Bislang unveröffentlichte Akten zeigen: Regierung rannte kopflos in die Krise Wurde in der Frühphase der Krise wertvolle Zeit verschenkt?

Von Daniel Weinmann

„Wir sind wachsam, wir sind aufmerksam, wir sind gut vorbereitet“, sagte Jens Spahn (CDU) am 12. Februar 2020. Es war die Zeit, als die Nachrichtensender begannen, in Echtzeit zu melden, wie viele Menschen weltweit mit dem Corona-Virus angesteckt wurden und wie viele schon gestorben waren. In Deutschland sei die Gefahr aktuell gering, beschwichtigte der damalige Gesundheitsminister in einer aktuellen Stunde des Bundestags.

Genau dies war jedoch nicht der Fall, wie Akten vom Januar und Februar des Jahres 2020 zeigen, die das Gesundheitsministerium auf Antrag der „Welt“ freigeben musste. Spahn und sein Gesundheitsministerium waren eben nicht wachsam genug, die Bundesregierung stolperte denkbar unvorbereitet in die Pandemie. Warnsignale wurden registriert, ihre Bedeutung aber verkannt. „Man verpasste das Feuer zu löschen, als es noch klein war. Als dann der Dachstuhl brannte, war es zu spät“, schreiben die Autoren, die in ihrem gesamten Beitrag stramm im Corona-Narrativ bleiben. 

Verkennung der Gefahr durch Reisende

Fehleinschätzungen gab es demnach an allen Fronten, so die Autoren. Wobei man es auch umgekehrt interpretieren könnte – dass einfach am Anfang nicht gleich in den Panik-Modus geschaltet wurde und man teilweise genauso agierte, wie Kritiker der Corona-Politik das später forderten. Das Robert-Koch-Institut, das sich heute als einer der lautesten Warner dieser Republik geriert, zögerte mit der Hochstufung der offiziellen Gefahrenlage. Als man über zu wenig Masken verfügte, sprach man ihnen ihre Wirksamkeit ab – wenn das heute jemand tut, wird es als Ketzerei gewertet. Dass auch Menschen ohne Symptome ansteckend sein können, wurde kaum beachtet, so die Autoren. Dabei hatte das tägliche Gesundheitsbulletin des Auswärtigen Amtes schon am 26. Januar festgehalten, dass Menschen „wahrscheinlich schon in der Inkubationszeit ansteckend“ seien. Was in dem Artikel nicht steht: Kritiker der aktuellen Corona-Politik bezweifeln, dass symptomlose Menschen andere anstecken können.

Egal, wie man zur Corona-Politik steht: Die bisher unveröffentlichten internen Akten offenbaren ein desaströses Corona-Management der damaligen Bundesregierung. Obwohl bereits am 23. Januar die Millionenstadt Wuhan vollständig von der Außenwelt abgeschnitten wurde, kam das Bundesgesundheitsministerium zu dem Schluss: „Dass Reisende eine Infektion mit dem Coronavirus nach DEU einschleppen, ist äußerst unwahrscheinlich.“ Eine „Gefährdung der Allgemeinbevölkerung“ bestehe nicht, weil Deutschland über „ein effektives öffentliches Gesundheitswesen zum Schutz vor übertragbaren Krankheiten“ verfüge. Wer so etwas heute sagt, wird als „Verharmloser“ oder gar „Corona-Leugner“ kritisiert.

Hätte die Regierung angemessen und zügig reagiert und Vorsichtsmaßnahmen gestartet, hätte man wertvolle Zeit gewinnen können, glaubt zumindest die Welt. Stattdessen habe man eine Vogel-Strauß-Politik betrieben: Obwohl längst erkennbar gewesen sei, dass sich das Virus unerkannt ausbreiten kann, sobald Menschen Kontakt zueinander haben, ließ sich ein Vertreter des RKI am 18. Februar 2020 in einer Lagekonferenz mit den Bundesländern so zitieren: „Prinzipiell ist es durch das RKI nicht empfohlen, asymptomatische Kontaktpersonen zu testen.“ Das RKI hat also genau das gemacht, was viele Kritiker der Corona-Politik bis heute fordern.

Hinweise auf Masken-Engpass übersehen

Wie ein Brandbeschleuniger wirkte nach Ansicht der Welt, dass das Robert-Koch-Institut bis April 2020 brauchte, bis es eine Empfehlung zum Tragen von Masken abgab. Noch im März sah man „keine hinreichende Evidenz“, dass deren Nutzung das Risiko einer Ansteckung für gesunde Menschen verhindere. Wer hat nun Recht? 

Dabei hatte das Auswärtige Amt bereits am 27. Januar empfohlen, in den Ausbruchsgebieten Mund-Nase-Schutzmasken im öffentlichen Raum zu tragen, so die Welt. Ist nun plötzlich das Auswärtige Amt oberste Instanz in Sachen Masken? Die WHO sekundierte später, am 4. Februar, mit einer Empfehlung an das Gesundheitsministerium und an alle Länder „…zum Tragen von Masken im Alltag, bei der häuslichen Pflege und im Gesundheitsbereich.“

„Warum hat die Regierung nicht das Tragen von Masken für den Alltag empfohlen, wenn es früh klar schien, dass sich die Krankheit auch ohne Symptome verbreitet?“, fragt die „Welt“ vor diesem Hintergrund – ohne die Maskenpflicht generell zu hinterfragen.

Als wäre dies nicht genug, erwies sich auch die Beschaffung der Masken als Trauerspiel. Obwohl die Weltgesundheitsorganisation bereits Anfang Februar vor Engpässen bei Schutzausrüstung gewarnt hatte, ließ das Gesundheitsministerium noch Wochen später wissen, dass die „Frage der hoheitlichen Bevorratung/Beschaffung“ jetzt zwischen den zuständigen Ministerien geklärt werde.

Offizielle Berliner Schizophrenie

Als ihn seine drastische Fehleinschätzung Ende März in die Bredouille brachte, rechtfertigte sich der damalige Gesundheitsminister Spahn im ZDF so: „Wir hätten uns doch nie vorstellen können, dass so ein Cent-Produkt auf einmal so einen Mangel hat und gleichzeitig so schwer zu kriegen ist.“

„Die damalige offizielle Berliner Schizophrenie“, schreiben die „Welt“-Autoren, „schlägt sich noch am 20. Februar 2020 in einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes nieder“. Dort schrieb man in roten Lettern mit Bezug auf die WHO von einem hohen Risiko der Ausbreitung des Virus auf globaler Ebene. Hingegen bewertete das RKI das Risiko für die deutsche Bevölkerung am gleichen Tag als gering (in grüner Schrift).

Als fünf Tage danach die ersten Städte in Italien gesperrt wurden, sagte Spahn: „Corona ist als Epidemie in Europa angekommen.“ Am 26. Februar 2020 tagte erstmals der Krisenstab und das RKI hob die Risikoeinschätzung für Deutschland von „gering“ auf „gering bis mäßig“. Derweil schien Staatssekretär des Gesundheitsministeriums den Ernst der Lage immer noch nicht vollumfänglich erkannt zu haben, glaubt die Welt. Es handele sich um eine „dynamische Lage“, sagte er laut Sitzungsprotokoll. Die Risikoeinschätzung könne sich also „jederzeit ändern“.

Wer hat nun Recht? Die „Welt“ mit ihrer Auffassung, dass die Regierung viel zu lange Corona nicht ernst genug nahm? Oder die Kritiker der Corona-Politik, die glauben, die ursprüngliche Reaktion sei richtig gewesen – und man sei unbegründet in den Panik- und Verbots-Modus übergewechselt? 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Juergen Nowak/Shutterstock
Text: dw

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