Die wirkliche Stimmung in den USA – ohne Framing Was Sie in unseren Medien kaum lesen werden

Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung*

„Die US-Demokratie ist nicht gerettet, weil der Kongress Bidens Wahl bestätigt hat und Trumps Mob abgezogen ist. Der gescheiterte Staatsstreich zeigt, wie gefährdet die USA sind“, so der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, in einem Kommentar am 7. Januar. Einen Tag später berichtete der Nachrichtensender ntv unter dem Titel „Pelosi traut Trump Atomschlag zu“ noch Übleres: „Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat… mit dem US-Generalstabschef besprochen, wie Präsident Donald Trump in seinen letzten Tagen im Amt von einem möglichen Atomangriff abgehalten werden kann. Sie habe mit Mark Milley beraten, wie verhindert werden könne, dass „ein instabiler Präsident militärische Kampfhandlungen einleitet oder auf die Abschusscodes zugreift und einen Atomschlag befiehlt…““.

Angesichts solcher Meldungen stellt sich die Frage, was die durchschnittlichen Amerikanerinnen oder durchschnittlichen Amerikaner von all dem halten? – Also vorausgesetzt, dass man in den USA noch an so profane Dinge denkt, wie Umfragen zu erheben, und dass man Wahlberechtigte noch am Telefon oder online erreicht, um sie zu befragen, denn viele werden wohl Besseres zu tun haben, und sich auf einen Bürgerkrieg mit oder ohne Atomwaffeneinsatz preppen.

'Voter Fraud' oder legitime Wahl?

Mitte Dezember gaben rund 70% der Anhänger von Donald Trump an, dass sie kein Vertrauen darin hätten, dass die Präsidentschaftswahl „fair“ abgelaufen ist. 82% der Befragten sagten sogar, dass es „eine Menge“ Betrug (fraud) gegeben habe. 89% von diesen waren darüber hinaus der Überzeugung, dass der „Betrug“ derart gravierend gewesen sei, dass er den Wahlausgang selbst beeinflusst habe.

Die Einschätzung, dass Joe Bidens Wahl zum 46. US-Präsidenten legitim sei, hatten kurz nach der Wahl im November nur 12% der Trump-Wähler. Einen Monat später hatte sich die Zahl nur unwesentlich auf magere 15% erhöht. Und am Ende der ersten Januarwoche gaben immer noch 72% der Republikaner an, dass sie das Wahlergebnis weiterhin in Frage stellten. 73% stimmten der These zu, dass es weitverbreiteten Wahlbetrug (widespread voter fraud) gegeben habe. Selbst im Lager der „Independent“ Wähler ist das Vertrauen angeknackst. So gaben 42% von ihnen an, sie hätte momentan kein Vertrauen in das Wahlsystem.

Soll Trump seine Niederlage eingestehen?

Mitte Dezember forderten nur 21% der Trump-Wähler, dass der amtierende Präsident seine Wahlniederlage eingestehen solle. 78% sprachen sich dagegen aus. Demgegenüber waren 95% der Biden-Wähler für ein solches Eingeständnis.

Was die Zukunftsaussichten unter dem neuen US-Präsidenten anbelangt, gaben nur 3 von 10 Befragten an, dass es Joe Biden als Präsident gelingen werde, „das Land wieder zusammen zu führen“. 51% aus dem Lager der Demokraten zeigten diese Zuversicht. 91% der Trump-Wähler glaubten nicht daran.

Sturm auf das Kapitol – Gewalttat oder Protestaktion?

Sechs von zehn Befragten erkennen in dem Sturm auf das Capitol grundsätzlich eine „Gefahr für die Demokratie“. 93% der Demokraten sehen das so, 55% der „Independent“ und 27% der Republikaner. So eine Umfrage. Eine zweite Umfrage gibt denselben Trend wieder, allerdings mit etwas anderen Prozentzahlen. 81% halten hier den Sturm für eine „Gefahr für die Demokratie“. 64% der „Independent“ und 47% der Republikaner.

Während insgesamt etwa zwei Drittel der Befragten den Sturm ablehnen – 63% scharf (strongly) und 8% ein wenig (somewhat) –, schmilzt die Ablehnung bei den Befragten, die davon ausgehen, dass es bei der Präsidentschaftswahl zu entscheidendem Wahlbetrug gekommen sei. So halten 56% der Voter-Fraud-Anhänger die Aktion am Kapitol grundsätzlich für gerechtfertigt. Insgesamt zeigte etwa jeder Fünfte aller Befragten eine positive bzw. rechtfertigende Haltung (21%) gegenüber den Ereignissen.

Die unterschiedliche Bewertung von Demokraten und Republikanern in dieser Sache geht auch auf eine grundsätzlich andere Wahrnehmung des Sturms zurück. So stuften 59% „der Wähler, die sich der Ereignisse im und am Kapitol bewusst waren“, diese als eher gewalttätig denn friedlich (28%) ein. Im republikanischen Lager stellte sich das umgekehrt dar. Hier stuften 58% die Geschehnisse als eher friedlich denn gewalttätig (22%) ein.

Wer ist schuld am Sturm auf das Kapitol?

55% der Wähler sagen, dass Donald Trump hierfür „zum Großteil“ verantwortlich sei. Weitere 11% sehen bei ihm eine Teilschuld. Im Lager der Demokraten ist diese Meinung nahezu absolut. Hier geben über 90 Prozent an, dass Trump für die Ereignisse verantwortlich sei. Demgegenüber erklären 53% der Republikaner, dass den Präsidenten keine Schuld treffe. Weitere 16% sehen nur einen Teil der Verantwortung bei Trump selbst.

51% aller Befragten sehen einen weiteren Grund für die Ereignisse im Verhalten der republikanischen Abgeordneten und Senatoren, also in deren Ansinnen, gegen das zertifizierte Wahlergebnis einiger Bundesstaaten Einspruch im Kongress zu erheben. 78% der demokratischen Wähler sehen das so und 25% der Republikaner.

Aber auch das Verhalten der demokratischen Abgeordneten in dieser Sache ist umstritten. 37% aller Wähler sehen auch bei ihnen eine Mitschuld. 61% der republikanischen Wähler und 11% der Demokraten.

Und während 94% der demokratischen Anhänger im Verhalten von Joe Biden keinerlei Anlass (86%) oder nur sehr geringen (8%) für die Vorfälle am Kapitol erkennen, halten 35% der Republikaner den President-elect ebenfalls für verantwortlich (a great deal to blame). Weitere 17% sehen Biden in einer Mitverantwortung (somewhat to blame).

Auch die Beurteilung derer, die das Kapitol gestürmt hatten und teilweise gewaltsam ins Innere vorgedrungen waren, ist unterschiedlich. So wählten demokratische Wähler für diese Personen aus vorgegebenen Kategorien folgende Beschreibungen aus: inländische Terroristen (78%), Extremisten (74%), Anti-Demokraten (65%), Kriminelle (63%). Deutlich andere Labels wählten die konkurrierenden Republikaner aus: Demonstranten (50%), Patrioten (30%), Extremisten (26%), inländische Terroristen (17%).

Trump sofort absetzen?

Nach den Ereignissen am US-Kapitol halten es 50% der Wähler für richtig, Trump sofort aus dem Amt zu entfernen. 83% der demokratisch eingestellten Wähler votierten für diese Option. 85% der Republikaner halten eine solche Forderung für unangebracht.

Um eine sofortige Entfernung von Trump aus dem Amt zu erwirken, müsste der 25. Zusatzartikel zur US-Verfassung zum Einsatz kommen. Mit seiner Hilfe könnten der Vize-Präsident und die Kabinettsmitglieder einen amtierenden Präsidenten für unfähig zur Amtsführung erklären.

52% aller Wähler befürworten ein solches Vorgehen. Dem hat Vize Mike Pence allerdings inzwischen eine Absage erteilt, weshalb nun alles auf ein zweites Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump hinausläuft.

Impeachment richtig oder falsch?

Trump zu impeachen stimmen 51% der Wähler zu. 58% der Demokraten und 17% der Republikaner. Wähler, die man in einer Umfrage damit konfrontierte, dass Joe Biden am 20. Januar seinen Amtseid als 46. Präsident ablegen wird, im Kongress aber parallel ein Impeachment gegen Trump in dessen letzter Woche im Amt ablaufen wird, erklärten zu 60%, das wäre „Verschwendung von Zeit und Geld“. 77% meinten, dass sich der Kongress lieber mit dem Coronavirus und seinen Auswirkungen befassen solle. Nur 23% sagten, ein Impeachment von Trump habe für sie Priorität.

Ein Grund für das geringe Verlangen nach einem Amtsenthebungsverfahren von Donald Trump ist wohl auch, dass das Impeachment für 74% aller Befragten politisch motiviert ist. Es soll u.a. dazu dienen, Donald Trump von einer Kandidatur im Jahre 2024 auszuschließen, so die Meinung der Wähler.

Insofern ist eigentlich alles recht normal in den USA. Republikaner und Demokraten haben unterschiedliche Ansichten und streiten sich. Das Kapitol steht noch, den von Peter Frey diagnostizierten „Staatsstreich“ hat man noch nicht gefunden, und Donald Trump hat es doch tatsächlich geschafft, obwohl er auf Twitter-Entzug ist, weder das Unternehmen noch irgendwen sonst mit Atomwaffen anzugreifen. Und das bereits seit über einer Woche.

Quellenhinweis: Die in diesem Beitrag zitierten Umfrageergebnisse wurden Mitte Dezember 2020 bzw. nach dem 6. November 2020 erhoben und sind aus den Analysen verschiedener Instituten zusammengetragen (u.a. YouGov, YouGov/Economist, Vox und McLaughin & Associates). Der Kürze halber wurde im Text darauf verzichtet, bei jeder Zahl genau aufzuschlüsseln, ob sie sich auf registrierte Wähler oder auf Amerikaner im Wahlalter bezieht, und ob sie landesweit, oder nur in den sogenannten Battleground States (Arizona, Colorado, Florida, Georgia, Iowa, Maine, Michigan, Minnesota, New Hampshire, New Mexico, North Carolina, Ohio, Pennsylvania, Texas, Virginia und Wisconsin), erhoben wurde. Im Allgemeinen kann man davon ausgehen, dass die Battleground States in etwa dem Meinungsbild landesweit entsprechen.

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
 

* Der Autor ist in der Medienbranche tätig und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Aaron of L.A. Photography/Shutterstock
Text: Gast

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