Welche Fehler hat der Westen im Umgang mit Russland gemacht? Diese Frage bewegt aktuell vor allem diejenigen, die entweder Sympathie für Putin haben oder ihn durchaus kritisch sehen, aber ihre Zweifel haben an der Berichterstattung unserer großen Medien. In meinem neuen Video versuche ich, die Diskussion etwas zu versachlichen – und vor allem auch einen Aspekt zu beleuchten, der in der öffentlichen Debatte aktuell fast völlig fehlt und über den die großen Medien fast komplett schweigen. Was auch kein Wunder ist, weil sie sich da nicht nur wenig mit Ruhm bekleckert haben, sondern mit verantwortlich sind und ihre Leser in die Irre geführt haben. Es geht mir dabei nicht um den Umgang des Westens mit Russland unter Putin – dazu wird aktuell sehr viel Desinformation verbreitet und versucht, aus dem Aggressor ein Opfer zu machen – sondern es geht um den Umgang des Westens mit Russland unter Boris Jelzin. Ich habe diese Zeit persönlich in Moskau erlebt. Ich war dort zum ersten Mal 1987, und lebte dann ab 1990 dort als Student. Die Menschen waren zu diesem Zeitpunkt geradezu begeistert für alles, was aus dem Westen kam. Sie wollten Partnerschaft, sie wollten Freundschaft. Und sie wollten nach dem Scheitern des Sozialismus ein System mit Demokratie und Marktwirtschaft. Und was haben sie bekommen? Einen Raubtierkapitalismus mit Faustrecht, bei dem die große Masse völlig verarmte und einige wenige zu unermesslichem Reichtum kamen.
Es war einer der bedeutendsten Raubzüge der Geschichte, der Anfang der 1990er Jahre in Russland stattfand. Zugespitzt ausgedrückt teilten sich das organisierte Verbrechen und die Partei-Bonzen die unermesslichen Reichtümer Russlands untereinander auf, während die Hyperinflation die gesamten Ersparnisse der einfachen Menschen auffraß. Unter dem Applaus, ja teilweise tatkräftiger Mithilfe des Westens. Als das Parlament, das Jelzin zuvor ins Amt gehievt hatte, sich dagegen wehrte, löste er das Parlament einfach auf. Als das Verfassungsgericht die Entscheidung für verfassungswidrig erklärte, löste Jelzin auch dieses auf. Faktisch ein Staatsstreich aus dem Kreml. Und wie berichteten die Medien im Westen darüber? Sie schrieben, als sich die Abgeordneten wehrten, es sei ein Putsch von Altkommunisten, den Jelzin niederschlagen ließ. Dabei gab er den Befehl, aus Panzern auf das Parlament zu schießen. Gewalt war als Machtmittel wieder salonfähig, unter Applaus aus dem Westen. Jelzin konnte weiter seinen Wildwest-Kapitalismus ausbauen.
Als er im Jahr 2000 nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte, und ihm und seiner Familie der Prozess drohte, ging er einen Pakt mit dem Geheimdienst ein – der letzten mächtigen Organisation. Der Deal: Machtübergabe an den Geheimdienstler Putin gegen Straffreiheit. So kam Putin an die Macht. Und mit ihm der KGB, der nun FSB hieß. Die alten Oligarchen wurden entmachtet, durften aber bis auf drei Abtrünnige ihre Mega-Vermögen behalten. Dafür machte Putin seine Freunde und Genossen zu neuen Oligarchen: Der Raubzug ging weiter, unter neuen Vorzeichen. Weil Demokratie und Marktwirtschaft zu Schimpfworten verkommen waren, weil Gewalt wieder zum probaten Mittel in der Politik gemacht wurde, setzte Putin genau hier an. Er ist die Antwort auf die Jelzin-Zeit. Ohne diese wäre Putin, so wie wir ihn kennen, kaum möglich. Und genau darin sehe ich die Verantwortung des Westens. Die aber kein Gramm von Putins Verantwortung für seinen grausamen Angriffskrieg wegnimmt.
Bild: Shutterstock/Ekaterina Quehl
Text: red
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