Angela Merkel betonte heute im Bundestag, einer der wichtigsten Gründe für ihr hartes Durchgreifen in Sachen Corona und die Pläne, den Bund zu weitergehenden Maßnahmen zu ermächtigen, sei die Lage auf den Intensivstationen. Aus diesem Anlass veröffentliche ich hier den Brief einer Intensiv-Krankenschwester (m/w/d), der mich erreichte. Um ihre berufliche Existenz nicht zu gefährden, habe ich die Ortsangaben unkenntlich gemacht und die Zahlen, die sie lieferte, ebenfalls (im Original stehen die genauen Zahlen). Ich finde den Brief zu wichtig, um ihn nicht zu veröffentlichen. Sehen Sie sich hier auch passend zum Thema mein heutiges Video von der Bundespressekonferenz an – in dem ich unter anderem Merkels Sprecher Seibert zur Inzidenzzahl befragte – und erfuhr, dass wegen der Corona-Maßnahmen die Polizei wegen Ordnungswidrigkeiten faktisch in jede Wohnung eindringen kann.
Ich arbeite als Krankenschwester in der Anästhesie des Klinikums XXX. Unser Klinikum verfügt über ca. XXX Betten in XXX und ca. XXX Betten am Standort XXX. Davon sind XXX Intensivbetten.
In unseren Häusern behandeln wir die Schwerstkranken, auch die schwersten Covidfälle in einem Einzugsgebiet von der XXX über XXX, XXX bis zum XXX.
Die meisten Covidfälle werden auf den beiden medizinischen Intensivstationen behandelt, aber auch die Intensivstation versorgt dauerhaft zwischen 4 und 5 Covid-Patienten.
Auf diese Patientenakten habe ich Zugriff und ich lese seit Anfang Oktober jeden Befund sehr genau durch.
So kann ich auch bestätigen, dass die Mehrheit der Corona-Patienten einen Migrationshintergrund haben.
Zudem kann ich bestätigen, dass die Patienten jünger werden (zwischen 42 und 69 Jahren), jedoch alle an mindestens zwei Risikofaktoren leiden/litten. Hervorzuheben ist hier die Adipositas.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der mich aktuell beschäftigt: Die Medien warnen unermüdlich vor der dritten Welle und der Überlastung der Intensivstationen und damit meinen sie ja auch die Überlastung der Pflegekräfte.
Die Realität bei uns sieht so aus, dass wir Tag und Nacht sehr viele alte, multimorbide, eigentlich aussichtslose Menschen operieren, die postoperativ alle für Tage oder Wochen ein Intensivbett benötigen. Diese Menschen sind extrem pflegeaufwendig, oft leiden sie auch zusätzlich an einem postoperativen Delir, das heißt sie sind verwirrt und nicht führbar. Eine große Belastung für das Personal.
Meine Frage: Wie ist es möglich, dass wir uns am Beginn einer nationalen Katastrophe befinden, in wenigen Wochen eine Überschwemmung mit Covid-Patienten droht, das gesamte medizinische Personal aber im Vorfeld in die kollektive Erschöpfung getrieben wird?
Mein Oberarzt und Chefarzt werden nicht müde, beinahe täglich in der Presse die katastrophale Notlage zu predigen. Um die Lage zu verdeutlichen, sende ich als Anhang die Belegung mit Covid-Patienten seit Beginn der „Pandemie“.
Die Covid-Patienten sind aufwändig zu versorgen. Sie binden personelle Ressourcen und es macht keinen Spaß, in voller Montur am Bett zu stehen, ohne zu trinken oder auf Toilette zu können. Keine Frage: Das Personal leistet Unglaubliches.
Trotzdem, die anhaltende Panikmache unserer Ärzte empfinde ich als unverhältnismäßig und verantwortungslos.
Den Grund hierfür sehe ich darin, dass mit Operationen mehr Geld verdient werden kann als mit diesen Langliegern. Vor allem für Chefärzte sind chirurgische Patienten sehr viel lukrativer.
Noch etwas beschäftigt mich: Überall herrscht Testpflicht… Wir wurden noch nie getestet.
Unsere Patienten werden unmittelbar vor der OP abgestrichen, kommen dann in die Anästhesie (hier entstehen die meisten Aerosole, bei Intubation und Extubation), anschließend liegen sie mit vielen weiteren Patienten im Aufwachraum, schlussendlich in einem Drei-Bett-Zimmer. Erst dann oder am nächsten Tag erhält die Station das Ergebnis des PCR-Tests. Es kam nicht nur einmal vor, dass dann alle Patienten, die in der Nähe des getesteten Patienten waren, isoliert werden mussten. Ein Wahnsinn!!
Das Personal wird jedoch trotzdem nicht getestet.
Also… Ich darf ohne Test nicht zum Frisör, keinen Kaffee draußen trinken, aber schwerstkranke Menschen, vom Säugling bis zum 100-Jährigen, ungetestet versorgen?
Da stelle ich mir schon die Frage, wie gefährlich das Virus wohl sein kann?
Ich hätte noch so viel zu sagen, aber ich ende hier und hoffe, dass ich ein paar Anregungen geben konnte.
Noch abschließend, unsere Klinik war nie überlastet. Kein Reservebett der 1. Welle wurde benötigt, so dass alle in der ersten XXXXwoche abgebaut wurden.
PS: Aus den mitgesandten internen Klinikunterlagen, die ich nicht veröffentliche, um die Krankenschwester nicht identifizierbar zu machen, geht hervor, dass die Zahl der Patienten mit Corona in ihrer Intensivstation aktuell etwa halb so hoch ist wie zur Hochphase Mitte Dezember, allerdings um ein Vielfaches höher als etwa im Oktober. Die Zahl war Ende Januar noch deutlich höher als heute und hält sich seit Februar auf etwa der Hälfte der Maximal-Werte vom Dezember, Tendenz leicht, aber keinesfalls exponentiell steigend seit Ende März.
PS: Nach Veröffentlichung dieses Beitrags erhielt ich diese Zuschrift:
Sehr geehrter Herr Reitschuster,
den Bericht, welchen Sie gestern zum Thema Überlastung auf Intensivstationen veröffentlicht haben, kann ich an unseren Häusern bestätigen. Ich arbeite als Krankenschwester in zwei kleinen Kreiskrankenhäusern (Verbund) in XXXXX. Außerdem habe ich Bekannte, welche in den umliegenden Krankenhäusern arbeiten. Übereinstimmend sind wir der Meinung, dass kein Grund zur Panik besteht. Unsere Häuser sind im Schnitt eher unterbelegt.
Die Kollegin in ihrem Bericht hat die Situation sehr treffend beschrieben.
Herzliche Grüße und vielen Dank für Ihre Arbeit
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Bild: Alexandros Michailidis/Shutterstock
Text: Gast
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