Angst vor Impfung ohne Einwilligung? Eltern nehmen Kinder von Schulen Trotz Lockerungen: Tausende österreichische Eltern melden Hausunterricht an

Von Alexander Wallasch

Klagen über Unterrichtsausfälle und über gravierende Nachteile des Homeschooling gibt es schon seit Beginn der restriktiven Corona-Einschränkungen. Auch die psychischen Probleme für Kinder sind hinreichend bekannt, von den so entstehenden Bildungslücken ganz zu schweigen.

Was also bewegt Eltern in Österreich dazu, zu Tausenden ihre Kinder von der Schule ab- und zum häuslichen Unterricht anzumelden? Die Nachrichtensendung »ZIB Nacht« nannte für diese Ummeldungen zweierlei Beweggründe: Zum einen wären da Eltern, die sich darum sorgen, dass die Corona-Maßnahmen nicht ausreichen, ihr Kind vor einer Infektion zu schützen. Der überwiegende Teil der Eltern allerdings soll aus Kreisen kommen, die den Maßnahmen und Impfungen gegenüber skeptisch eingestellt sind.

Interessant in dem Zusammenhang: Diesen Abmeldungen gegenüber steht eine aktuelle Meldung aus England, wo schon von Impfungen an Schulen die Rede ist, ohne dass es hierfür der Einwilligung der Eltern bedürfe.

Eine Tendenz, die übrigens auch in Deutschland zu beobachten war, als es darum ging, dass Hausärzte Jugendliche ohne Einverständnis der Eltern impfen dürfen, wenn die Kinder das wünschen und der impfende Arzt zur Überzeugung gelangt, das Kind könne so eine Entscheidung eigenständig fällen.

Der Berliner Medizinrechtler Martin Stellpflug war im Gespräch mit dem MDR der Überzeugung, dass schon eine 13-Jährige bei entsprechender geistiger Reife in der Lage sein könnte, ohne Zustimmung der Eltern eine Impfung beim Arzt zu bekommen, wenn der die Reife des Kindes entsprechend bestätigen würde.

Wenn nun also die britische Gesundheitsbehörde NHS erwägt, Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren ohne Einverständnis der Eltern in den Schulen zu impfen, könnte das anderswo eine Alarmstimmung unter Kritikern des Impfens und der Corona-Maßnahmen erzeugen, die dann, wie aus Österreich gemeldet, ihre Kinder umgehend aus der Schule nehmen.

Aber wie sieht es eigentlich rechtlich mit Hausunterricht aus? Wohlgemerkt, hier geht es nicht um Homeschooling als populär gewordenen Begriff aus den Lockdowns, sondern um eine Schulausbildung zu Hause.

Österreich ist deshalb ein Thema, weil es in der Alpenrepublik keine Schulpflicht, sondern lediglich eine Unterrichtspflicht gibt. Kindern müssen zwar die allgemeinen Vorgaben über Bildung zugänglich gemacht werden, in welcher Form dies aber geschieht, bleibt den Eltern vorbehalten. Diese Lücke gegenüber der deutschen Schulpflicht nutzen in unserem Nachbarland nun mehrere tausend Eltern.

Aber wie genau funktioniert das in Österreich? Eltern dürfen hier auch ohne besondere Befähigung selbst unterrichten, wenn sie diese private Form der Ausbildung rechtzeitig vor Beginn des neuen Schuljahres anzeigen. Die Bildungsdirektion kann nur da ablehnend entscheiden, wo mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Gleichwertigkeit des Unterrichts nicht gegeben ist. Beschwerde gegen solch eine ablehnende Entscheidung muss dann beim Bundesverwaltungsgericht geführt werden.

Das Lernziel wird übrigens beim Hausunterricht am Ende eines jeden Schuljahres überprüft. Ist das Ziel nach Ansicht der Prüfer nicht erreicht, muss das Kind eine öffentliche oder private Schule besuchen. Aber auch hier ist es im Prinzip möglich, dass das Kind ein Schuljahr „wiederholt“.

„Der häusliche Unterricht ist als Grundrecht in Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes verankert. Die Erteilung des häuslichen Unterrichts darf daher keinen Beschränkungen unterworfen werden. Vorgaben über die Ausbildung der Person, die das schulpflichtige Kind unterrichtet, wären demnach nicht zulässig. Somit darf jeder das Kind unterrichten“, wie das Portal „news.at“ schreibt.

Interessant sind die Argumente der Gegner des Hausunterrichts, denn ihre Kritik wäre ja während der Corona-Maßnahmen automatisch auch eine gegen das Lockdown-Homeschooling. Prof. Stefan Hopmann von der Universität Wien beklagt hier beispielsweise, dass die „verlängerte Schutzzone“ die Erfahrung verhindere, „mit anderen zu lernen, mit anderen auszukommen und das auch unter widrigen Bedingungen“. Das allerdings gilt dann insbesondere auch für ein Lockdown-bedingtes Homeschooling.

Im Schuljahr 2017/18 nahmen österreichische Eltern das häusliche Lernen für etwas mehr als 2.000 Schüler in Anspruch. Bei über einer Million Schüler eine verschwindend geringe Zahl – jetzt kommen aber noch bis zu 6.000 Kinder dazu, die daheim unterrichtet werden sollen.

In der Schweiz wird die Genehmigung des Hausunterrichts je nach Kanton unterschiedlich gehandhabt. Erstaunlich hier, dass bei Lockerungen der Corona-Maßnahmen der Trend zum häuslichen Unterricht sogar zugenommen hat, es also auch positive Erfahrungen gegeben haben könnte.

In Dänemark beispielsweise kann laut Grundgesetz die Unterrichtspflicht auch mit Hausunterricht oder in Privatschulen erfüllt werden, solange der Unterricht inhaltlich dem der staatlichen Schulen („Folkeskolen“) entspricht.

Kommen wir zu Deutschland: Hier herrscht Schulpflicht. Lediglich Eltern von Kindern mit Einschränkungen können Ausnahmen beantragen oder auch dann, wenn die Eltern im Ausland tätig sind. Seltene Fälle von Erzwingungshaft gegen Eltern sind bekannt, was bisher insbesondere aber wohl eher Eltern mit christlich-fundamentalistischem Hintergrund betrifft.

Auch dazu gab es in den vergangenen Jahren schon prominente Kritik. So bemängelte der UN-Sonderberichterstatter Vernor Munoz 2007 das deutsche Bildungssystem in seinem Bildungsbericht und hier explizit auch die deutsche Schulpflicht, weil sie u.a. Heimunterricht kriminalisieren würde.

2010 wurde in den USA einer deutschen Familie deshalb sogar Asyl gewährt. Aber sollen jetzt alle Kritiker der Corona-Maßnahmen bzw. Impfskeptiker in den USA Asyl beantragen?

Deutsche mit Ambitionen zum Hausunterricht haben es hierzulande schwer. Ein so striktes Verbot des Heimunterrichtens gibt es in der EU sonst nur noch in Bulgarien und Malta.

Eines allerdings muss man hier aus einem ganz anderen Blickwinkel vielleicht noch zu bedenken geben: Die Schulpflicht in Deutschland ist ein besonders starker integrativer Motor. Und wer so viele Migranten beherbergt wie Deutschland, ist darauf angewiesen, dass insbesondere die Kinder schnell Deutsch lernen, um später bessere Ausbildungschancen zu haben. Zwar lässt sich beispielsweise eine private Koran-Schule kaum verhindern, aber diese muss im Anschluss an den regulären Unterricht oder am Wochenende erfolgen.

Für die Befürworter des Hausunterrichts in Deutschland sieht es demnach nicht gut aus. Jene allerdings, die in den Hausunterricht gehen wollen, um Corona-Tests, Maskenpflicht oder mutmaßlich kommenden Impfungen ihrer Kinder ohne elterliche Einwilligung zu entgehen, erleben gerade ein Paradoxon: Während der Lockdowns wurden Möglichkeiten des Hausunterrichts in Deutschland vielfach professionell durchdacht und beispielsweise bei Wiederaufnahme des Schulbetriebs von einem Zusammenspiel aus Präsenzunterricht und häuslichem Lernen gesprochen. Wenn man den Eltern allerdings diese Möglichkeit gewährt, dürften sich hier zukünftig Argumente verfestigen, die möglicherweise den Verfechtern eines Hausunterrichts zusätzliche rechtliche Vorteile verschaffen würden.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: Shutterstock
Text: wal

Mehr von Alexander Wallasch auf reitschuster.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert