Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Bedeutende Menschen äußern oft bedeutende Sätze. So soll zum Beispiel der deutsche Fußballer Andy Möller im Jahr 1992 auf die Frage nach seiner weiteren Karriere die legendäre Antwort „Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien“ gegeben und sich damit, was Geographie betrifft, schon damals in eine Reihe mit der heutigen Außenministerin gestellt haben, die bekanntlich Länder kennt, die Hunderttausende von Kilometern entfernt sind. Doch auch Philosophen neigen zu tiefsinnigen Äußerungen, allen voran der bekannte Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Da man heute die Leserschaft vor allzu starken mentalen Belastungen warnen muss, weise ich allerdings vorsorglich darauf hin, dass die nachstehende Formulierung Hegels die Leser beunruhigen könnte, gerade auch in Zeiten aufkommenden Energiemangels und überhöhter Strompreise. In seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften schrieb er nämlich über das Phänomen der Elektrizität: „Die Elektrizität ist der reine Zweck der Gestalt, der sich von ihr befreit, die Gestalt, die ihre Gleichgültigkeit aufzuheben anfängt; denn die Elektrizität ist das unmittelbare Hervortreten oder das noch von der Gestalt herkommende, noch durch sie bedingte Dasein.“ Für alle, die bis hierher durchgehalten haben, noch der zweite Teil des Satzes: „Oder noch nicht die Auflösung der Gestalt selbst, sondern der oberflächliche Prozeß, worin die Differenzen die Gestalt verlassen, aber sie zu ihrer Bedingung haben und noch nicht an ihnen selbständig sind.“
Welcher Elektromeister oder -ingenieur hätte nicht gerne in seiner Ausbildung derart profunde Erläuterungen vernommen? Ein wenig erinnert die Präzision Hegels an die berühmten NDR-Podcasts des nicht minder berühmten Staatsvirologen Christian Drosten, mit denen man ähnlich viel anfangen konnte wie mit der aufgeblasenen Definition des Staatsphilosophen Hegel: Zu viel Staatsnähe scheint auf Kosten der gedanklichen Klarheit zu gehen.
Aber auch in unserer Zeit sind wichtige Äußerungen zu vermelden. Vor wenigen Tagen hat die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit dem grünen Urgestein Daniel Cohn-Bendit geführt, und da findet sich so manche Perle. Ein großer Teil des Gesprächs handelt von Israel, dem Antisemitismus und der Zwei-Staaten-Lösung: „Wenn ich will, dass die Menschen in Israel heute und in Zukunft in Frieden leben können, dann kommt moralisch und politisch nur die Zwei-Staaten-Lösung infrage.“ Sehr neu ist diese Idee nicht, und sie scheitert bedauerlicherweise stets daran, dass man bei der Hamas Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ nicht nur skandiert, sondern auch mit Eifer in die Tat umsetzt: Der Fluss, das ist der Jordan, das Meer ist das Mittelmeer, und in genau dieses Mittelmeer möchte man bei der Hamas die Juden treiben. Da aber auf dem Meeresgrund kein Staat zu machen ist, dürfte die Zwei-Staaten-Lösung noch lange eine Illusion bleiben.
Seine Illusion will ich Cohn-Bendit aber nicht vorwerfen, er scheint ja selbst zu wissen, dass es eine ist. Interessanter wird es, wenn das Gespräch darauf kommt, dass der hessische Ministerpräsident Boris Rhein sich von der Koalition mit den Grünen verabschieden und die Gesellschaft der SPD suchen will. „Im Grunde genommen wollen sie“, kommentiert Cohn-Bendit, „die Parenthese, dieses Zwischenspiel mit den Grünen beenden.“ Man fühlt sich an Giovanni Trapattonis legendäre Wutrede von 1998 erinnert: „Was erlauben Strunz?“ Oder eben aktualisiert: „Was erlauben Rhein?“ Ja, was erlaubt sich dieser unverschämte Mensch? Er will den Koalitionspartner wechseln und damit das Zwischenspiel mit den Grünen beenden. Doch jede Koalition ist nichts weiter als ein Zwischenspiel, sofern man demokratische Prinzipien ernst nimmt. Die sozialliberale Koalition aus SPD und FDP in der Bundesregierung dauerte von 1969 bis 1982, das sind 13 Jahre: Ein Zwischenspiel, das durch eine andere Koalition abgelöst wurde. Und die schwarz-güne Koalition brachte es in Hessen immerhin auf 10 Jahre, ein weiteres Zwischenspiel zwischen zwei anderen Konstellationen. So etwas nennt man einen demokratischen Machtwechsel, aber das mögen Grüne nur dann, wenn sie durch den Machtwechsel selbst an die Macht gelangen.
Auch sein nächster Satz zeigt, was er denkt. „Dieses bürgerliche Gesocks“ – nach Angaben der Süddeutschen Zeitung entschuldigt er sich für dieses Wort, schimpft aber gleich weiter – „die Bürgerlichen haben sich die Grünen zum Hauptfeind erkoren.“ Nun gut, entschuldigt hat er sich für die Beleidigung, aber gesagt und somit gedacht hat er sie dennoch. Der Begriff „Gesocks“ stellt eine „abwertende Beleidigung für eine Gruppe von Menschen, denen man nicht traut,“ dar, und man sieht, was Cohn-Bendit von der bürgerlichen Konkurrenz hält. Man stelle sich nur vor, jemand wie Gauland hätte beispielsweise über grünes Gesocks oder grünes Gesindel gesprochen, Entschuldigung hin oder her! Zwei ARD-Brennpunkte wäre das sicher wert, bürgerliches Gesocks dagegen muss wohl keinen interessieren.
Denn die Bürgerlichen haben sich ja die Grünen zum Hauptfeind genommen, so lautet der Vorwurf. Sicher, das sieht man deutlich an der Landesregierung von Schleswig-Holstein, wo die sogenannten Bürgerlichen – eine eher zweifelhafte Bezeichnung für den dortigen Ministerpräsidenten – mit den Grünen regieren, und an Nordrhein-Westfalen mit der gleichen Konstellation. In Cohn-Bendits Denken scheint es üblich zu sein, dass man mit dem Hauptfeind Koalitionen eingeht. Und selbst wenn es eine Grundlinie der „Bürgerlichen“ wäre, die Grünen zum Hauptfeind zu erklären: Ist das ungewöhnlich? Die AfD muss schon lange damit leben, Hauptfeind von diesem und jenem zu sein, damit muss man in der Politik zurechtkommen. Es sei denn, man ist ein Grüner und glaubt, man habe ein Recht darauf, von jedem gemocht zu werden.
Doch die Bürgerlichen sind ja noch schlimmer: „Sie meinen, die Republik gehört ihnen allein.“ Das faktenbefreite Jammern geht munter weiter. Vielleicht habe ich während der letzten zwei Jahre etwas übersehen, aber sind nicht gerade die Grünen treibende Kraft in dem, was man euphemistisch als Bundesregierung bezeichnet? Und besteht nicht ein großer Teil der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung aus rot-grüner Propaganda? Es war, um nur ein Beispiel zu nennen, die grüne Bundestagsabgeordnete Sandra Detzer, die 2021 kurz vor Koalitionsbeginn meinte: „Wenn die Koalition erst steht, wird uns nichts mehr aufhalten können. Wir werden mit aller uns dann zur Verfügung stehenden Macht gestalten und vorangehen. … Und deshalb wird gerade uns Grüne an der Regierung anschließend nichts mehr aufhalten können.“ Und werden nicht grün lackierte NGOs mit staatlichen Geldmitteln versehen, als gäbe es kein Morgen? Es sind die Grünen, die glauben, „die Republik gehört ihnen allein“, und sie glauben es nicht nur, sie setzen es jeden Tag in die Tat um. Auf unsere Kosten.
Kommen wir nun zu Cohn-Bendits gleich anschließender schönster Formulierung: „Da sind die Grünen wie die Juden, sie stören nur.“ Ich werde gleich näher darauf eingehen, muss aber vorausschicken, dass er im vorherigen Absatz über die Antisemiten äußerte: „Antisemitismus wird es auch dann noch geben, wenn es keinen einzigen Juden mehr gibt. Die Juden stören.“ Da will ich ihm nicht widersprechen; in den Augen der Antisemiten stören die Juden deshalb, weil sie Juden sind, das reicht ihnen schon. Und es mag sein, dass er seine Gleichsetzung der Grünen mit den Juden in diesem Sinne gemeint hat: Sie stören eben schon deshalb, weil sie Grüne sind, weitere Gründe braucht man nicht. Doch nichts könnte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein. Die Grünen stören, weil sie eine irrsinnige Politik vorantreiben, weil sie Deutschland zum energiepolitischen Geisterfahrer machen, über den der Rest der Welt lacht, weil sie Industrie und Wohlstand ruinieren, weil sie deutsches Steuergeld großzügig und völlig sinnlos in der Welt verteilen – das alles sind gute Gründe, sich gestört zu fühlen. Mir ist nicht bekannt, dass Antisemiten die Juden aus ähnlichen Gründen als Störfaktor betrachten.
Versteht man den Satz „Da sind die Grünen wie die Juden, sie stören nur“ etwas allgemeiner, wird er noch schlimmer. Denn wenn die Grünen so sind wie die Juden und sich alle an ihnen stören, sollte man doch erwarten, dass es ihnen auch so ähnlich geht wie den Juden. Ich darf an den oben zitierten Reim erinnern, den man derzeit auch auf deutschen Straßen im Zuge einschlägiger Demonstrationen hört: „From the river to the sea, Palestine will be free.“ Gibt es etwas Ähnliches in Bezug auf die Grünen? Etwa: „Von den Alpen bis zum Meer, treibt die Grünen vor euch her“? Ich wüsste nicht. Auch die Parole „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ wurde hierzulande schon mehr als einmal lautstark zum Besten gegeben. Sollte man Vergleichbares im Zusammenhang mit den Grünen vernommen haben, zum Beispiel: „So nicht, so nicht, Grüne vor Gericht“? Das wäre deutlich harmloser als das Original, aber große Demonstrationen mit Parolen dieser Art sind mir nicht aufgefallen. Und wie sieht es mit den Juden aus, die es in manchen Gegenden Deutschlands nicht mehr wagen, ihre Kippa zu tragen? Gab es Berichte über Grüne, die sich gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt sahen wegen eines demonstrativ getragenen Stickers „Atomkraft, nein danke“? Auch das scheint eher selten vorgekommen zu sein. Und das ist auch begrüßenswert, denn Derartiges ist eines freiheitlichen Rechtsstaates – die Älteren unter uns werden sich noch daran erinnern, was das ist – nicht würdig. Wie man es aber auch dreht und wendet: Die Vorstellung, die Grünen seien wie die Juden, ist nur lächerlich. Noch lächerlicher wäre nur die Idee, Annalena Baerbock würde etwas von Diplomatie verstehen oder Robert Habeck etwas von Wirtschaft.
Cohn-Bendit ist nur ein Beispiel für grünen Realitätsverlust, der im Falle eines Politpensionärs nicht übermäßig schlimm ist, bei unseren aktiven Fehlbesetzungen in der Politik und in öffentlich-rechtlichen Medien aber umso schlimmer. Über die Politik muss ich wohl nicht mehr sprechen, die spricht für sich. Um nur ein Beispiel aus der ARD zu nennen: Dort äußerte ein Wetterexperte mit wissendem Lächeln über die aktuelle Kältewelle, es sei ja nur kalt, aber nicht bitterkalt, und ohne den Klimawandel wäre die Situation sicher kälter gewesen. „Ohne den Klimawandel wären die Schneehöhen auf jeden Fall aktuell höher, als sie es jetzt tatsächlich sind.“ So einfach ist das Leben eines grün denkenden Klimabewegten. Es ist zwar kalt, aber es könnte ja noch kälter sein; es liegt zwar zu einer untypischen Jahreszeit zu viel Schnee, aber es könnte ja noch mehr sein, und dass es für die Jahreszeit zu kalt, aber nicht noch kälter ist, und dass zu viel Schnee, aber nicht viel zu viel Schnee liegt, dafür ist nur der Klimawandel verantwortlich. Hätte man −50 °Celsius gemessen und eine Schneehöhe von zwei Metern, hätte der Experte zweifellos analysiert, ohne Klimawandel wären es −60 °C und zwei Meter fünfzig.
Arthur Schopenhauer war kein Freund Hegels, im Gegenteil, und über Hegels philosophische Künste meinte er in der Vorrede zur zweiten Auflage der „Welt als Wille und Vorstellung“:
„Oder glaubt man etwa, dass bei einem solchen Streben und unter einem solchen Getümmel so nebenher auch die Wahrheit, auf die es dabei gar nicht abgesehen ist, zutage kommen wird?“ Man muss das nicht auf Hegel beschränken, es gilt ohne Abstriche auch für den politischen und den journalistischen Unsinn unserer Tage. Eine Schweizer Bäuerin hat mir kürzlich mitgeteilt, in der Schweiz sei eine kurze und knappe Charakterisierung dieses Unsinns recht weit verbreitet: „Grüne sind wie Schnittlauch – außen grün, innen hohl.“ Und für eben solche Leute gilt genau das, was Cohn-Bendit über die „Bürgerlichen“ behauptet hat: „Sie meinen, die Republik gehört ihnen allein.“ Die Folgen können wir bestaunen.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.