Eigentlich galt die Welt einmal als konservative Zeitung. Ihr Gründervater Axel Springer war beseelt vom Kampf gegen die DDR und die SED-Diktatur. Heute hat die Linke – nach eigenem Bekenntnis nichts anderes als die umbenannte SED – die Macht in Thüringen verloren. Und wie kommentiert das der Chef von Springers Welt, Ulf Poschardt (ganz zeitgeisttreu in Kleinbuchstaben)? „wer sich von einem widerwärtigen rechtsradikalen wie @BjoernHoecke zum ministerpräsidenten wählen lässt, hat schande über den liberalismus gebracht“. Kristina Faßler, General Manager der Welt, schreibt gar: „Es hat sich lange angedeutet. In aller Abscheulichkeit. Und trotzdem. Es haut Dir die Beine weg. Jetzt wo es passiert ist. Zum Weinen.“
Gut, dass der 1985 verstorbene Springer nicht mehr solche Reaktionen aus seinem eigenen Haus auf die Abwahl der von ihm gehassten SED nicht mehr miterleben muss. Die Reaktionen von Poschardt und Faßler zeigen, wie weit in dieser Republik unter Angela Merkel die politischen Maßstäbe verrutscht sind. Das zeigt ein kurzer Kommentar des Korrespondenten der Neuen Zürcher Zeitung in Berlin zur Wahl Kemmerichs: „Tabubruch, ein Skandal? Das ist Demokratie! Es gibt keinen Grund, die Wahl von Thüringen moralisch zu verurteilen. Die deutsche Demokratie hat keinen Schaden genommen. Dass sich der FDP-Kandidat auch von der AfD wählen liess, ist kein Makel.
Liest man dagegen heute die Reaktionen von deutschen Politikern und Journalisten, dann bekommt man den Eindruck, Deutschland stehe kurz vor der Machtübernahme von Rechtsextremen. Gezielt wird irreführend geframt: Jeder gewählte Abgeordnete entscheidet bei der Wahl der Regierung mit, das ist die natürlichste Sache in einer Demokratie. Viele Journalisten und Politiker tun jetzt so, als sei das Mitwählen des Regierungschefs das gleiche wie Mitregieren. Das ist Irreführung, ja ein intellektuelles Hütchenspiel. Von einem Mitbestimmen oder gar Mitregieren der AfD war nie die Rede.
Wirklich undemokratisches Verhalten zeigte an diesem denkwürdigen Mittwoch Thüringens Linken-Chefin Hennig-Wellsow: Sie warf dem neuen Ministerpräsidenten nach seiner Vereidigung einen Blumenstrauß vor die Füße. „Sie scheint außer sich“, hieß es im MDR. Ausgerechnet Bernd Riexinger, der Chef der Partei, die sich nie überzeugend von ihren Verbrechen (und den alten, „verschwundenen“ SED-Milliarden) distanziert hat, sprach nach dem Scheitern ihres Kandidaten Bodo Ramelow von einem „Tabubruch“.
Der eigentliche Tabubruch war, dass die einzige im Bundestag vertretene Partei mit Diktatur-Vergangenheit heute wieder mitregiert, und dass viele das zur Normalität herbei schrieben und herbei redeten; ja dass in Medien nach der Wahl in Thüringen im Oktober sogar die Forderung nach einer „Volksfront“ laut wurde. Das ist geschichtsvergessen, ein Hohn auf die Opfer linker Diktatur.
Dass der SED-Erbe Ramelow abgewählt wurde, müsste bei aufrechten Demokraten Erleichterung hervorrufen. Stattdessen wird die FDP nun massiv angegriffen. Ihr Vergehen: Dass sie es mit der Demokratie ernst nahm. Dass sie die Abgeordneten entscheiden ließen. In Merkels Demokratie, die immer stärker Anzeichen von einer gesteuerten Demokratie hat, löst das Empörung aus.
Der Grund dafür ist klar: Die Wahl Kemmerichs sprengt Risse in die politische Grabplatte, die Merkel und ihre Getreuen auf die politische Landschaft der Bundesrepublik gelegt haben. Die liberal-konservativen Kräfte in Thüringen haben das geschafft, ohne eine Bündnis oder eine wie auch immer geartetete Zusammenarbeit mit der AfD eine nicht-linke Machtoption zu realisieren und ihre taktische Lähmung durch rot-rot-grün zu überwinden. Das ist der GAU für das System Merkel.
Das fatale Fundament, auf dem sie mit Unterstützung der linksgrünen Eliten ihre Macht zementiert hat, droht nun zu scheitern: Ihre Strategie der „Alternativlosigkeit“, des bedingungslosen Ausgrenzens und Diffamierens einer politischen Kraft, ihr Kurs der tiefen Spaltung unseres Landes um des Zusammenhalts der anderen politischen Kräfte um sie herum willen. Der Aufschrei nach Thüringen ist so gewaltig, weil Linksgrün mit der als Christdemokratin getarnten Merkel jetzt um seine Hegemonie fürchten muss.
Nicht nur die Hoheit über dem Meinungskorridor entgleitet den Ideologen immer mehr (weswegen ihre Diffamierung von Nicht-Linken als Nazis immer absurder werden) – auch ihr Macht-Airbag in Form der Stigmatisierung der AfD droht zu zerplatzen.
Auch wenn man die AfD kritisch sieht und Höcke gleich dreimal: Die Wahl Kemmerichs ist ein Hoffnungsschimmer für die Demokratie in Deutschland. Für ihre Lebendigkeit. Dafür, dass sie wieder Leben eingehaucht bekommt. Die Wahl Kemmerichs könnte der Anfang vom Ende des Systems Merkels sein. Das wäre eine Chance für Deutschland, für unsere Freiheit, für unsere Demokratie und für unsere Rechtsstaatlichkeit. Es ist nicht risikofrei. Was in Thüringen heute passiert ist, kann im schlimmsten Fall zu Verwerfungen führen. Aber dieses Risiko besteht in einer lebendigen Demokratie immer, und eine solche kann damit fertig werden; eine mit einer Grabplatte zugedeckte Demokratie dagegen wird zwangsläufig massiven Verwerfungen ausgesetzt und an diesen scheitern.
Auch wenn Thüringen Hoffnung macht: Man muss sich bewußt sein, dass der Abwehrkampf der Kanzlerin und ihrer Getreuen in Politik und Medien jetzt noch massiver und rücksichtloser geführt werden wird. Sie stehen in Anbetracht der Realitäten im Land, die ihre Ideologie ad absurdum führen, mit dem Rücken zur Wand. Das macht sie besonders gefährlich. Bei aller Distanz zur AfD – in der heutigen Konstellation, massiv angeschlagen, könnte eine Merkel mit ihren willfährigen Getreuen in ihrer Realitätsflucht im Kanzleramt gefährlicher sein für unsere Demokratie als eine auf die Oppositionsbänken gefesselte AfD.
Bild: WIX