Der mysteriöse Bettenschwund Trotz Corona – Intensivstationen bauten Betten ab

Intensivbetten sind in Corona-Zeiten besonders wichtig. Von ihrer Zahl hängt ab, wie viele schwer Erkrankte behandelt werden können. Mit der Gefahr, dass zu wenige solcher Betten verfügbar sind, werden ganz wesentlich der Lockdown und die schwerwiegenden Einschränkungen der Grundrechte begründet. Da die Krise seit Februar bekannt ist, sollte man also davon ausgehen, dass Politiker und Mediziner alles tun, um die Zahl der zur Verfügung stehenden Intensivbetten zu erhöhen. Umso überraschender ist, dass ein Blick in das offizielle Intensivregister zeigt, die Zahl solcher Betten ist in den vergangenen Monaten gesunken. Hier stellt sich die Frage: Warum?

Aber zu den Zahlen. Hier fällt auf, dass etwa die Anzahl der Intensivbetten aus der Kategorie „High Care“, also mit besonders intensiven Behandlungsmöglichkeiten, von identischen 13.870 etwa am 17.9. und am 17.10 um 1.655 auf nur noch 12.215 am 27.11. gesunken ist. Insgesamt gab es am 17.9. in den Intensivstationen der Bundesrepublik laut DIVI 30.785 Betten; am 17.10 waren es nur noch 30.058 Betten. Am 27.11. blieben davon nur noch 27.618 übrig. Ein Minus von 3.167 Betten in gut zwei Monaten  Es geht um die Gesamtzahl der Betten, nicht um die Zahl der belegten. Die Zahl der belegten blieb insgesamt weitgehend gleich, wie diese Grafik auf Grundlage des DIVI-Intensivregisters zeigt:

Wie kommt es zu dem Schwund an Intensivbetten? Wurde Personal abgezogen in andere Abteilungen? Kam es zu einem Schwund an Personal? Gibt es Probleme beim Meldesystem? Was hat die Bundesregierung in all den Monaten gemacht? Ist der Verdacht eines Versagens hier wirklich abwegig? 

Gleichzeitig vermitteln Medien einen etwas erstaunlichen Eindruck. Hier sehen Sie zum Vergleich eine Grafik aus der Frankfurter Allgemeinen. Die Überschrift suggeriert, es handle sich bei den Zahlen um die generelle Belegung von Intensivbetten. Es geht aber nur um die Zahl derjenigen Patienten dort, die einen positiven Test haben. Genau das wird zumindest dem eiligen Leser aber nicht vermittelt, er bekommt den Eindruck, die Zahl der Betten insgesamt werde knapp. Ein Rückgang der freien Betten mit besonders intensiver Behandlungsmöglichkeit ist zwar festzustellen, aber dass deren Anzahl wie oben ausgeführt insgesamt deutlich zurückgegangen ist, bleibt dem Leser verborgen. Ebenso die Sieben-Tage-Notfall-Reserve von aktuell 12.353 Betten laut DIVI. Es handelt sich dabei um Intensivbetten, die binnen Sieben-Tagen bereitgestellt werden könnten.

Laut einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) unter 1.098 ihrer  Mitglieder, die das Ärzteblatt zitiert, glauben 97 Prozent nicht, dass ausreichend Intensivpflegekräfte zur Verfügung stehen, um die im DIVI-Register gemeldeten Intensivbetten in der zweiten Welle einsetzen zu können. Ein Grund dafür ist laut Ärzteblatt vom 7. November die Kinderbetreuung: „Der Umfrage zufolge haben 36 Prozent der Befragten Kinder im Vorschulalter oder in der Schule. 71 Prozent davon müssen ihr Kind aus der Kita oder der Schule nehmen, wenn es Husten oder Schnupfen hat. Nur 26 Prozent können in der Regel jedoch an diesen Tagen eine alternative Kinderbetreuung organisieren. Im Endergebnis befürchten 33 Prozent der Befragten, dass sie infolge der aktuellen Coronaregelungen mehr der Arbeit fernbleiben müssten als vor der Pandemie.“

Das klingt abenteuerlich: Wieso haben Politik und Medizin in neun Monaten seit Beginn der Krise nicht dafür gesorgt, dass zumindest für systemrelevante Mitarbeiter von Intensivstationen eine sichere Kinderbetreuung sichergestellt ist? Gerade wenn die medizinische Versorgung und damit Menschenleben an oberster Stelle stehen, wäre dies doch von höchster Bedeutung und Priorität gewesen. Der Umfrage zufolge fehlt es schon heute an Personal auf den Intensivstationen, obwohl noch keine Überlastung zu verzeichnen ist. Statt einem empfohlenen Betreuungsschlüssel von 1:2, also ein Betreuer auf zwei Patienten, wird demnach in der Tagschicht nur noch ein Schlüssel von 1:2,7 erreicht, also ein Betreuer auf 2,7 Patienten.

„COVID-19-Patienten sind sehr aufwendig in der intensivpflegerischen Betreuung“ – mit dieser Aussage zitiert das Ärzteblatt Dr. Matthias Kochanek, Leiter der internistischen Intensivstation des Universitätsklinikums Köln. „Seit dem Frühjahr haben die Krankenhäuser zahlreiche Intensivbetten aufgebaut, die jedoch infolge des Intensivpflegemangels nicht betrieben werden können, so die Zeitung. Prof. Dr. Christian Karagiannidis von der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN nennt sie demnach die ‘stille Reserve‘. Dem DIVI-Intensivregister zufolge handelt es sich dabei zurzeit um 12.858 Betten. „Diese Betten sind der wahre Joker in der zweiten Welle“, sagt Karagiannidis. Für sie müssten die Kliniken allerdings aus anderen Bereichen Personal frei machen.
Alles in allem drängt sich der Eindruck auf, dass die Debatte um die Gefahr einer möglichen Überlastung der Krankenhäuser viel zu sehr aus dem Fokus von Medien und Politik gerutscht ist. Obwohl es sich doch um ein ganz zentrales Thema der aktuellen Krise handelt. Die Frage nach dem Schwund der Intensivbetten etwa sollte eine sein, die die großen Medien schon lange aufgegriffen haben. Doch es ist nichts dazu zu finden. Stattdessen lesen wir Überschriften wie diese bei T-Online und ähnlich in vielen anderen Medien: „Notstand auf Intensivstation: Alle Betten in Hildburghausen belegt“. Nur der aufmerksame Leser, und das ist heute eher die Minderheit, liest so weit in den Artikel hinein, dass er diese alarmistische Überschrift wieder einordnen kann: Insgesamt gibt es in Hildburghausen acht Intensivbetten. Sie waren am Freitag allesamt belegt, davon zwei mit Covid-19-Patienten. Im ganzen Land waren zeitgleich 8.481 Intensivbetten frei, und dank modernster Technik können auch Covid-19 Patienten in schwerem Zustand selbst länderübergreifend verlegt werden.


Bild: r.classen/Shutterstock
Text: red

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