Gastbeitrag von Gunter WeißgerberRedner der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989/90Mitglied der freigewählten Volkskammer 1990Mitglied des Deutschen Bundestages 1990-2009
Am 29. Oktober 2019 wählten die Thüringer einen neuen Landtag in dessen Ergebnis die seit 2014 im Amt befindliche Linke/SPD/Grüne-Landesregierung (RRG) die Mehrheit verfehlte und abgewählt wurde.
Eine klare Mehrheit hätte eine Koalition aus CDU und AfD, die jedoch von der CDU abgelehnt wird. Offensichtlich bleibt es damit bei der bisherigen Rot-Rot-Grpn-Koalition, die nun als Minderheitskoalition auf jeweils mindestens vier zusätzliche Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen ist.
Genau genommen, wird Rot-Rot-Grpn nichts, überhaupt nichts mehr beschließen können, was nicht durch einzelne CDU-, FDP- oder AfD-Abgeordnete mit getragen werden wird. Der am 15. Januar 2020 der Öffentlichkeit vorgestellte RRG-Koalitionsvertrag ist deshalb eine Luftnummer – jedenfalls solange es die ominösen vier zusätzlichen Stimmen aus der Opposition nicht gibt.
Das genau wäre nun die Stunde des Parlaments. Wäre, wenn es nicht Vorgespräche zwischen dem Minderheits-Ministerpräsidenten in spe Bodo Ramelow und den Spitzen von CDU und FDP gegeben hätte! Altbundespräsident Gauck und Alt-MP Althaus gaben die Linie vor: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten!
Für den Leser, der Politik nicht von innen kennt, eine kurze Erläuterung: Anträge, Initiativen, Entscheidungsvorlagen und vieles andere entstehen in den einzelnen Fraktionen oder in der Regierung und werden nach Diskussion und Beschluss gemäß der Geschäftsordnung des Landtages an das Parlament gegeben. Damit bekommen sämtliche Landtagsabgeordnete und die Exekutive den gleichen Kenntnisstand und können die Vorgänge in ihren Gremien anberaten, eigene Anträge zum Thema beschließen und dem Landtag zukommen lassen.
Sobald die Vorlagen auf der Tagesordnung des Landtages stehen und beraten werden, bringen alle Fraktionen mittels ihrer jeweiligen zur Sache sprechenden Redner ihre Ansichten zum Gegenstand inklusive ihrer dazu gehörigen eigenen Anträge ein. Die erste Diskussionsrunde im Landtag, erste Lesung genannt, beschließt die Weiterleitung zur Beratung in die Fachausschüsse. Die Themen bleiben damit in der Hand der Abgeordneten aller Fraktionen. In den Ausschüssen wird alles diskutiert, Änderungsmöglichkeiten innerhalb der Ausschüsse gibt es bis zur zweiten Lesung im Landtag. Selbst in der zweiten Lesung sind Änderungen immer möglich. Das alles wissen Mike Mohring und Thomas Kemmerich.
Was bewog nun Mike Mohring und Thomas Kemmerich zur Teilnahme an einem Vorgespräch zur parlamentarischen Arbeit im Thüringer Landtag? War es Eitelkeit, war es Naivität? Wollten sie dem Minderheits-Ministerpräsidenten in spe die Einhaltung der Geschäftsordnung des Landtages zusagen? Oder handelten sie bewusst vorparlamentarisch? Einigungen über Schwerpunkte zwischen dem Herrscher und Teilen der Opposition vor der Einbeziehung des Landtages erinnern an die „Nationale Front“ der DDR und an Wilhelm Zwo „Ich kenne keine Parteien mehr“.
Mike Mohring und Thomas Kemmerich hatten es in der Hand, den Landtag und die Abgeordneten aufzuwerten und dabei ihre eigene unabhängige öffentliche Stellung deutlich zu machen. Ohne Eigenständigkeit keine nachhaltige Wahrnehmung. Das müssten die beiden Kollegen wissen. Für große Teile der Bevölkerung begannen Ramelow, Mohring, Kemmerich die jetzige Legislatur mit Mauschelei. Spätere Diskussionen im Landtag werden diesen Eindruck nicht verwischen können. Die Siegfriede gegen die AfD taten ihr Bestes, den Drachen auf Touren zu bringen. Sie entwerten das Parlament und bestärken Aversionen. Sie sind durchgefallen. CDU und FDP sind (nun wieder) die kleinen Freunde von Linksaußen. Genau danach schmeckt das.
Mit 1989 hat das nichts mehr zu tun.
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