Nein, es ist leider keine Satire. Und es ist auch keine Nachricht aus einem Parallel-Universum. Auch, wenn es so klingt. Denn nachdem diverse Politiker, allen voran Robert Habeck, mit ihrer „Anzeigeritis“ in den vergangenen Wochen kräftig auf den Mund gefallen sind und viel Gegenwind erleben mussten, hätte man eigentlich erwarten sollen, dass unsere politische Klasse reagiert. Und dass sie den völlig überzogenen „Majestätsbeleidigungsparagraphen“, den die Grünen in früheren Zeiten entschärfen beziehungsweise abschaffen wollten und der stattdessen 2021 verschärft wurde, wieder entschärfen. Also jenen Paragraphen 188 im Strafgesetzbuch, der gegen die allgemeine Gleichbehandlung verstößt und der üble Nachrede und Verleumdung, sowie seit 2021 eben auch ganz normale Beleidigungen gegen Politiker höher bestraft als gegen Normalsterbliche wie Sie und mich.
Erzählt man in anderen Ländern von dieser deutschen Besonderheit, erntet man nur ein Kopfschütteln.
Dabei habe ich von der neuesten Entwicklung noch niemandem erzählt – weil man sie außerhalb Deutschlands, wo man sich an den alltäglichen Politik-Irrsinn noch nicht so gewöhnt hat wie in der Bundesrepublik, wohl kaum glauben würde.
Die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann von der SPD wirbt dafür, das Strafgesetzbuch anzupassen, um die Beleidigung von Politikern noch umfassender zu ahnden als bisher, las ich in der „Welt„, leider hinter einer Bezahlschranke. Mein erster Gedanke: Was heißt hier „noch umfassender“? Reicht es denen jetzt nicht mehr aus, wenn im Morgengrauen wegen harmloser Unflätigkeiten, nach denen früher kein Hahn gekräht hätte, Menschen von der Polizei aus dem Bett gerissen werden? Was soll denn da noch verschärft werden? Sofortige Festnahme mitsamt Einsitzen bis zur Verhandlung? Oder gar keine Verhandlung mehr?
Verzeihen Sie mir diesen Galgenhumor, aber anders ist es nicht mehr zu ertragen.
Fakt ist: Die empfindliche SPD-Ministerin aus Niedersachsen will einen Beschlussvorschlag auf der am Donnerstag startenden Justizministerkonferenz der Länder einbringen, der im Kern vorsieht, die Voraussetzungen der „Politikerbeleidigung“ zu senken, so die „Welt“.
Also wenn jetzt schon die Polizei im Morgengrauen vor der Tür steht, weil jemand ein Meme teilt, in dem Habeck satirisch als „Schwachkopf“ bezeichnet wird, was soll dann künftig nach dem Willen der Sozialdemokratin alles noch strafbar sein? Eine kritische Bemerkung über die Frisur von Habeck? Oder Kritik an seinem Schöngeist? Das Äußern von Zweifeln daran, dass er ein zweiter Cicero ist?
So weit, wie es sich meine Phantasie sofort ausmalte, will die Ministerin zwar nicht gehen. Doch ihr Plan ist genauso perfide. Bisher konnte eine Beleidigung nur dann als „Politikerbeleidigung“ geahndet werden, wenn die Tat geeignet war, das „öffentliche Wirken“ des Politikers „erheblich zu erschweren“.
Schon bisher ein Gummiparagraf, den so manche Staatsanwaltschaft an der Grenze zur Rechtsbeugung überzog – etwa wenn wegen lächerlicher Beleidigungen im Internet mit kaum vorhandener Reichweite eine „erhebliche Erschwerung“ des „öffentlichen Wirkens“ von Ministern oder gar dem Kanzler diagnostiziert wurde – während AfD-Chefin Alice Weidel straffrei als „Nazi-Schlampe“ bezeichnet werden darf.
Künftig soll es die Staatsanwaltschaft, die weisungsgebunden ist gegenüber den Landesregierungen, noch einfacher haben, Regierungskritiker einzuschüchtern. Und auch ohne „erhebliche Erschwerung“ des „öffentlichen Wirkens“ die volle Härte des Paragraphen 188 für Politiker-Beleidigungen anwenden dürfen. So wünscht es sich die Sozialdemokratin. Damit könnte noch freier von der Leber weg agiert werden bei Strafverfolgung und Strafmaß.
Die Begründung von Niedersachsens Justizministerin Wahlmann für ihren Vorstoß wirkt wie aus einem dystopischen Roman – man fragt sich unwillkürlich, in welcher Welt sie lebt (hoffentlich darf man solche Fragen noch stellen und es kommt nicht schon deswegen sofort ein Staatsanwalt). Der „Welt“ sagte die SPD-Genossin: „Unsere Demokratie lebt von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich in herausgehobener Weise – und oft in ihrer Freizeit – für unsere Gesellschaft einsetzen. Beleidigungen gegen solche Bürgerinnen und Bürger zielen daher nicht nur auf die jeweilige Einzelperson, sondern treffen unser demokratisches Gemeinwesen als Ganzes“.
Das ist schon dreist. Denn die Justiz schießt ja nicht bei Beleidigungen von Lokalpolitikern oder Oppositionellen mit Kanonen auf Spatzen – sondern nur bei Kritik an den Großkopferten, wie man das in Bayern nennt.
Es sei für sie „unerträglich zu sehen, welch widerlichen Hasskommentaren sich auch ehrenamtlich tätige Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in unserem Land inzwischen regelmäßig ausgesetzt sehen“, sagte die Ministerin.
Glaubt sie das wirklich und geht es ihr wirklich um Kommunalpolitiker, oder ist es ein dreistes Ablenkungsmanöver?
Besonders dreist: Die Sozialdemokratin begründet ihren Vorstoß, der äußerst demokratiefeindlich ist und auf eine weitere Einschüchterung der Menschen und Tabuisierung von Regierungskritik im Stile autoritärer Staaten abzielt, mit – na, raten Sie mal – klar, mit der Demokratie. Viele zögen sich wegen der Beleidigungen aus der Politik zurück oder schreckten von vornherein davor zurück, ein Mandat zu übernehmen oder sich politisch zu engagieren, so die Ministerin: „Das ist Gift für unsere Demokratie.“
Unfassbar! So viel Zynismus kannte man früher nur aus dem real existierenden Sozialismus, etwa aus der DDR.
Wie dreist die Argumentation ist, zeigt die Tatsache, dass schon seit Langem jede Beleidigung strafbar sein kann, egal ob sie einen Politiker betrifft oder einen Normalsterblichen. Wer dafür verurteilt wird, muss mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe rechnen. Bei öffentlichen Beleidigungen drohen sogar bis zu zwei Jahre Haft. Voraussetzung ist jeweils, dass der Betroffene einen Strafantrag stellt.
„Die Beleidigung von Politikern wurde lange Zeit nicht gesondert bestraft“, wie die „Welt“ ausführt: „Das änderte sich 2021, als die damalige große Koalition von Union und SPD das Strafrecht verschärfte. Seitdem gilt in Paragraf 188 des Strafgesetzbuches: Wird eine Beleidigung ‚gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person‘ begangen, drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen von Amts wegen gegen eine ‚Politikerbeleidigung‘ ermitteln – nicht nur auf Antrag der Betroffenen.
In anderen Ländern schüttelt man über solche Regelungen nur den Kopf: In den USA schützt der First Amendment fast uneingeschränkt auch scharfe oder beleidigende Kritik an Politikern, solange keine Verleumdung oder Gewaltaufrufe vorliegen. In Großbritannien sind Beleidigungen kaum strafrechtlich relevant und werden höchstens zivilrechtlich geahndet, wenn ein nachweisbarer Schaden besteht. In Schweden gilt Kritik an Politikern als demokratische Selbstverständlichkeit und strafrechtliche Verfolgungen bleiben die Ausnahme. Kritik an Politikern und Amtsträgern werden als notwendiger Bestandteil einer offenen Demokratie angesehen. Die Strafen und der Verfolgungseifer der Justiz in Deutschland wirken im internationalen Vergleich streng und geradezu überholt.
Man meint fast, es habe sich nichts geändert an der Ehrpusseligkeit in Deutschland, die man gemeinhin mit der Kaiserzeit verbindet. Zu Unrecht: Denn zumindest Wilhelm II. und seine Justiz sahen entgegen allen Vorurteilen Beleidigungen in vielen Fällen weitaus gelassener als Habeck & Co. Die stehen mit ihrer Dünnhäutigkeit weniger in der Tradition des Kaiserreichs, als in der von finstereren Zeiten.
Verfassungsrechtler wie Josef Franz Lindner aus Augsburg sehen denn auch die Regelung in Deutschland und insbesondere den neuen Vorstoß überaus kritisch. „Wenn man das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Erschwerung des öffentlichen Wirkens aus dem Paragrafen 188 Strafgesetzbuch herausnähme, dürfte es den Staatsanwaltschaften tatsächlich leichter fallen, von Amts wegen gegen eine Politikerbeleidigung zu ermitteln und zu einer Verurteilung kommen“, sagte er der „Welt“: „Ich sehe allerdings Probleme mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und vor allem mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz.“
Die Gefahr, dass eine Beleidigung von Politikern deren öffentliches Wirken erschwere, sei gerade der Grund dafür, dass man Politiker bei den Beleidigungstatbeständen anders behandele als andere Bürger, so Lindner. Man wolle verhindern, dass Beleidigungen von Politikern deren Teilnahme am politischen Diskurs gefährden. „Wenn man das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Wirkens nun aber herausnähme, käme dieser Grund für die Ungleichbehandlung von Politikern und anderen Personen nicht mehr zum Tragen. Die Argumentation wäre dann doch, dass die Ehre von Politikern mehr wert ist als die von normalen Bürgern. Hier sehe ich einen Verstoß gegen das Grundgesetz.“
Ob der Vorschlag Niedersachsens auf der Justizministerkonferenz eine Mehrheit findet, ist dem Bericht zufolge noch offen. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) – dessen Justiz auch besonders eifrig im Vorgehen gegen Regierungskritiker ist, ließ mitteilen, man könne die seit 2021 geltende Rechtslage noch nicht abschließend bewerten. Allerdings, so heißt es aus dem Ministerium in München, mache die bisherige Strafverfolgungspraxis zur neuen Fassung von Paragraf 188 „teilweise Schwierigkeiten bei der Anwendung der Norm“, und zwar „insbesondere das Tatbestandsmerkmal der ‚Eignung der Tat, das öffentliche Wirken der Person des öffentlichen Lebens erheblich zu erschweren‘.“
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Während um den Bundestag ein zehn Meter breiter und zweieinhalb Meter tiefer Graben gezogen wird, um die politische Klasse von den Menschen zu isolieren, will die Regierung gleichzeitig die Meinungsfreiheit mit immer absurderen Regelungen weiter einschränken. Die Kluft zwischen Regierung und Bevölkerung ist längst so tief wie dieser symbolhafter Graben. Statt Kritik und Widerworte als Teil einer lebendigen Demokratie zu akzeptieren, macht die Regierung die Justiz zu einem Werkzeug, um Kritiker mundtot zu machen. Während man in anderen Ländern auf Deutschland mit Kopfschütteln blickt, scheint es hierzulande wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch ein leiser Seufzer über die politischen Verhältnisse strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Zumindest scheinen sich viele unserer Politiker das zu wünschen.
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