Von Daniel Weinmann
Die Zurückweisung kam prompt: „Es gibt keine Abhängigkeit Deutschlands von Russland, schon gar nicht in Energiefragen“, sagte der damalige Bundesaußenminister Heiko Maas im Herbst 2018 am Rande der UN-Generaldebatte in New York. Donald Trumps Vorwurf entspreche „nicht der Realität“.
Der frühere US-Präsident hatte tags zuvor in seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen gewarnt, Deutschland werde „total abhängig von russischer Energie werden, wenn es nicht sofort seinen Kurs ändert“. Stein des Anstoßes war Nord Stream 2, das ein Jahr später russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland pumpen sollte. Trump übte bereits seit Monaten harte Kritik an diesem Projekt.
Maas entgegnete, die Bundesregierung werde „nicht müde werden“, Trumps Beurteilung die „echten Fakten entgegenzusetzen“. Die Pipeline sei kein politisches Projekt, sondern in erster Linie ein ökonomisches. Der im Publikum sitzende SPD-Mann und seine Delegation quittierten Trumps Attacke gegen Nord Stream 2 mit sichtlichem Amusement. „Der deutsche Außenminister Heiko Maas konnte grinsend mit seinen Kollegen gesehen werden“, berichtete die „Washington Post“. „Bild“ spottete derweil über „Lachen, Kopfschütteln und Stirnrunzeln“.
Gefährlicher Mix aus mangelndem Weitblick und schierer Fehleinschätzung Putins
Es lässt sich nur spekulieren, was den SPD-Politiker dazu bewogen haben mag. War es nur einfaches Trump-Bashing, mit dem der politisch blasse Maas auf Stimmenfang gehen wollte? War es die Laune eines Außenministers, der angesichts seines Totalversagens als Volksvertreter zumindest so auf sich aufmerksam machen wollte?
In jedem Fall war es ein Mix aus mangelndem Weitblick und schierer Fehleinschätzung Putins.
„Deutschland muss für seine Abhängigkeit von Russlands billiger Energie büßen“, bringt „Bloomberg“ dreieinhalb Jahre später Maas‘ Bauchlandung auf den Punkt.
„Jahrelang haben die USA Deutschland davor gewarnt, sich in eine gefährliche Energieabhängigkeit von Russland zu begeben, das mehr als die Hälfte seiner Importe fossiler Brennstoffe liefert“, schreibt die Nachrichtenagentur, „jetzt, da der Krieg in der Ukraine Berlin zu der gleichen Schlussfolgerung veranlasst hat, stellt die Regierung fest, dass ein Kurswechsel möglicherweise zu spät kommt.“
Beträchtliches Maß an Blauäugigkeit beim Bundeskanzler
Mehr noch: Die größte europäische Volkswirtschaft sehe sich mit der Aussicht konfrontiert, dass der Großteil ihrer Erdgas- und Kohlelieferungen abgeschnitten werden könnte, was ihre industrielle Basis erschüttern und wirtschaftliche Umwälzungen auslösen würde. Blickt man auf nachstehende Grafik, erscheint dieser Befund nicht einmal übertrieben:
David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, formuliert die Brisanz gegenüber Bloomberg so: „Wenn entweder die Europäer das Gas nicht mehr kaufen wollen oder Russland ihnen den Hahn zudreht, wäre das ein sehr großer Schock. Sie werden eine sehr ernste Rezession haben.“
Bundeskanzler Olaf Scholz sieht den Gasbedarf Deutschlands derweil bis zum nächsten Winter gedeckt – und offenbart damit ebenso wie sein Parteigenosse ein beträchtliches Maß an Blauäugigkeit. Denn die europäischen Gasspeicher sind derzeit zu weniger als einem Drittel gefüllt, was deutlich unter dem Durchschnitt für diese Jahreszeit liegt. Um den Ausfall des russischen Gases zu kompensieren, bräuchte Deutschland nach Schätzungen des Deutsche Industrie- und Handelskammertages die Lieferungen der gesamten weltweiten Flotte von 600 Flüssigerdgas-Tankern.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Alexandros Michailidis/ShutterstockText: dw