Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen
Wolfgang Kubicki pocht auf unsere demokratische Verfasstheit, auch in der Krise, und fordert unsere Bürgerrechte zurück. Es gelingt ihm zumindest ansatzweise das Bürgerrechtsprofil seiner Partei wieder etwas zu schärfen. Nur schade, dass er so wenig Rückendeckung vom Parteichef bekommt.
Kubicki matters, möchte man meinen, wenn man seine Einladungen in deutsche Talkshows verfolgt. Bei Anne Will ist er oft, in der Phönix-Runde war er gerade und für keine private oder öffentlich-rechtliche Sendung ist er sich zu schade.
Kubicki wird eingeladen, obwohl er für jeden Moderator ein Risiko darstellt. Bei der Polit-Talkshow Timeline (ntv) antwortete er im Frühjahr auf die Frage, ob er das Talkshow-Publikum gerade vermisse: “Das im Saal nicht. Das sind ja keine freien Leute, die einfach so kommen, sondern in der Regel Leute, die bestellt kommen.”
Das Problem mit Kubicki ist, dass er verdammt oft ins Schwarze trifft. Das macht ihn für Live-Sendungen so attraktiv und zugleich gefährlich.
Er setzt sich im Sommer in „Hart aber fair“ mit Lauterbach auseinander, der wie immer von allen Freuden des Lebens dringend abriet. Kubicki hält entgegen, dass er sich, im Unterschied zu dem SPD-Politiker bedenkenlos in einen Mallorca-Flieger setzen würde. „Schließlich wird dort alle drei Minuten die Luft ausgetauscht.“
Wie wir seit einigen Tagen wissen, wird im internationalen Konferenzraum, dem Corona-sichersten Raum des Kanzleramtes, nur alle 8-9 Minuten die Luft ausgetauscht!
Kubicki ging also schon im Sommer auf Nummer sicher, während Lauterbach offensichtlich den Schutzmaßnahmen der eigenen Regierung nicht traute. Aber wem traut Lauterbach schon, außer sich selbst? Jetzt hat Kubicki sein neues Buch: „Meinungsunfreiheit“ vorgestellt, das von einer nie dagewesenen Meinungsunfreiheit in unserer Republik handelt.
„Wo Meinungskorridore sich verengen und Debatten nicht mehr sachlich geführt, sondern aufs Äußerste moralisiert werden, stirbt die Meinungsfreiheit und mit ihr die Grundlage unseres gesellschaftlichen Diskurses.“
Wolfgang Kubicki ist genauso eloquent wie sein Parteichef, aber er ist nicht unsicher. Im Unterschied zu Lindner weiß er genau, wie weit er gehen kann und reizt diese Grenze im Interesse der Meinungsfreiheit aus.
Das ist heute nicht selbstverständlich.
In einer Phönix-Runde mit Anke Plättner vom 20.10.2020 vertritt er als Vize-Präsident des Bundestages die nachvollziehbare Auffassung, dass nun langsam Schluss damit sein muss, Grundrechte auszuhebeln und dabei die Legislative, gemeint ist der Bundestag, die allein das Recht der Gesetzgebung hat, nicht einmal zu fragen.
[themoneytizer id=“57085-1″]Geringes Demokratieverständnis der jüngeren Generation leuchtet deutlich auf.
Es wird gerade in dieser Runde auch das Generationenproblem deutlich, das bürgerliche Politiker mit hoher Demokratie-Adhärenz, wie der FDP-Vize, mit der jungen Generation haben.
Die einzige Journalistin (neben der Moderatorin) in der Talk-Show, Jana Wolf von der Mittelbayerischen Zeitung, wirkt vergleichsweise naiv, wenn sie die Aushebelung der Gewaltenteilung durch Kanzlerin und Ministerpräsidenten als „gutes Signal“ sieht und ein demokratisches Problem nicht erkennen kann, weil ja bei den Ministerpräsidenten auch Uneinigkeit über die Maßnahmen herrsche. Der Einwand des anwesenden Verfassungsrechtlers, dass eine Ministerpräsidenten-Runde mit der Kanzlerin nicht der vorgesehenen Gewaltenteilung entspricht, entlockt ihr nur ein müdes Lächeln. Es wirkte so, als wollte sie ausdrücken, dass dies doch nebensächlich sei. Entscheidend sei schließlich laut Wolf, wie diese Dinge kommuniziert würden.
Es gibt leider ein Defizit im Verstehen demokratischer Regeln, vor allem in der jüngeren Generation, gegen das Politiker wie Kubicki nur noch mühsam ankommen. Für Journalistinnen wie Jana Wolf scheint nur der Erfolg zu zählen, den die einschneidenden Maßnahmen vermeintlich hatten. Ein Standpunkt extremer Anfälligkeit für jede Manipulation.
Das Problembewusstsein ist auch bei den Grünen ähnlich gering ausgeprägt, weshalb diese Partei, nebenbei bemerkt, eben nicht als Bürgerrechtspartei taugt. Die bedingungslose Überzeugung, mit der beispielsweise ein Anton Hofreiter immer noch schärfere Einschränkungen der Grundrechte im Rahmen der Pandemie forderte, ist ein weiteres Beispiel für das Defizit dieser grün und zugleich bis zur Selbstaufgabe opportunistisch geprägten Generation der Berliner Republik geworden.
Die kritiklose Unterstützung, die auch viele Nichtregierungsorganisationen gerade von Jüngeren bekommen, ohne dass diese Politik-Akteure in irgendeiner Weise demokratisch legitimiert sind, macht ebenso besorgt.
Politiker wie Kubicki, die den bürgerrechtlichen Teil der FDP gut vertreten können, sind bei den Freien Demokraten leider dünn gesät. Diese Ausnahmestellung macht seine besondere Attraktivität für die Medien aus.
Wer würde sich schon trauen, den erfahrenen Politiker in die rechte Ecke zu stellen, wenn er Kritik äußert, die bitter notwendig ist.
Die Gefahr in eine totalitäre Gesellschaft abzugleiten, in der nicht mehr die demokratischen Regeln, sondern bestimmte Meinungen und Mindsets Legitimität erzeugen, die „Meinungsdiktatur“ lässt sich derzeit mit Händen greifen!
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“