Ein Zusammenprall der (journalistischen) Kulturen gestern auf der Bundespressekonferenz: Der Vorsitzende des Vereins, der ZDF-Journalist Mathis Feldhoff, der gestern auch den Vorsitz auf der Bühne hatte, lieferte sich heftige Wortgefechte mit dem Korrespondenten von RT Florian Warweg und mit Tilo Jung. Nach der Pressekonferenz kam eine osteuropäische Kollegin mit mir ins Gespräch und gab ihrer großen Verwunderung Ausdruck: Sie teile zwar keinesfalls die Meinung von Warweg und Jung, so die Frau: Aber sie sei völlig baff, dass die Versammlungsleitung sich hier inhaltlich einmische: „Das darf nicht sein!“ Aus Gründen der Höflichkeit und da ich als Mitglied des Vereins Bundespressekonferenz auch eine Loyalitätspflicht habe, gebe ich hier nicht wieder, an was sich die Kollegin nach eigenen Angaben erinnert fühlte.
Ebenfalls nach der Pressekonferenz wurde ich selbst heftig kritisiert von einem Kollegen. Weil ich in einem Video thematisiert hatte, wie der Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Sebastian Gülde, auf meine kritische Frage hin erläuterte, wie man FFP-2-Masken richtig anwendet, während Gülde selbst wenige Augenblicke vor diesem Aufritt die eigene Maske genau so anfasste, wie man es nach seinen eigenen Worten nicht tun soll (anzusehen hier). Merkels Sprecher Seibert assistierte und betonte, das sei nicht schwer und die meisten Menschen bekämen es hin – während im Saal genau das nicht der Fall war. Auch das habe ich aus öffentlich zugänglichen Quellen belegt und dokumentiert.
Ich bin fest davon überzeugt: Als Journalist ist es meine Pflicht, solche Diskrepanzen bei den Forderungen der Regierung und ihrem eigenen Verhalten öffentlich zu machen – zumal, wenn sie im öffentlichen Raum vor laufender Kamera stattfinden. Hand aufs Herz: Glauben Sie, der Kollege, der mich zurechtwies, hätte ein Problem damit gehabt, wenn man genau das Gleiche bei Trump thematisiert hätte? Details dazu erläutere ich hier.
In meinen Augen offenbaren beide Episoden, dass sich bei manchen Kollegen eine merkwürdige Auffassung von Journalismus eingebürgert hat. Meine Vorstellung ist, dass guter Journalismus der Regierung wehtun muss. Offenbar sehen das viele Kollegen heute genau umgekehrt. Zudem bin ich davon überzeugt, dass Journalisten auch unbequeme Meinungen vertreten dürfen, auch solche, die man selbst explizit nicht teilt. Dafür sollten Journalisten nicht von Kollegen gemaßregelt werden, so meine Auffassung. Sie dafür zu kritisieren, auch scharf, ist legitim. Nicht legitim ist es aber, wenn man versucht, ihnen hier das Wort zu nehmen bzw. ihnen zu untersagen, dass sie ihre Ansichten äußern.
Lesen Sie unten das Wortprotokoll von der Bundespressekonferenz gestern – und machen Sie mit bei meiner Umfrage: Ich bin sehr gespannt auf Ihre Meinung. Sie als Leser sind ja quasi meine Arbeitgeber. Und dessen Meinung ist für jeden Berufstätigen wichtig und auch zu berücksichtigen. Was halten Sie für richtig?
Leser-Umfrage:
Auszug aus dem Wortprotokoll der Bundespressekonferenz am 30.4.2021
FRAGE WARWEG: Im Zuge der Besatzung von Afghanistan kam es zu Abertausenden von zivilen Toten durch die Alliierten. Mich würde interessieren: Plant die Verteidigungsministerin zusammen mit ihren NATO-Kollegen eine Aufarbeitung dieser Kollateralschäden?
HELMBOLD: Wir haben uns zu den verschiedenen Ereignissen, die in Afghanistan stattgefunden haben, regelmäßig ereignisbezogen geäußert. Die Ministerin hat sich in der letzten Zeit auch insgesamt zu Fragen dessen geäußert, wie wir den Einsatz bewerten.
Mit Blick auf den Bundeswehreinsatz ist mir eines wichtig: Wann immer wir Bewertungen anstellen, ist es wichtig, dass wir uns darauf beziehen, was unser Auftrag war, insbesondere der parlamentarische Auftrag. Weitere Ergänzungen habe ich im Augenblick nicht zu machen.
BURGER: Herr Warweg, ich würde gerne noch etwas zum Begriff „Besatzung“ sagen, den Sie hier verwendet haben. Ich weiß nicht, ob Sie sich damit auf die Präsenz der Sowjetunion in Afghanistan in den Achtzigerjahren beziehen. Die Präsenz der Bundeswehr in Afghanistan hat jedenfalls nichts mit einer Besatzung zu tun. Sie hat im Zuge einer vom UN-Sicherheitsrat mandatierten Mission begonnen und findet derzeit auf Bitten der gewählten afghanischen Regierung im Rahmen der NATO-Ausbildungsmission Resolute Support statt.
ZUSATZFRAGE WARWEG: Da können Sie halt fragen, wie die Afghanen das zum Teil bewerten. – Eine Nachfrage hätte ich noch. Die Verteidigungsministerin hatte im Zuge des Abzugsgeschehens erklärt, dass das Hauptziel nach 9/11, so lautete ihre Formulierung, vollendet sei. Das Hauptargument war ja die Vertreibung und Zerstörung von Al-Qaida-Ausbildungsbasen in Afghanistan. Jetzt gibt es bis heute eigentlich keine Belege dafür, dass 9/11 wirklich von Afghanistan aus geleitet wurde. Hat die Ministerin neue Erkenntnisse, die
VORSITZENDER FELDHOFF: Herr Warweg!
SEIBERT: Herr Warweg, ich finde, wir treten jetzt nicht in eine Diskussion über Ihre alternativen Erklärungsmodelle zu 9/11 ein.
ZUSATZ WARWEG: Das sind keine alternativen Erklärungsmodelle.
SEIBERT: Das sind alternative Erklärungsmodelle. In diese Diskussion tritt die Bundesregierung von dieser Stelle aus mit Ihnen nicht ein.
VORSITZENDER FELDHOFF: Herr Warweg, als Vorsitzender der Bundespressekonferenz muss ich Ihnen sagen, dass diese Sichtweise eine sehr singuläre ist, und ich bitte Sie, sie nicht sozusagen zur allgemeinen Fragestellung zu machen.
ZUSATZ WARWEG: Aber es ging nicht darum, dass man 9/11 infrage stellt, sondern um die Verursacher und den Ort, von dem das ausging. Es ist bis heute nicht geklärt, ob Afghanistan wirklich das Hauptland für die Planungen war. Mehr habe ich nicht gesagt, und das sollte auch in der Bundespressekonferenz eine Frage sein, die man stellen kann, ohne dass da der VT-Hammer niederrammt.
SEIBERT: Sie haben einen ganzen Fernsehsender, auf dem Sie das ausbreiten können.
ZURUF WARWEG: Noch nicht!
FRAGE JUNG: Es hat mich überrascht, dass Herr Burger diese Besatzung so ablehnt. Natürlich war das eine Besatzung, genauso wie die sowjetische. Ich meine, es gab und gibt eine militärische Verwaltung der westlichen Armeen. Afghanische Gesetze gelten nicht für unsere Soldaten. Eine Souveränität ohne die westlichen Armeen gibt es ja auch nicht in Afghanistan, darum sind sie ja da.
BURGER. Herr Jung, Entschuldigung, aber wenn Sie hier Ihre Völkerrechtstheorien ausbreiten möchten, dann kann ich Sie daran nicht hindern; das ist dann Aufgabe des Vorsitzenden. Aber das ist
ZURUF JUNG: Ich muss meine Theorien hier nicht ausbreiten! Sie streiten doch
VORS. FELDHOFF: Herr Jung, bitte schön!
ZUSATZFRAGE JUNG: Was denn?
VORS. FELDHOFF: Ich bitte darum, dass Sie
ZUSATZFRAGE JUNG: Kann ich meine Frage stellen?
VORS. FELDHOFF: Ich bitte Sie darum, dass Sie sich vor allem in Ihrem Ton zurücknehmen.
ZURUF JUNG: Er hat mich gerade unterbrochen, Herr Vorsitzender!
VORS. FELDHOFF: Der Satz „Sie müssen Ihre Theorien hier nicht ausbreiten.“ Ich finde es, ehrlich gesagt, gerade ein bisschen schwierig. Versuchen Sie, Ihre Frage zivil und in einem normalen Tonfall zu stellen. Machen Sie das bitte.
ZUSATZFRAGE JUNG: Dann würde ich auch nicht unterbrochen werden wollen. – Was ist denn Ihr Verständnis von einer Militärbesatzung?
BURGER: Ich gebe jetzt hier kein –
ZURUF JUNG: Ach so!
BURGER: – kein Völkerrechtsgrundlagenseminar. Aber ich kann Ihnen gerne eine Fundstelle in einem völkerrechtlichen Standardwerk zum Begriff der –
ZURUF JUNG: Gerne, gerne!
BURGER: – Besatzung zukommen lassen. Dann werden Sie feststellen, dass die Situation, in der der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine
ZURUF JUNG: Das spielt keine Rolle!
BURGER: Bitte? Das spielt keine Rolle, meinen Sie? – Okay, das nehmen wir zur Kenntnis. Das ist die Völkerrechtsauffassung von Tiedemann.
ZURUF JUNG: Aber das hat doch gar nichts (das Mikrofon wird abgestellt)
VORS. FELDHOFF: Herr Jung, wir sind hier nicht in einer Talkshow über Völkerrecht, bitte schön!
ZURUF JUNG: (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)
VORS. FELDHOFF: Die Regierung hat Ihnen gerade diverse Fundstellen über die Frage eines Besatzungsrechts, des Völkerrechts und Ähnlichem angeboten. Nehmen Sie es zur Kenntnis. Sie können – – –
ZURUF JUNG: (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)
VORS. FELDHOFF: Sie können es dann bewerten, wie Sie möchten. Das ist Ihre Aufgabe. Aber machen Sie diese Bundespressekonferenz nicht zur Talkshow mit dem Auswärtigen Amt, bitte!
Bild: Boris Reitschuster
Text: red
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