Ein Gastbeitrag von Antonia Winterstein
Mehr als 80.000 Menschen sind nach offizieller Statistik des RKI in Deutschland bisher „im Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion“ gestorben. Die Trauerfeier am vergangenen Sonntag in Berlin hat uns allen die ganze Tragik des Geschehenen noch einmal vor Augen geführt. Hunderttausende im Land werden in diesen Stunden sehr intensiv an ihre Liebsten gedacht haben, die sie durch Corona verloren haben.
Aber auch zehntausende Ärzte werden am Sonntag innegehalten und sich daran erinnert haben, wie viele Patienten sie trotz härtestem Kampf nicht retten konnten.
Erinnern wir uns an den Beginn der Corona-Pandemie. Das SARS-Cov-2-Virus war neu, alle waren verunsichert und hatten Angst. Und die Ärzte in den Krankenhäusern mussten auch erstmal einen Weg finden, wie sie am besten behandeln. Viele Patienten, denen es sehr schlecht ging, wurden umgehend intubiert. In dieser chaotischen Anfangsphase der Pandemie wurden aus China extrem hohe Sterbezahlen bei den intubierten Covid-Patienten gemeldet. 97 Prozent von ihnen starben. Ähnlich war es kurze Zeit später auch im italienischen Bergamo und in New York, wo 80 bis 90 Prozent der beatmeten Covid-19-Patienten nicht überlebten.
Als die Krankheit nach Deutschland kam, bemühten sich die Ärzte in den Krankenhäusern hierzulande von Anfang an, eine so hohe Sterblichkeit zu vermeiden. Und das schafften sie auch. Heute liegt die Sterblichkeit bei beatmeten Covid-Patienten in Deutschland bei etwa 44 Prozent.
Doch wie viel mehr hätten die Ärzte erreichen können, wenn man ihnen als Leitlinie gegeben hätte, was ihre Kollegen im Krankenhaus Bethanien im nordrhein-westfälischen Moers herausgearbeitet hatten.
Krankenhaus in Moers geht bei Covid-Behandlung eigenen Weg
Die Lungenklinik unter Leitung von Chefarzt Dr. med. Thomas Voshaar ging von Anfang an einen anderen Weg.
Hauptaugenmerk liegt dort auf der Vermeidung der Intubation, weil bekannt ist, dass durch die invasive Beatmung mit Schlauch im Hals das bereits angegriffene Lungengewebe noch weiter geschädigt wird und ungefähr die Hälfte der Patienten stirbt. Außerdem besteht die große Gefahr einer Superinfektion.
Die Ärzte in der Moerser Lungenklinik behandeln ihre Covid-Patienten so lange es geht mit Sauerstoffbrillen oder Sauerstoffmasken, wobei die Patienten ansprechbar bleiben. Dies tun andere Krankenhäuser auch, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt, wenn der Grenzwert für die Sauerstoffsättigung des Blutes unterschritten wird, wird der Patient gewöhnlich ins Koma verlegt und intubiert.
Dies ist in der aktuellen, offiziellen Leitlinie zur Behandlung von Covid-19-Patienten so festgeschrieben. Das heißt, das ist die Standard-Therapie für Covid-19 in deutschen Krankenhäusern.
In Moers macht man die Dinge anders.
Dort hat man schon im März 2020 das ganze Krankenhaus umstrukturiert, um den Covid-Patienten besser gerecht zu werden und auch alle anderen Patienten noch gut versorgen zu können.
Ein ausgeklügeltes Konzept
So werden Corona-Patienten von vornherein strikt von anderen Patienten getrennt. Es gibt eine Extra-Coronastation, auf der Patienten mit verschiedenen Beatmungsmethoden geholfen wird, bis hin zur Maskendruckbeatmung. Dank diesem Konzept, das von der offiziellen Leitlinie abweicht, müssen in Moers deutlich weniger Covid-Patienten auf die Intensivstation als in anderen Krankenhäusern.
Bemerkenswert ist auch das ausgeklügelte Hygienekonzept, dessen zentraler Punkt ein virendichtes Ausatemventil an den Druckbeatmungsmasken ist. Dadurch stecken sich die Mitarbeiter des Krankenhauses nicht mit Corona an.
Hinzu kommt ein spezielles Monitoringsystem, bei dem jeder Patient sehr individuell beobachtet wird und kleinste Veränderungen zu einer Anpassung der Therapie führen. Außerdem arbeiten die Ärzte in Moers mit einer leicht veränderten Medikation.
Das Ergebnis ist eine Sterberate von 7,7 Prozent unter den beatmeten Covid-19-Patienten, das heißt, von 100 beatmeten Covid-Patienten sterben in Moers etwa acht.
Zum Vergleich: Nach aktuellem Stand starben seit Beginn der Pandemie auf deutschen Intensivstationen im Schnitt etwa 28 von 100 Covid-Patienten (laut Intensivregister.de).
Das heißt: Unter der Standard-Therapie für Covid-19 sterben dreieinhalb mal so viele Patienten wie im Krankenhaus Bethanien in Moers. Ein bemerkenswerter Unterschied.
Wieso wurden die Erfahrungen aus Moers nicht bundesweit zur Standardbehandlung erklärt?
Kein Mangel an Information
An mangelnder Bekanntheit des Moerser Modells kann es nicht liegen. Schon im März 2020 gab es erste Presseberichte. Danach erschien das Krankenhaus Bethanien fast monatlich in Zeitungsartikeln und TV-Beiträgen.
Das Krankenhaus selbst ging auch in die Offensive und stellte, ungewöhnlich genug, mehrere Video-Tutorials ins Netz, für die Kollegen in anderen Häusern.
Hinzu kam, dass mindestens zwei Kliniken das Erfolgsmodell aus Moers übernahmen und zu ganz ähnlichen Ergebnissen kamen. Es handelt sich um das Krankenhaus in Neustadt/Harz und eine weitere Klinik in Österreich. Spätestens damit war klar: Das Moerser Modell ist kein Einzelfall, es ist übertragbar. Im Bundesgesundheitsministerium muss das Modell bereits ab März 2020 bekannt gewesen sein, durch eine Empfehlung des Verbandes deutscher Lungenkliniken. Außerdem war Dr. med. Thomas Voshaar im Beraterstab des Bundesgesundheitsministers.
Spahn und Laschet persönlich in Moers
Im August 2020 besuchte Jens Spahn gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Laschet die Klinik in Moers persönlich und beide sprachen mit Chefarzt und Klinikpersonal. In ihrem anschließenden Statement vor der Presse zeigten beide Politiker, dass sie die Vorzüge des Moerser Modells verstanden hatten. Spätestens jetzt hätte es Klick machen müssen bei unserem Bundesgesundheitsminister und er hätte sich sofort mit aller Kraft dafür einsetzen müssen, dass dieses Erfolgsmodell überall in Deutschland ermöglicht und durchgesetzt wird. Leider hat Jens Spahn dies bis heute nicht getan. Auch acht Monate nach seinem Besuch in Moers werden Covid-Patienten in den meisten deutschen Kliniken nicht nach dem Modell behandelt, das den größten Heilerfolg verspricht.
Das bedeutet: Von den etwa 26-tausend Covid-Patienten, die seit Beginn der Pandemie auf deutschen Intensivstationen verstorben sind, könnten vermutlich 18.800 noch leben.
Viele Menschen im Land, die durch Corona Angehörige verloren haben, dürften sich nun fragen: Könnte er oder sie noch leben?
Und viele Ärzte und Pfleger werden sich fragen: Warum wurden wir allein gelassen?
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Antonia Winterstein ist Journalistin und schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: ShutterstockText: Gast
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