USA: Die Illusion der Redefreiheit Ein Angriff auf die Verfassung?

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

„Amerika, du hast es besser,“ schrieb 1827 Johann Wolfgang von Goethe, um auszudrücken, dass sich die jungen Vereinigten Staaten nicht mit ihrer alten Historie plagen mussten, weil sie keine hatten. Ob man diesen Satz auf heutige Verhältnisse übertragen darf, ist fraglich. Die USA sind mit einem Präsidenten gesegnet, der schon Anlass zur Freude gibt, wenn er morgens noch weiß, wer ihm da aus dem Spiegel entgegenschaut, und mit einer Präsidentschaftskandidatin, deren politische Beiträge vor allem aus leeren Sprechblasen bestehen, wenn sie nicht gerade mit infantilem Gekicher oder peinlich-sinnlosem Lachen ausgelastet ist.

Immerhin gab und gibt es dort auch Gutes und Wichtiges wie zum Beispiel den ersten Verfassungszusatz von 1791, das „First Amendment“. Er lautet in deutscher Übertragung: „Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das eine Einrichtung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie Ausübung beschränkt, oder eines, das Rede- und Pressefreiheit oder das Recht des Volkes, sich friedlich zu versammeln und an die Regierung eine Petition zur Abstellung von Missständen zu richten, einschränkt.“ Auf die Ablehnung einer Staatsreligion und die Garantie der Religionsfreiheit will ich jetzt nicht eingehen, von größerer Dringlichkeit ist der zweite Teil des Artikels: die Zusicherung der Redefreiheit.

Nun gibt es in den Vereinigten Staaten schon seit langem die „Demokratische Partei“, einst Partei der Sklavenhalter und heute Vorkämpfer für jeden beliebigen woken Unsinn, solange er sich nur links anhört. Einer ihrer prominenten Vertreter ist John Kerry, vor 20 Jahren Kandidat der Demokratischen Partei bei den Präsidentschaftswahlen, von 2013 bis 2017 Außenminister unter Barack Obama und von 2021 bis Anfang 2024 Sondergesandter Bidens für das Klima – selbst gefestigte Charaktere könnten unter einer derartigen Vergangenheit leiden.

Und wie es scheint, hat Kerry wohl etwas aus seiner langen politischen Tätigkeit davongetragen. Vor wenigen Tagen sprach er auf einer Veranstaltung des World Economic Forum, der beliebten Kader- und Indoktrinationsschmiede von Klaus Schwab, und was er sagte, war geradezu herzerfrischend, sofern man sein Herz an freiheitsfeindliche Regime hängen möchte. Auf die Frage eines Zuhörers, was man denn tun könne, um gegen Desinformationen über den Klimawandel im Internet vorzugehen, gab Kerry eine klare Antwort, die ich der Gründlichkeit halber zuerst im englischen Original anführe: „You know there’s a lot of discussion now about how you curb those entities in order to guarantee that you’re going to have some accountability on facts, etc. But look, if people only go to one source, and the source they go to is sick, and, you know, has an agenda, and they’re putting out disinformation, our First Amendment stands as a major block to be able to just, you know, hammer it out of existence.” In deutscher Übersetzung: „Es wird gerade viel darüber diskutiert, wie man diese Akteure einschränken kann, um sicherzustellen, dass es eine Rechenschaftspflicht in Bezug auf Fakten gibt usw. Aber sehen Sie, wenn die Leute nur eine Quelle nutzen, und die Quelle, die sie nutzen, ist fragwürdig und hat eine Agenda, und sie verbreitet Desinformation, steht unser erster Verfassungszusatz als großes Hindernis im Weg, um in der Lage zu sein, wissen Sie, es einfach aus der Existenz zu hämmern…“

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Er spricht hier nicht von der Tagesschau oder von CNN oder einem anderen durchindoktrinierten Medium, wenn er von fragwürdigen Quellen schwadroniert. Er spricht über freie Medien, die sich den Luxus eigener Recherchen und eigener Auffassungen leisten, die unter Umständen den geheiligten Auffassungen der Demokratischen Partei widersprechen. Die betrachtet er als fragwürdig, weil sie ja nur Desinformationen verbreiten können. Und welch ein Ärger: Der erste Verfassungszusatz stört hier ganz enorm bei der vollständigen Beherrschung des Diskurses, er ist ein „großes Hindernis“, das im Weg herumsteht und die Regierung daran hindert, abweichende Meinungen „einfach aus der Existenz zu hämmern“.

Dass Kerry das lieber anders hätte, ist kaum zu übersehen. Und er lässt sich auch mit weiteren Ausführungen nicht lumpen: „So what we need is to win the ground, win the right to govern, by hopefully winning enough votes that you’re free to be able to implement change.” Auf Deutsch: „Wir müssen also das Terrain gewinnen, das Recht zu regieren, indem wir hoffentlich genug Stimmen gewinnen, damit wir in der Lage sind, Veränderungen durchzusetzen.“ Veränderungen will er durchsetzen; sollte er sich dabei über den ersten Verfassungszusatz hinwegsetzen wollen? Zumindest möchte er den Bürgern die lästige Entscheidung über wahr und falsch abnehmen, wie man an einer weiteren Äußerung sieht, die ich nun ohne Zwischenschritt in deutscher Sprache zitiere. „Es ist heute wirklich schwer zu regieren. Die Schiedsrichter, die wir früher hatten, um zu entscheiden, was eine Tatsache ist und was nicht, sind bis zu einem gewissen Grad bedeutungslos gemacht worden.“ Wie leid mir die geplagten Politiker doch tun! So schwer ist es, heute zu regieren und die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen, weil niemand mehr da ist, der den Leuten sagt, was wohl eine Tatsache ist und was nicht. Was sind das denn für Sitten!

Schlimmer noch: „Und die Menschen suchen sich selbst aus, wo sie ihre Nachrichten und Informationen finden. Und dann gerät man in einen Teufelskreis.“ Das geht nun wirklich nicht. Die Menschen entscheiden selbst über so etwas wie ihre Informationsquellen, ohne vorher die Demokratische Partei zu fragen! Wo kommen wir denn da hin? An anderer Stelle wird es aber noch schöner: „Demokratien auf der ganzen Welt haben mit dem Fehlen einer Art Wahrheitsbeauftragten zu kämpfen, und es gibt niemanden, der definiert, was Fakten wirklich sind.“ So ein Ärger. Es fehlt an Wahrheitsbeauftragten, gerne auch an Wahrheits-Schiedsrichtern, die den Bürgern das unangenehme und zeitraubende eigene Suchen nach der Wahrheit abnehmen und für sie „definieren, was Fakten wirklich sind“. Man kann sich hier über die Übersetzung streiten; vielleicht wollte er auch definieren, welche Fakten wirkliche Fakten sind, aber das spielt keine Rolle, denn die Grundrichtung ist klar: Die freie Meinungsäußerung der Bürger stört nur beim Regieren, das immer schwieriger geworden ist, weil die Menschen sich erdreisten, sich selbstständig zu informieren, und nicht mehr auf staatlich geprüfte Wahrheitsgaranten hören wollen. Das nenne ich einen echten Demokraten!

Sehr überraschend ist das nicht. Auch Kamala Harris denkt so. Während ihrer grandios gescheiterten Kampagne zur Erlangung der Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2020 meinte sie, ihre Regierung werde „soziale Medienplattformen für den Hass, der ihre Plattformen infiltriert, zur Rechenschaft ziehen, weil sie die Verantwortung haben, gegen diese Bedrohung unserer Demokratie vorzugehen.“ Was Hass ist, will sie natürlich selbst definieren oder von einem der Kerryschen Wahrheitsbeauftragten definieren lassen. Und ihr geschätzter Mitstreiter Tim Walz, den man allen Ernstes den Amerikanern als Vizepräsidenten zumuten will, ließ verlauten: „Es gibt keine Garantie für freie Meinungsäußerung in Bezug auf Fehlinformationen oder Hassreden, insbesondere wenn es um unsere Demokratie geht.“

Ganz abgesehen davon, welche Informationen nun falsch oder wahr sind und was man wohl unter Hassrede verstehen will: Genau diese von Walz bestrittene Garantie gibt es, genau für solche Fälle hat man sich den ersten Verfassungszusatz ausgedacht. 2016 konnte man in einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, des Supreme Court, der USA lesen: „Äußerungen, die aufgrund von Rasse, Ethnie, Ethnizität, Geschlecht, Religion, Alter, Behinderung oder eines anderen ähnlichen Grundes herabwürdigen, sind hasserfüllt; aber der größte Stolz unserer Rechtsprechung zur Redefreiheit ist, dass wir die Freiheit schützen, den Gedanken zu äußern, den wir hassen.“ Das ist ein wenig ärgerlich. Kerry, Harris und Walz haben allem Anschein nach die Bedeutung des ersten Verfassungszusatzes überhaupt nicht verstanden und versuchen, ihn auszuhebeln, wo und wie sie nur können. Dass sie sich damit zu Gegnern der amerikanischen Verfassung machen, interessiert sie nicht; für die gute Sache muss eben auch eine Verfassung Opfer bringen.

Aber wie steht man eigentlich in Deutschland zu dem lupenreinen Demokraten John Kerry? Das Verhältnis könnte nicht besser sein. 2016 hat man ihm beispielsweise das Bundesverdienstkreuz verliehen und der damalige Außenminister Steinmeier bezeichnete ihn als wahren Freund. In Anbetracht von Steinmeiers Auffassungen zur Un- und Überparteilichkeit wundert mich das nicht. Und unsere stets gutgelaunte heutige Außenministerin hat sich in geradezu überschwänglicher Weise zu Kerry geäußert; ich darf hier kurz das englischsprachige Original zitieren, das man bei X findet: „What would rock’n’roll be without Elvis Presley, tennis without the Williams sisters and what would our international tackling of the climate crisis be without you, @ClimateEnvoy John Kerry? Thank you for your decades of dedication – our joint effort is more important than ever.” Wiederum in deutscher Sprache: „Was wäre der Rock’n’Roll ohne Elvis Presley, das Tennis ohne die Williams-Schwestern und was wäre unser internationaler Kampf gegen die Klimakrise ohne Sie, @ClimateEnvoy John Kerry? Vielen Dank für Ihr jahrzehntelanges Engagement – unsere gemeinsamen Anstrengungen sind wichtiger denn je.“

So sieht wahre Freundschaft aus, wenn auch wie üblich etwas kindlich formuliert; hier wächst schon lange zusammen, was zusammengehört. Man mag sich eben in linksgrünen klima- und zensurbewegten Kreisen und schätzt die gleichen Werte oder Unwerte – insbesondere die tiefe Abneigung gegen Rede- und Meinungsfreiheit.

Kerry, Harris, Walz und ihre Partei, sie alle nennen sich Demokraten und sind es nicht. Sie sind Feinde der Verfassung, sie sind Feinde der Freiheit, sie sind Feinde der Menschen, die sie nur noch als Untertanen betrachten.
Und ihre deutschen Freunde sind nicht besser.

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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

Bild: Drop of Light/Shuttesrtock

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