Von Daniel Weinmann
Belgien hat den Ausstieg aus der Atomenergie wegen des russischen Überfalls der Ukraine um zehn Jahre verschoben. Hierzulande tut sich die Regierung naturgemäß schwer. Während sich die FDP für eine Weiternutzung der Atomkraftwerke ausspricht, hegen die Grünen große Vorbehalte. Angesichts potenzieller Blackouts im kommenden Winter schwinden die Bedenken der Anti-Atomkraft-Partei gegen einen zumindest vorübergehenden Weiterbetrieb indes immer mehr.
Mehr Pragmatismus geht nicht. Dass der grüne Gründungsmythos wankt, mag selbst der Partei-Veteran Hans-Christian Ströbele nicht verhehlen. „Grüne wollten immer „Frieden schaffen ohne Waffen“, nun „Frieden mit immer mehr schweren Waffen“. Jetzt auch statt „AKWs Ne“ – „AKWs ja bitte“ gegen die Alternative weiter mit russischem Gas? Wann kippt die nächste Säule? Bloß nicht“, twitterte der 83-Jährige.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat seine glatte 180-Grad-Wende in Sachen Energiepolitik längst hinter sich. Im Mai 2011, kurz nach der Havarie des Meilers im japanischen Fukushima, freute sich der damalige bayerische Umweltminister Markus Söder über den beschlossenen Atomausstieg. Dieser sei schließlich „auch mein Vorschlag, der Vorschlag von Horst Seehofer und der Vorschlag der CSU gewesen“, brüstete sich der promovierte Jurist damals. Heute steht das von Söder regierte Bundesland offensichtlich so sehr unter Druck, dass er vorschlug, bereits abgeschaltete Atomkraftwerke wieder hochzufahren.
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Geht es nach dem TÜV-Verband, steht dem nichts entgegen. Die vom Netz genommenen Kraftwerke Brokdorf in Schleswig-Holstein, im niedersächsischen Grohnde und Grundremmingen C in Bayern zählten weltweit „zu den sichersten und technisch besten Kraftwerken“, sagte der Geschäftsführer des Verbandes, Joachim Bühler, der „Bild-Zeitung“.
Sie befänden sich in „exzellentem Zustand“ und könnten zügig wieder hochgefahren werden. Die Wiederinbetriebnahme sei „keine Frage von Jahren, sondern eher von wenigen Monaten“. Bühler hält zwar „einige Prüfungen und Sicherheitschecks“ für erforderlich. Doch mit dem Rückbau sei noch nicht begonnen worden.
Ebenso wie die drei im vergangenen Jahr vom Netz genommenen Nuklearmeiler seien auch die aktuell noch laufenden Atomkraftwerke „sicherheitstechnisch dazu in der Lage, weiterbetrieben zu werden“. Derzeit sind noch die drei Reaktoren Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg am Netz. Der in diesem Jahr in diesen Anlagen erzeugte Strom könnte bei durchschnittlichem Verbrauch rund 4,5 Millionen Vier-Personen-Haushalte ein Jahr lang versorgen.
»Vor allem eine Frage des politischen Willens«
Deutschland könnte vor diesem Hintergrund in absehbarer Zeit sechs Atomkraftwerke am Netz haben und damit die Energiekrise zumindest teilweise entschärfen – und zwar bis 2026. Laut TÜV-Geschäftsführer Bühler wäre es nämlich möglich, „die Laufzeit der Kraftwerke sowohl um drei Monate als auch um drei Jahre zu verlängern“.
Bleibt die Frage, ob die Ampelkoalition mitspielt. Für Atom-Experte Bühler ist es denn auch „vor allem eine Frage des politischen Willens“, wie schnell die stillgelegten AKWs Deutschland wieder mit Strom versorgen können.
Bundeskanzler Olaf Scholz wartet derweil auf die Ergebnisse eines aktuell laufenden „Stresstests“ zur Sicherheit der Stromversorgung. Dieser Test könne ein „Sonderszenario“ ergeben, meinte sein Wirtschaftsminister Robert Habeck gegenüber „RTL Aktuell“: „Die Frage, die relevant gestellt werden muss, ist, ob die Stromnetzstabilität in diesem Jahr durch weitere Maßnahmen gesichert werden muss.“
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: ShutterstockText: dw