Corona-Bekämpfung á la Potemkin

Gerade noch lobte die „Bild“ Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in einer Mischung aus Heiligenberichterstattung und Apparatschik-Verehrung, wie man sie aus sozialistischen Zeitungen kennt: Neben der großen Überschrift „Der Anpack-Minister“ prangte ein riesiges Bild, auf dem der sonst eher etwas tölpelhaft rüberkommende Christdemokrat wirklich jungdynamisch rüberkommt. Darüber steht in schwarzen Lettern: „Wie Jens Spahn das Land durch die Corona-Krise führt.“ Um Gottes Willen, da müssen die Dinge aber sehr schlecht stehen, wenn sie schon zu solchen PR-Schritten greifen, war die erste Reaktion einer leidgeprüften russischen Freundin, die aus dem real existierenden Sozialismus gestählt ist, was Manipulationen in Medien angeht. Auch die in den öffentlich-rechtlichen Sendern veröffentlichten Umfragen, wonach eine große Mehrheit der Bevölkerung dem Corona-Virus gelassen entgegen sehe, lösen bei meiner russischen Freundin den gegenteiligen Effekt aus: „Na, wenn die so was verbreiten, muss die Angst groß sein – so wie ich das in meiner Arbeit jeden Tag auch mit meinen Kollegen erlebe“.

Ob der Pessimismus der Russin zutrifft, sei dahin gestellt (ich persönlich habe schon vor einigen Tagen hier geschrieben, dass mich die Unfähigkeit vieler Verantwortlicher hierzulande weit mehr sorgt als das Virus selbst). Wirklich erstaunt hat mich ein Bericht über eine Ankunft am Berliner Flughafen von einer twitter-Nutzerin mit dem Namen Annabell, den mir ein Bekannter schickte. Er ist zwar nicht zweifelsfrei zu verifizieren, aber wirkt derart authentisch, dass eine Wiedergabe geboten ist – „Annabell“ ist seit 2012 bei twitter, ihr Account dort macht einen absolut unpolitischen und authentischen Eindruck, in über 700 Posts hat sie außer Konzertbesuchen und Jugend-Idolen bisher so gut wie nie was Politisches veröffentlicht. Der Zeit des tweets (21.35 Uhr) nach zu urteilen handelt es sich um den Flug EJU5704 von Rom FCO nach Berlin Tegel am 7. März mit planmäßiger Ankunft um 20:44 Uhr.

Gerade aus Rom kommend in Berlin TXL gelandet. Am Flughafen in Rom die „Aussteigekarte“ zum ausfüllen erhalten. Crew hat die Karten während des Fluges eingesammelt.

Nach der Landung wurde mitgeteilt, dass wir alle auf unseren Plätzen bleiben sollen, da die Crew noch herausfinden muss, was mit den Karten passiert. Crew hat herausgefunden, dass wir die Karten selbstständig im Flughafengebäude abgeben sollen.

Crew hat also beim Ausstieg die ausgefüllten Karten wieder zurückgegeben. Wir kommen mit unseren Karten ins Flughafengebäude und es ist keine Stelle in Sicht, um die Karten abzugeben. Zwei Polizisten stehen an den Gepäckbändern – die wissen aber auch nicht wohin mit den Karten. Alle Passagiere drehen sich dreimal im Kreis, gucken sich um, sind verwirrt und gehen nun einfach mit ihren Karten nach Hause. Die Moral von der Geschicht – gebe die Karte ab, nicht. Irgendwie wunder einen gar nichts mehr.

Ich habe eine Presseanfrage an den Flughafen Tegel geschickt mit Bitte um eine Stellungnahme zu diesem Bericht. Die Antwort geht leider – wie ich das aus Russland kenne – nicht auf die konkrete Situation ein:

„Sehr geehrter Herr Reitschuster,haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage an die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB).Die Crews der Fluggesellschaften sammeln die sogenannten Aussteigekarten ein und geben diese über ihren Handlingsagenten an den Flughafen. Dort werden die Karten von Mitarbeitern der zuständigen Gesundheitsämter abgeholt. Für Tegel ist das Gesundheitsamt Reinickendorf zuständig, für Schönefeld das Gesundheitsamt im Landkreis Dahme-Spreewald.Mit freundlichen GrüßenXXXX XXXXXPressesprecherUnternehmenskommunikation“

Auf der Internet-Seite der Berliner Flughäfen ist folgende Information zu finden: „Passagiere, die aus Italien einfliegen, müssen auf Anordnung des Bundesgesundheitsministeriums vor der Ankunft am Flughafen sogenannte Aussteigerkarten ausfüllen, auf denen die Passagiere Auskunft zur persönlichen Erreichbarkeit während der nächsten 30 Tage für sich sowie minderjährige Reisebegleiter geben müssen. Anschließend werden die Karten dem jeweils zuständigen Gesundheitsamt übergeben, wo die Daten aufbewahrt und ggf. für eine spätere Kontaktaufnahme verwendet werden können. Die Aussteigerkarten erhalten die Passagiere von den Crews der jeweiligen Airline.“

Interessanterweise ist der Auskunft nicht zu entnehmen, welches „jeweils zuständiges Gesundheitsamt“ auch wirklich zuständig ist – da, in dessen Amtsbezirk der Flughafen liegt, oder das am Aufenthaltsort des Passagier. Solche unklaren Zuständigkeiten könnten dafür verantwortlich sein, dass die Formulare schließlich im Nirwana landen.

Klagen über das Versagen der Behörden gibt es zuhauf. Aktuell etwa auch vom Gründer der Tempelhofer Firma TIB Molbiol. Sie produziert Test-Kits auf das Covid-19-Virus für Kunden in 60 Ländern. „Rund 2,50 Euro koste einer seiner Tests“, erklärt der Firmeninhaber Olfert Landt im Tagesspiegel: „Mit Arbeitskosten und dergleichen dürften die Labore eigentlich nicht mehr als zehn Euro verlangen, rechnet er vor. Dass ein Test um die 300 Euro kosten solle, könne er sich nur mit einer ,riesigen Geldverschwendung´ erklären.“ Gleichzeitig wird den Bürgern erklärt, man könne nur bei begründetem Verdacht testen, weil die Kapazitäten nicht ausreichten – während dem Artikel zufolge Tausend Testkits nach Ruanda und in die ganze Welt verkauft werden.

Weitere Zitate aus dem Artikel über Landt: „Er habe zwar nichts übrig für Verschwörungstheorien, aber die die Zahl von 3000 Todesopfern in China halte er nicht für plausibel. ,Es dürften eher bereits 40.000 bis 60.000 sein.´ Er verweist auf Berichte über Überstunden in den Krematorien des Landes und die Bemühungen der chinesischen Regierung, Probleme kleinzureden.“ Und: „Seinen eigenen Eltern habe er geraten, einen Vorrat an Medikamenten und Lebensmittel anzulegen, damit sie das Haus nicht mehr verlassen müssten – auch nicht für einen Arztbesuch. Und seine erwachsenen Kindern möchte er nicht mehr in Clubs tanzen gehen sehen.“

P.S.: Ich persönlich sehe Corona gelassen entgegen – in 16 Jahren Russland habe ich mir wohl den dort landesüblichen Fatalismus angeeignet und gehe sehr entspannt mir Horror-Meldungen und Krisen(warnungen) um – weil ich die gewohnt bin. Allerdings glaube ich, dass im Umgang mit der Pandemie sehr viel Professionalität von Nöten ist – und Ehrlichkeit. Und nach all den Erfahrungen hierzulande, etwa mit dem Berliner Flughafen oder dem Mangel an wichtigen Medikamenten in Berlin, ist mein Vertrauen in die Behörden für den Krisenfall schwer angeschlagen (siehe auch meinen Bericht darüber, wie Gesundheitsminister Spahn das Virus noch vor einer Woche in der Tagesschau verharmloste und warum Deutschland nur bedingt abwehrbereit gegenüber der Pandemie ist.

P.P.S.: Die linke Frankfurter Rundschau freut sich, dass das CoronaVirus gut fürs Klima sei. Artikelüberschrift: „Corona hilft dem Klima“. Nach dem Rat zum Verzicht auf Kinder fürs Klima jetzt also Freude über eine schwere Krankheit, an der viele Menschen sterben. Aus Ideologie geborene Menschenverachtung!


Bild: twitter

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