil rechtskräftig werden, wäre Höcke damit vorbestraft, weil das Strafmaß bei 100 Tagessätzen liegt. Ab 91 Tagessätzen gilt ein Verurteilter als vorbestraft. Das Gericht machte also eine Punktlandung.
Auch das kommt den anderen Parteien wie gerufen.
Kein ‘in dubio pro reo‘
Richter Stengel pfeift auf den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Er behauptet, Höcke sei bewusst gewesen, dass die Worte „Alles für Deutschland“ ein Slogan der SA waren. Höcke habe die „Tat“ unter „dem Deckmantel der Meinungsfreiheit“ begangen. Sein Motto sei gewesen: „Mal gucken, wie weit ich gehen kann.“
In meinen Augen entlarven sich die Richter damit als Verschwörungstheoretiker. Mit sachlicher, nüchterner Rechtsprechung hat das Urteil wenig zu tun.
Umso erstaunlicher, dass Höcke bei der Urteilsverkündung wie versteinert wirkte. Dann wiederum schüttelte er den Kopf, wirkte schockiert. „Er hatte mit Freispruch gerechnet“, so die Interpretation des Focus. Ob das stimmt, darf wohl bezweifelt werden. Denn es würde bedeuten, dass Höcke eine große Naivität an den Tag legt, was unsere Justiz angeht.
Wie erwartet zynisch fiel die Resonanz der großen Medien aus. Höcke stelle sich „als schutzloses Opfer von Justiz und Medien“ dar, schreibt etwa der „Focus“.
Mein Fazit aus dem Urteil und der Berichterstattung: Statt einem Rechtsstaat haben wir einen Linksstaat. Viele Richter versuchen nicht mal mehr den Eindruck zu erwecken, neutral zu sein. Das wäre wohl für die Karriere sehr ungünstig im rot-grünen Gesinnungsstaat. Wohin soll das alles noch führen? Was kommt als Nächstes? Internierungslager für „Rechte“? Bücherverbrennungen? Scheiterhaufen? Ich meine echte. Virtuell haben wir Bücherverbrennungen und Scheiterhaufen ja schon längst wieder.
Doppelte Maßstäbe
PS: Weil sich manche rot-grüne Leser daran aufhängen und es nicht kapieren oder nicht kapieren wollen: Ich mache dem Landgericht in Halle keine Vorwürfe wegen des Spruchs „Jedem das Seine“ an seiner Hauswand. Die Aussage ist viel älter als der Nationalsozialismus und wurde lediglich von diesem missbraucht. Aber was für das Gericht gilt, muss auch für die drei Worte von Höcke gelten: Sie, die zu seiner Verurteilung führten, sind viel älter als der Nationalsozialismus und wurden lediglich von diesem missbraucht. Wenn der eine Spruch außen am Gericht prangt und jemand für den anderen in dem Gericht verurteilt wird, ist dies ein Beleg für doppelte Maßstäbe.
Der promovierte Historiker Karlheinz Weißmann hatte als Zeuge der Verteidigung in dem Prozess ausgesagt, die Losung „alles für Deutschland“ sei „seit 1848 in Umlauf“ und sei später auch „in sozialdemokratischen Wehrverbänden“ stark verbreitet gewesen. Die Worte seien zudem im Umfeld der Kirche („Alles für Deutschland, alles für Christus“), im Widerstand gegen die Nationalsozialisten („Alles für Deutschland, nichts für Hitler“) und gegen die SED-Diktatur verwendet worden. Zwar hätten auch die Nazis die Formel benutzt, sie habe im dritten Reich aber „keine starke Präsenz“ und „keine besondere Bedeutung“ gehabt. Die „eigentliche Schlüsselformel“ der SA sei „Deutschland erwache“ gewesen.
Der einstige Geschichtslehrer Weißmann versicherte, die Hintergründe der Parole seien „kein Gegenstand des Geschichtsstudiums und erst recht nicht des Geschichtsunterrichts“ gewesen. Das hatte auch Höcke, der selbst Geschichtslehrer war, so vor Gericht beteuert. So gut wie niemand verbinde den Spruch mit der SA, so Weißmann. Genau das machte auch der angeklagte AfD-Politiker vor Gericht geltend. Er habe von der Nutzung der Worte durch die SA „nichts gewusst“. Eben deshalb sei „der subjektive Tatbestand nicht erfüllt“, so Höckes Verteidiger Ulrich Vosgerau. Der Anwalt bezeichnete die Aussagen der Staatsanwaltschaft in dem Prozess als „grenzwertig, um nicht zu sagen skandalös“. Die Vorwürfe gegen Höcke seien „nicht bewiesen und belegt“. Höcke selbst sagte im Gericht, er habe „das Gefühl, ein politisch Verfolgter zu sein.“ Er solle als Chef der „mit Abstand größten Oppositionspartei in Thüringen beschädigt“ werden.
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