Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung*
In den deutschen Medien ist der Ausgang der US-Wahlen eigentlich klar. Joe Biden hat gewonnen und Trump kämpft mit völlig haltlosen Behauptungen dagegen an. Als Kronzeuge hierfür wird hierzulande auch Trumps Justizminister William Barr herangezogen. Entsprechend lasen sich auch die Titel Anfang des Monats: „Barr widerspricht Trump: Kein Wahlbetrug“ (ZDF), „Barr sieht keinen Beleg für Trumps Behauptung“ (ARD), „Justizminister Barr: Kein Wahlbetrug“ (Süddeutsche) usw.
Dabei bezog man sich auf ein Interview, das Barr der Associated Press am 1. Dezember 2020 gegeben hatte und in dem er sagte: „Bis heute haben wir keinen Betrug (Fraud) in dem Ausmaß gesehen, dass er zu einem anderen Wahlergebnis hätte führen können.“ Das hört sich dann schon etwas anders an. Genauso irritierend ist es, dass die großen deutschen Medien von den Klagen der Trump-Anwälte und anderer Organisationen in ihrem Umfeld eigentlich immer nur dann ausführlicher berichten, wenn ein Teil von deren Argumentationsgerüst gerade krachend zusammen fällt. So wie im Fall des Cyber Security Experten Russel Ramsland aus Texas.
Der hatte zusammen mit seinem Team die Wahl in Michigan genauer unter die Lupe genommen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass in einigen Bezirken (townships) wesentlich mehr Menschen abgestimmt hatten als überhaupt Wähler vorhanden sind, was theoretisch zwar möglich ist, aber nicht in dem von Ramsland ermittelten Umfang. Der reichte nämlich von 100 % bis zu 350 % Wahlbeteiligung. Augenscheinlich ein Big Point für das Trump-Lager und seine Betrugsvorwürfe. Allerdings hatte Mr. Ramsland Michigan (MI) und Minnesota (MN) in seiner Datenbasis verwechselt. Denn dort befinden sich die von ihm in seiner beeideten Analyse angegebenen Bezirken.
Biden: “We have put together the most extensive and inclusive voter fraud organisation in the history of American politics” 🧐🤔
pic.twitter.com/AnSeCfWwJH— Rita Panahi (@RitaPanahi) October 24, 2020
Ein peinlicher Fehler, der aus dem Zeugen vor Gericht wahrscheinlich ein nahezu wertloses Fliegengewicht machen wird. Trotzdem überrascht es, dass man vom Rest der Ramsland-Analyse nichts weiter erfuhr. Dessen Team hatte sich nämlich auch die Manuels der Stimmzählmaschinen des Anbieters Dominion Voting Systems vorgenommen. Im Speziellen interessierten sich Ramslands Leute für die Herstellerangabe zur maximalen Menge an Stimmzetteln, die eine Maschine pro Minute – ohne Papierstauung, Befüllungen usw. – verarbeiten kann. Diese Zahl verglichen sie dann mit den offiziellen Auszählungsergebnissen. Dabei stießen sie auf einen Zeitraum von etwas mehr als 2 Stunden, die dem in einem großen Auszählzentrum das 4-fache der Herstellerangaben geschafft wurde. Eine bemerkenswerte Leistung und eine nicht zu erklärende Anomalie.
Nun kann man aus dem Desinteresse der Medien an diesem Punkt nicht automatisch schließen, dass Mr. Ramsland hier Recht hat. Vielleicht hat sein Team ja diesmal die Wahlergebnisse aus Uganda, Nepal oder Bayern zur Berechnung herangezogen oder die Gebrauchsanweisung eines Toasters. Trotzdem war es auffällig, dass sich niemand die Mühe gemacht hatte, den Cyber Security Experten auch in diesem Punkt als Scharlatan zu entlarven.
Diese Unlust der Presse passte auch dazu, dass Ramslands Michigan-Minnesota-Fauxpas eben nicht von investigativen Top-Journalisten der Washington Post oder von CNN aufgedeckt worden war sondern von einem rechten Blogger. Der bereits im Satz nach seiner Enthüllung forderte: die Trump-Anwälte müssen sich mehr ins Zeug legen und besser arbeiten, wenn sie die Wahl noch drehen wollen!
Neben Ramsland erfuhr man in Deutschland auch von einer texanischen Anwältin namens Sidney Powell (65), die eine Zeit lang Trumps geschassten, kurzzeitigen Sicherheitsberater General Michael Flynn anwaltlich vertreten hat. Nachdem Powell Ende November einmal zusammen mit Rudy Giuliani (76), der Trumps Anwaltsteam leitet, aufgetreten war, spalteten sich die beiden nur Tage später wieder auf.
Giuliani erklärte, er und Powell würden unterschiedliche juristische Strategien verfolgen. Das ist möglich. Denn es hat tatsächlich den Anschein, dass Giuliani und seine Co-Anwältin Jenna Ellis (36) nicht primär daran interessiert sind, vor Gericht zu gewinnen. Das scheint eher ein sekundäres Nebenprodukt ihrer Bemühungen im Moment zu sein, die in der Hauptsache auf die Legislative, das heißt die Parlamente der betroffenen Staaten abzuzielen scheint. Denn in fünf von sechs dieser Staaten liegt die Legislative fest in republikanischer Hand. Schafft man es die dortigen Abgeordneten zu aktivieren, sich mehrheitlich gegen das bisher ermittelte Wahlergebnis zu stellen, könnte man so auch die Ernennung der Wahlmänner eines Bundesstaates beeinflussen, blockieren oder sogar rückgängig machen. Das würde – in der Theorie – einen ganzen Bundesstaat flippen lassen.
Allerdings müsste das in gleich drei (oder mehr) Bundesstaaten gelingen, um die Präsidentschaftswahl noch zu drehen. Denn president-elect Joe Biden verfügt im Moment über 306 Wahlmännerstimmen. 270 sind zum Sieg notwendig. Trumps Leute müssten Biden also mindestens 37 Stimmen abjagen.
Das schafft man eigentlich nur als Desperado, denn man muss für diesen Weg dem Wort nach tollkühne, verwegen, verzweifelt und gesetzlos sei – oder sich so fühlen.
Inzwischen haben es der ehemalige Bürgermeister von New York Rudy Giuliani und seine Co-Anwältin allerdings tatsächlich geschafft, Anhörungen in den parlamentarischen Ausschüssen einiger Bundesstaaten zu erwirken. Hier, also in der Legislative wurden ihre Zeugen angehört und ihr Beweismaterial erörtert. Darüber hinaus verfügen die Parlamentarier in diesen Ausschüssen mitunter über weitreichende eigene Befugnisse. So können sie etwa – wie ein Gericht – Zeugen vorladen.
So hatte das House Oversight Committee von Michigan bereits am 23. November den CEO von Dominion John Poulos zur einer Befragung eingeladen. Der kam aber nicht. Also bekam er nun einen Brief, in dem der republikanische Abgeordnete Matt Hall schrieb: „Falls Dominion diese zweite Anfrage ignorieren sollte…, bin ich dazu in der Lage, ihre Vorladung unter Strafe (subpoena power) zu beantragen, um Ihr Erscheinen zu erzwingen.“
Dieses weit gefasste Recht zur eigenen Ermittlungen betriff auch andere Zeugen, die bisher nicht an die Öffentlichkeit getreten sind. Von solchen hat Rudy Giuliani nach eigenen Angaben noch einige in der Hinterhand. Im umkämpften US-Bundesstaat Pennsylvania beispielsweise drei. Dabei soll es sich um Personen direkt aus dem vermeintlichen Betrugsapparat handeln, die nur dann aussagen wollen, wenn sie vorgeladen und damit zur Aussage gezwungen werden. Denn dieses Verfahren gewährleistet ihnen auch offiziellen Schutz zum Beispiel vor ihrem Arbeitgeber oder anderen. Kann sein, dass diese von Giuliani „Whistleblower“ genannten Zeugen nur heiße Luft sind. Erfunden in einem Kampf um die politische Deutungshoheit. Kann aber auch sein, sie sind echt.
Ob man von ihnen als Normalbürger allerdings je etwas erfährt, ist fraglich. Denn sowohl die großen US-amerikanischen Medien wie auch die deutschen haben Giuliani, seine Anwaltstruppe und auch seine Zeugen längst in die Abteilung Kuriositäten abgeschoben. Entsprechend sehen sie auch den Grund für die Scheidung Giulianis von der Anwältin Sidney Powell nicht etwa in unterschiedlichen juristischen Strategien sondern diagnostizieren, dass sich Trumps Anwaltsteam von Powell getrennt habe, weil deren Anschuldigen derart meschugge seien, dass da selbst ein Rudy Giuliani nicht mehr mitzieht.
Zugegeben: auch das ist möglich und viele Äußerungen von Sidney Powells hören sich tatsächlich bizarr an. Wenn sie beispielsweise von einer „Pearl Harbour Style Cyber Attack“ spricht und den US-Geheimdiensten kollektives Versagen vorwirft. Trotzdem sind Presseberichte, die ihre Leser vor allem darüber informieren, dass Powell schon mal mit Leuten Kontakt gehabt habe, die auf Twitter QANON-Inhalte geteilt hätten, kein wirklicher Maßstab, um die Substanz ihrer Klageschriften zu ermitteln. Im Ergebnis ist es eher Nebel. Nebel, der einem vor die Linse getrieben wird. Weil in der Berichterstattung immer öfters gar nicht mehr getrennt wird zwischen der Person, hier der Anwältin Sidney Powell, ihren aktuellen Klageschriften und den Zeugen und / oder Analysen, die in den Klagen enthalten sind.
Dieses Muster, eben nicht zu trennen, findet sich in der deutschen Berichterstattung nicht nur im Fall Sidney Powell. So schrieb etwa Merkur.de über eine von Giulianis Zeuginnen Melissa Carone bei einer Anhörung des Senats von Michigan, sie sei „offenbar betrunken“ gewesen. Natürlich muss man Carones Aussage nicht gleich mit „in vino veritas“ adeln, trotzdem hätte hier etwas mehr Substanz gut getan. Gab’s aber nicht. Nur das: „„Wissen Sie wie viele registrierte Wähler dort waren?“, führte [Carone]… weiter an und gab sogleich die Antwort: „Null“. Eine CNN-Kommentatorin, die die Szene beurteilte, sagte: „Es ist als würde man einen Sketch ansehen…““
Auch der Nachrichtensender ntv berichtete über diesen „Sketch“. Unter der Überschrift „Giuliani präsentiert lallende Zeugin“ heißt es weiter: „An einer Stelle in der Anhörung beugt Giuliani sich zu seiner Zeugin [Melissa Carone], offenbar um sie zu beschwichtigen. Es sei kein gutes Zeichen, wenn ausgerechnet Rudy Giuliani zu einem sage, „du machst dich zum Trottel“, kommentierte der Comedian Jimmy Fallon… in seiner Tonight Show.“ Danach spielte er einen Ausschnitt aus der Anhörung vor, in dem Giuliani spricht – und dann zweimal ein Geräusch ertönt, das sehr nach Darmwinden klingt… Nach Angaben der „Detroit News“ hatte ein Richter aus Wayne County Carones Aussage bereits als „nicht glaubwürdig“ beurteilt.“
Dass Melissa Carone eine freie IT-Mitarbeiterin der Firma Dominion war, die in einer zentralen Auszählungsstelle, dem TCF-Center in Detroit, gearbeitet hatte, erfuhr man eher nicht. Und – besoffen oder nicht – die Augenzeugin hatte auch ein Affidavit, also eine Aussage unter Eid, die bei unwahrer Behauptung eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren nach sich ziehen kann, am 8. November 2020 unterschrieben.
Das Dokument ist online zugängig. Man kann die zwei PDF-Seiten leicht in Text umkonvertieren und mit einem Übersetzungsprogramm seiner Wahl ins Deutsche überführen oder beim Merkur oder ntv eine nette Kollegin oder einen hilfsbereiten Kollegen fragen, der Englisch kann. Dann hätte man erfahren, was Carone zum Beispiel über den Ablauf beim Einlesen der Stimmzettel an den Auszählmaschinen zu berichten hatte:
„Die Wahlhelfer waren nur mäßig wenn überhaupt daran geschult. Sie bekamen einen Stapel [Stimmzettel] à 50 Stück, den sie durch das Auszählgerät laufen lassen sollten. Etwa 4 bis 5mal in der Stunde kam es zu Papierstaus. Dann warf der Computer eine Fehler-Meldung aus, die dem Mitarbeiter die Nummer des Stimmzettels anzeigte, der gestaut hatte, sowie die weiteren Optionen: Löschung des Stapels oder [bzw. und] weiter scannen. Eigentlich sollte man nun den [ganzen] Stapel löschen, den problematischen Stimmzettel zu oberst legen und dann den kompletten Stapel erneut durchlaufen lassen. Ich war Zeuge, wie unzählige Arbeiter solche Stapel noch mal haben durchlaufen lassen, ohne sie zuvor zu löschen. Im Ergebnis hatte man so Stimmzettel 4 oder 5mal gezählt.
Gegen Mitternacht [vom 3. auf den 4. November 2020] wurde ich gerufen, um einem der Arbeiter bei einem Papierstau zu helfen. Ich bemerkte, dass auf seinem PC mehr als 400 Stimmzettel als eingelesen angezeigt wurden, das bedeutet, dass hier ein Stapel mehr als acht Mal gezählt worden war… Ich habe mich dann an meinen Vorgesetzen, Nick Ikonomakis gewandt und gesagt, wie groß das Problem ist. Nick erklärte mir, er wolle nichts von Problem hören. Wir seien hier, um bei IT-Fragen Unterstützung zu leisten, nicht um die Wahl durchzuführen.“
Nun ist auch diese Aussage kein Beleg für Wahlbetrug und ein Gericht kann auch eine Aussage unter Eid bzw. ein Affidavit als unglaubwürdig einstufen. Trotzdem scheint hinter Melissa Carones Beobachtungen etwas mehr zu stecken als nur Darmwinde.
Deutlicher mehr Niveau hatte es da schon, Sidney Powells Theorie von einer „Pearl Harbour Style Cyber Attack“ die Aussage von Chris Krebs, dem Leiter der CISA (Agentur für Cyber- und Infrastruktursicherheit), gegenüber zu stellen. Das las sich nicht nur besser, das wirkte sogar richtig informativ, denn Krebs hatte am 18. November 2020 erklärt, dass die jetzige Präsidentschaftswahl die „sicherste in der Geschichte“ der USA gewesen sei. Und nicht nur das. Sein Chef, Donald Trump, hatte Krebs daraufhin rausgeschmissen und auf Twitter gewettert, Krebs’ Aussage sei „völlig unzutreffend“, es habe „massive Unzulänglichkeiten und Betrug“ gegeben.
Volles Vertrauen
Daraufhin legte der Ex-Leiter der CISA am 30. November in der CBS-Sendung 60 Minutes nach: „Ich habe volles Vertrauen in die Sicherheit dieser Wahlen, weil ich die Arbeit kenne, die wir seit vier Jahren zur Unterstützung unserer staatlichen und lokalen Partner leisten. Ich kenne die Arbeit, die die Geheimdienste leisten, die das Verteidigungsministerium leistet, die das FBI leistet, und die meine… Mitarbeiter leisten. Es gibt keine ausländische Macht, die die Stimmen geflippt hat, und es gibt auch keinen einheimischen Akteur, der das getan hat.“
Normalerweise versteht man unter einem einheimischen Akteur (domestic actor) jemanden, der im Inland ansässig ist aber außerhalb des Angriffziels, also hier der Wahlbehörden und ihrer Auszählmaschinen. Und eben das unterstellen weder Sidney Powell noch die Trump Anwälte. Sie sprechen nicht von einem Cyber- oder Hackerangriff von außen. Sie sagen vielmehr, dass das Stimmzettelzähl- und -auswertungssystem der Firma Dominion von innen her, also z.B. durch Wahlhelfer manipulierbar sei und in der Wahl 2020 im großen Stil manipuliert worden ist. Also ein Angriff von innen. Dieser kleine, aber vielleicht doch feine Unterschied ging allerdings in den deutschen Medien, die über Chris Krebs ansonsten recht ausführlich berichteten, völlig unter.
Sidney Powell Theorie besagt im Kern, dass Präsident Trump die Wahl im November landesweit und mit deutlichem Abstand gewonnen habe. Die so nicht erwartete massenweise Mobilisierung der Trump-Wähler habe dann in der Wahlnacht dazu geführt, dass die andere Seite die Stimmwahlauszählung in einigen Schlüsselstaaten habe massiv nachbessern müssen, was den Wahlbetrug, so Powell, erst ruchbar gemacht habe.
Powells Theorie stützt sich dabei auf den tatsächlich überraschenden Fakt, dass Trump dieses Jahr 11 Millionen Wähler mehr als 2016 für sich mobilisieren konnte. Insgesamt kam er auf über 72 Millionen Stimmen. Demgegenüber übertraf sein Kontrahent Joe Biden, der einen eher untypischen, bisweilen müden Wahlkampf „aus seinem Keller“ heraus geführt hatte, selbst Barack Obamas Traumergebnis aus dem Jahr 2012. Und das um Längen. Über 81 Millionen Wähler gaben dem Demokraten diesmal ihre Stimme.
Diese Zahlen haben schon andere, wesentlich glaubwürdigere Geister als Sidney Powell, irritiert. Trotzdem sind sie natürlich durchaus im Rahmen der Möglichkeiten, weil etwa viele Amerikaner von Trumps Politikstil abgestoßen waren; ihm keine Kehrtwende in der Corona-Pandemie mehr zugetraut und deshalb auf Joe Bidens Masken-schützen-Leben-Politik an den Wahlurnen gesetzt haben.
Aus Sicht der Anwältin Sidney Powell ist es allerdings genau so nicht gelaufen. Stattdessen wurde ein Coup gegen Präsident Trump durchgezogen. Mit Hilfe von Hard- und Software der Anbieter Dominion bzw. Smartmatic, die in vielen Bundesstaaten tatsächlich zum Einsatz gekommen ist. Beiden Firmen unterstellt die Anwältin Kontakte zu Venezuela, wo Teile der Hard- und /oder Software bereits zum Einsatz gekommen sind – also bei Wahlen, die erfolgreich manipuliert worden sind. Diese – wenn man so will – venezolanische „Hintertür“ in der Software existiert laut Powell noch immer und sei in der jetzigen US-Wahl benutzt worden. Darüber hinaus spricht die Anwältin aus Texas von einem Server in Frankfurt am Main, auf den Zwischenergebnisse der Wahl hochgeladen wurden, um während des Auszählens ermitteln zu können, wie groß der noch zu manipulierende Vorsprung von Donald Trump ist.
Billiger Abklatsch?
Das klingt zugegebenermaßen eher nach einem billigen Abklatsch eines Tom-Clancy-Romans. Trotzdem hat die Dame damit nicht von einem Hacker-Cyber-Angriff von außen gesprochen. Sondern von einer Manipulation von innen.
Gegen die, im Trump-Lager durchaus beliebte Theorie, die Powell auch für den US-Bundesstaat Georgia vorbringt, spricht allerdings, dass man dort mehrmals – einmal auch per Hand – nachgezählt hat und dabei lediglich auf eine Abweichungen im Bereich von etwa 1.000 Stimmen gestoßen ist. Mehr nicht. Bei von Auszählautomaten geflippten Original-Trump-Stimmen hätte diese Abweichung deutlich größer sein müssen, denn der jetzige Vorsprung von Joe Biden beträgt in Georgia über 11.000 Stimmen.
Das heißt – um in der Welt von Sidney Powell zu bleiben –, man hätte erst die Stimmen elektronisch über die Software-Hintertür flippen müssen, also für die Ergebnismeldungen im Fernsehen, und dann so ziemlich alle Flipp-Stimmen gegen papierene Fake-Biden-Votes austauschen müssen, damit das elektronisch manipulierte Ergebnis bei einem händischen Recount nicht auffliegt.
Spätestens hier kollabiert Powells Theorie. Zumindest für den Staat Georgia. Trotzdem scheint die Idee von dem elektronischen Stimmen-Flipp nicht völlig aus der Luft gegriffen zu sein. Auch einer von Rudy Giulianis Zeugen vertritt sie: Phil Waldron. Der ehemalige Oberstleutnant, der nach eigenen Angaben Jahrzehnte lang für die Army im Bereich der elektronischen Kriegsführung tätig gewesen ist, hat ebenfalls ein Affidavit unterschrieben. Er erklärt: „Ihre Stimme [bei der Wahl] ist weniger sicher als Ihr Venmo-Konto.“ Ein mobiler Bezahl-Service von PayPal, der bisher nur in den USA angeboten wird. Denn die gängige Software der in den USA benutzen automatischen Wahlsysteme sei anfällig für Hackerangegriffe oder Manipulationen vor Ort. Darüber hinaus hätte sein „White-Hat-Hacker“-Team beobachtet, dass Dominion mit Servern außerhalb der USA kommuniziert habe. Eine Verbindung, die so eigentlich rechtswidrig gewesen wäre.
Am 3. Dezember titelte das US-Magazin Newsweek über Waldron „Zeug… kann Behauptungen (claims) in Wahlbetrugsanhörungen in Georgia nicht belegen.“ In dem darunter folgenden Artikel geht es dann allerdings eher um 1 Behauptung bzw. 1 Behauptungssegment von Waldrons Analyse. Nicht um mehrere. Abschließend heißt es in dem Artikel, Waldron sei bei der Anhörung als „Cybersicherheitsexperte“ vorgestellt worden, „obwohl sein Hintergrund und seine Referenzen auf diesem Gebiet unklar sind“. Ende. Mehr erfuhr man nicht. Eine ähnliche Unlust wie im Fall von Russel Ramsland. Dabei wäre es aus journalistischer Sicht doch genau hier interessant gewesen, weiter zu bohren. Vielleicht hatte Waldron ja Dienst in der kaserneneigenen Konditorei geschoben oder seine „White Hat Hacker“ waren tatsächlich eine folkloristische Holz-Hacker-Truppe. Aber daran hatte offenbar niemand großes Interesse in den US-Medien. Genauso wenig wie an Augenzeugen, die Dinge beobachtet hatten, die man durchaus als „Manipulationen vor Ort“ bezeichnen könnte. Ein Beispiel hierfür ist der republikanische Wahlbeobachter Gregory Stenstrom, der bei einer Anhörung vor republikanischen Senatoren und Abgeordneten in Pennsylvania am 25. November Folgendes ausgesagt hatte:
„Was wir dort [im Auszählungscenter] am Wahltag sahen… war eine Verfahrenskette, die voller Lücken war. Lücken bei den Mail-In-[Briefwahl]Stimmzetteln, bei den Drop-Box-[Einwurf]Stimmzetteln und bei den USB-Laufwerken [an den Zählmaschinen]. In allen Fällen wurde das Prozedere, wie es das Delaware County Board of Elections vorgibt, nicht eingehalten.“ – Dann hält Stenstrom ein paar Seiten hoch, auf denen der korrekte Ablauf beschrieben ist: „Es macht überhaupt keinen Sinn, das alles auf diesem Dokument rot anzustreichen, denn dann wäre das ganze Ding rot.“
An den USB-Laufwerken, die Gregory Stenstrom erwähnt, werden die Ergebnisse der Zählmaschinen händisch ausgelesen und dann per Stick bzw. Karte von Mitarbeitern weitergetragen, so dass ausgeschlossen ist, dass die Wahlzählmaschinen selbst mit dem Internet verbunden sind und damit Opfer von Cyberangriffen werden können. Des Weiteren kommen im Bereich der Wahlauszählung nur USB-Speicher zum Einsatz, die in den USA hergestellt sind und den Standards des Militärs entsprechen. Sie sind verschlüsselt (256-bit encryption key), ihre Seriennummern sind registriert und auch ihr händischer Transport ist in einem Protokoll strikt geregelt, um jeden Missbrauch auszuschließen.
Das klingt eigentlich bombensicher und so als wäre Zeuge Stenstrom mit seinen Beobachtungen in Pennsylvania auf dem Holzweg. Allerdings erklärten auch Zeugen im Bundesstaat Nevada, dass dort eben nicht nur verschlüsselte USB-Speicher zum Einsatz gekommen sind. Darüber hinaus führte Trumps dortiger Anwalt Jesse Binnall aus: „Mehrmals wurde ein Speichermedium mit einer Stimmenzahl ausgeloggt und am nächsten Morgen mit einer anderen Stimmenzahl [auf die Maschine] eingeloggt… Und das bedeutet, dass mitten in der Nacht plötzlich Stimmen dazugekommen sind…“
‘Keine Beweise‘
Der zuständige Richter James Todd Russell wies Binnalls Klage allerdings ab. Die Trump-Seite „habe nicht beweisen können … dass illegale Stimmen abgegeben und gezählt wurden… oder dass legale Stimmen nicht gezählt wurden“ in einem Umfang, der den Wahlausgang hätte beeinflussen können. Am Urteil von Richter Russell erkennt man, dass der Nachweis großer Unregelmäßigkeiten vor Gerichten nicht ausreicht (bzw. bis jetzt nicht ausgereicht hat), um das Wahlergebnis eines Staates erfolgreich anfechten zu können. Diese hohe Hürde muss man berücksichtigen bei der weiteren Lektüre der Aussage von Greg Stenstrom in Pennsylvania:
„Ich habe persönlich beobachtet, wie USB-Karten mehrfach einfach so auf die Auszählmaschinen vom vorgesetzten Wahlleiter hochgeladen wurden… Ich hab’ den stellvertretenden Sheriff darauf aufmerksam gemacht… ich habe den [zuständigen] Wahlbeamten darauf aufmerksam gemacht. Man widersprach mir… ich erklärte: „Die Person wird nicht beobachtet und… steckt diese USBs einfach in die Maschinen rein.“ Ich persönlich habe es mehr als 24 Mal beobachtet.“ Am nächsten Tag wurde mir dann von einem unständigen Anwalt erklärt: „Bei jeder Wahl bleiben ein paar USBs in den Zählmaschine zurück. Sie werden eingelagert…“ Also alles im grünen Bereich.
Damit gab sich der ehemalige Navy-Offizier, der heute selbst ein Software-Unternehmen betreibt, allerdings nicht zufrieden. Hartnäckig bohrte Stenstrom weiter nach und wurde schließlich beim Generalstaatsanwalt für den östlichen Teil des Staates Pennsylvania McSwain fündig. Denn der erklärte Stenstrom, dass „mehr als zwei [USB-Karten im Einsatz] ungewöhnlich sind“. Zurück im Auszählcenter konfrontierte der republikanische Wahlbeobachter die Verantwortlichen damit. Aber die winkten einfach ab. Irgendwann war die Auszählung dann abgeschlossen. Und „bis heute fehlen 47 USB-Karten. Sie sind nirgends auffindbar. Mir persönlich wurde gesagt, dass die 24 bis 30 hochgeladenen Karten [die ich beobachtet hatte] nicht da sind“, so Gregory Stenstrom sichtlich konsterniert.
Dabei hat man als Außenstehender nicht den Eindruck, dass man es hier mit einem eingefleischten Trump-Fan zu tun hat, dessen Urteil man in puncto Datensicherheit ohnehin nicht ernst muss, sondern eher mit einem fassungslosen Software-Experten. Dessen persönliche Beobachtungen schließlich so zu Ende gegangen sind: „Vor zwei Tagen habe ich dann erfahren, dass praktisch alle Protokolle, Logs, Records, gelben Blätter (yellow papers = wahrscheinlich spezielle Notiz- bzw. Protokollzettel für den Arbeitsablauf) weg sind. Einfach alles.“ Und das betrifft die Auszählung von 100.000 bis 120.000 Wahlzetteln.
Selbstverständlich sind auch Gregory Stenstroms Aussagen, auch wenn auch ihnen ein Affidavit zugrunde liegt, kein Beweis für „Voter Fraud“ in einem Umfang, der das Wahlergebnis des Staates Pennsylvania drehen könnte. Trotzdem ist das Abhandenkommen von potentiellen Beweismitteln eine andere Dimension. Und definitiv mehr als eine bloße Unregelmäßigkeit. Es riecht vielmehr nach der Vernichtung von kompromittierendem Material. Ein Vorgang, der klassischerweise zu jedem Betrug dazu gehört. Das alleine irritiert. Noch irritierender ist, dass sich auch im umkämpften Bundesstaat Michigan eine ähnlich lasche Dokumentationspraxis findet.
Dort in Wayne County, zu dem die von den Demokraten dominierte Millionenmetropole Detroit gehört, beschwerte sich ein republikanischer Wahlbeobachtern, ein sogenannter Canvassers, der auf lokaler Ebene die fertig ausgezählten Stimmergebnisse eines Bereichs gegenzeichnen muss, darüber, dass er alles handschriftlich notieren musste. Denn anders als in den Jahren zuvor hatte er diesmal keine amtlichen Ausdrucke der Ergebnisse bekommen. Alles gab’s nur mündlichen, so William Hartman. Der darüber ähnlich konsterniert schien wie sein Kollege Stenstrom im fernen Pennsylvania.
Ungereimtheiten in den Daten
Allerdings war das nicht der eigentliche Aufreger hier in Wayne County. Den gab’s als sich Mr. Hartman und seine Kollegin Monica Palmer weigerten, das ermittelte Wahlergebnis abzuzeichnen. Dafür kassierten die beiden Republikaner äußerst heftige verbale Attacken. Direkt persönlich und in den sozialen Medien. Man warf ihnen Rassismus vor, weil sie als Weiße die Stimmen aus zum größtenteils von Schwarzen bewohnten Bezirken blockieren würden. Was Hartmann und Palmer so gar nicht im Sinn hatten. Sie wollten lediglich einen zeitlichen Aufschub des Abzeichnens erwirken, damit Ungereimtheiten in den Daten vor Ort nachgegangen werden konnte, um sie anschließend wenn möglich zu korrigieren. Trotzdem ging es bei einer zum Abzeichnen anberaumten Zoom-Konferenz hoch her:
„Wenn Sie heute Nacht versuchen einzuschlafen, kennen Millionen Menschen auf Twitter ihre Namen. Die ganze Welt kennt dann Monica Palmer und William Hartman als zwei absolut rassistische Menschen“, so der CEO des Detroiter Gründerzentrums Techtown Ned Staebler. Ähnlich erzürnt äußerte sich Reverend Wendell Antony: „Sie sind eine Schande.“ Eine andere Zoom-Teilnehmerin erklärte: „Wenn Ihr beide an irgendeinen Gott glaubt, dann seid gewiss, das ihm das nicht gefällt, und dass Ihr für diese Ungerechtigkeit bezahlen werdet.“
Bei CNN wurden der Kübel aus Beleidigungen, der sich über die beiden Republikaner ergossen hatte, zu einer weichgespülten „Stimme des Volkes“, die man hören müsse, heruntergedimmt. Obwohl Canvasser Monica Palmer anonym sogar mit Vergewaltigung gedroht worden war, falls sie die ausgezählten Stimmen nicht gegenzeichnen würde.
Während letzteres eine traurige Ausnahme in der aufgeheizten Stimmung war, finden sich politisch instrumentalisierte Vorwürfe des Rassismus im Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl öfters. So komplimentierten etwa Wahlhelfer in einem schwarzen Wohngebiet von Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania einen weißen Wahlbeobachter der Republikaner aus einem Wahllokal hinaus. Als der Mann daraufhin seinen Wahlbeobachter-Pass vorzeigte, die auf ihm ausgewiesenen Rechte vorlas und erneut Einlass verlangte, machte man ihm klar, dass er so auf einen „Rassenzwischenfall“ (racial issue) zusteuern würde. So vorgewarnt gab der Mann schließlich auf und fuhr zu einem anderen Wahllokal, um dort zu beobachten, was er hier nicht durfte.
Von ähnlichen Anfeindungen im Staate Michigan berichtet die Zeugin Hima Kolanagireddy. Die aus Indien eingewanderte und inzwischen in den USA eingebürgerte IT-Spezialistin sagte am 2. Dezember 2020 vor dem Ausschuss des Abgeordnetenhauses des Staates Michigan aus. Sie war Wahlbeobachterin für die Republikaner an der zentralen Auszählungsstelle, dem bereits erwähnten TCF-Center in Detroit. Eine große Mehrzweckhalle aus dem Jahre 1960, die auch für Messen und Konzerte benutzt wird.
Hier kam es offenbar zu Reibereien, weil so ziemlich jeder außer den anwesenden Wahlbeobachtern der Republikaner Nicht-Weiße waren. Davon blieb die indisch-amerikanische IT-Expertin nach eigenen Angaben aber verschont. Wegen ihres dunklen Teints und weil sie ihr GOP[= Grand Old Party = Republikaner]-Schild nicht allzu auffällig an der Kleidung trug, hielt man sie „automatisch für eine Demokratin“. Und deshalb kam man auch mehrfach auf sie zu und sagte: „Lass uns diese Mf’s [= Mother Fuckers] rausschmeißen.“ Gemeint waren die republikanischen Wahlbeobachter. Eine der Frauen, so Kolanagireddy, visierte ganz bewusst männliche Republikaner an „und beschuldigte sie dann, dass etwa ihre [Corona-]Maske nicht richtig sitzen würde.“
Ähnliches hatte auch Melissa Carone im TCF-Center miterlebt. In ihrem Affidavit berichtet sie: „Ich war die einzige Republikanerin, die für Dominion dort gearbeitet hat, und es gab viele hässliche Kommentare von städtischen Wahlhelfern und Mitarbeitern von Dominion über uns. Ich habe mich selbst nicht als Republikanerin zu erkennen gegeben, weil ich eine Familie habe und wusste, dass ich am Ende der Schicht zu meinem Auto laufen muss. Jeder, der eine amerikanische Flagge an seinem Hemd oder an der Maske hatte, wurde sofort als Trump-Anhänger angesehen.“
‘Nicht glaubwürdig‘
Das macht 2 Augenzeugen. Beide am gleichen Ort und beide beschreiben dieselbe Stimmung. Und eben das macht aus einer besoffenen und nach Aussagen in den sozialen Medien furzenden Zeugin, deren Schilderung laut ntv auch von einem Richter als „nicht glaubwürdig“ erachtet wurde, eine potentiell doch eher glaubwürdige Zeugin.
Irgendwann war es der US-Inderin dann offenbar zu bunt. Also versuchte sie aktiv darauf hinzuwirken, die Republikaner in Ruhe ihre Wahlbeobachtung durchzuführen zu lassen. „Warum stellst Du Dich auf deren Seite?!“, kam zurück. „Dann habe ich mein GOP-Schild gezeigt. Und die Frau hat zu mir gesagt: Du stehst auf der falschen Seite. Ich war schockiert, dass mich jemand einfach so wegen meiner politischen Einstellung verurteilte…“ Damit war der Konflikt im TCF-Center allerdings noch nicht beendete. Das Ende war, dass alle republikanischen Wahlbeobachter rausflogen. „Als die Republikaner mit oder ohne Handschellen aus dem Raum geführt wurden, standen alle Wahlhelfer und alle [Wahlbeobachter der] Demokraten da und klatschten, als hätten sie im Lotto gewonnen“, berichtet Kolanagireddy: „Es war wie ein Stich ins Herz. Diese Leute machten das ja freiwillig und wurden nicht dafür bezahlt. Sie hatten ihre Arbeit stehen und liegen lassen, um für ihr Land da zu sein und die Wahlen zu beobachten… Nun wurden sie wie Kriminelle behandelt.“
Das zeigt wie aufgeheizt die Stimmung in dieser Präsidentschaftswahl gewesen ist. Und das macht es nicht gerade einfacher durch die nebelige Suppe zu schauen und die Aussagen einzelner zu bewerten. Denn nervliche Abspannung und eine aggressive Grundstimmung können Beobachtungen und Eindrücke verzerren. Dazu kommt die Gefahr von Fehlinterpretationen, die bei jedem Zeugen durch die Schnelle des Moments entstehen kann. Umso mehr wünscht man sich dann eine neutrale Presse.
Eine Presse, die ihre über Jahre erworbene Kompetenz und ihre Manpower zum Einsatz bringt, um den diffusen Nebel für den Außenstehenden zu be- und durchleuchten. Eine Taschenlampe. Um 19 Uhr und um 20 Uhr. Komprimiert und glaubhaft. Hell und mit neuen Bosch-Scheibenwischern durch die Nacht. Das wäre wünschenswert und bei den durch die GEZ-Gebühren finanzierten Anstalten eigentlich auch Pflicht. Zumal das Internet mit seinem schier grenzenlosen Meinungs- und Informationsangebot im Fall der US-Wahlen eigentlich kein idealer Ausweichplatz ist, denn mehr Informationen lassen einen nicht zwangsläufig besser durch eine ohnehin nebelige Brühe blicken. Bisweilen wird der Nebel sogar mit jeder weiteren Information zäher. Das dauert unter Umständen solange, bis man schließlich gar nichts mehr zu sehen scheint. So geht es zumindest mir.
Als ich den Namen des Zeugen „Gregory Stenstrom“ bei Google eingegeben habe, fand ich nur zwei deutschsprachige Berichte. Mehr nicht. Einen von der Epochtimes und einen vom Pressforum. Obwohl Stenstrom nicht nur über USB-Sticks Überraschendes zu berichten hatte sondern auch über Briefwahlstimmzettel:
„Was ich in einem verschlossenen Raum im hinteren Bürotrakt gesehen habe, waren 70.000 ungeöffnete Briefwahlumschläge. Sie waren in Kisten zu je 500 ordentlich gestapelt. Die Herren, die mit mir hereinkamen, waren demokratische Wahlbeobachter, unter ihnen ein Pathologe, ein sehr im Detail denkender engagierter Mann. Er machte sich akribisch Notizen, und ich sah ihn an: „Sehen Sie, was ich sehe?“ Wir waren uns einig, dass wir, also ein republikanischer Wahlbeobachter und ein demokratischer, Zeuge von 60 bis 70.000 Wahlzetteln geworden waren. Danach hatten wir zwei aber eine leichte Unstimmigkeit [in der Bewertung], denn zu diesem Zeitpunkt war die Auszählung der Briefwahlzettel eigentlich bereits abgeschossen.“
70.000 ungeöffnete und damit unbearbeitete Briefwahlunterlagen in einem County eines Bundesstaates, in dem die beiden Kontrahenten um die Präsidentschaft 81.660 Stimmen auseinander liegen und der 20 Wahlmänner an das Electoral College (Wahlmännergremium) zu vergeben hat, ist eigentlich keine Petitesse. Um hier mehr wissen zu wollen, muss man kein in Trump verliebter Irrer sein. Es reicht, wenn man neugierig ist. Wie ein Kind. Oder man ist ein politisch interessierter Beobachter. Beides ist erlaubt und in einer Demokratie eigentlich wünschenswert. Aber vielleicht waren es ja doch alles nur Fehleindrücke und Darmwinde, die die republikanischen Wahlbeobachter in der Nachbereitung der US-Präsidentschaftswahlen produziert haben. Schließlich kann man alles in Zweifel ziehen. Beobachtung, Augenzeugen, Affidavits unter Eid, Fotos, Videos. Der Zweifel kennt keine Grenzen.
Möglicherweise waren ja auch die Anfeindungen, die die republikanische Wahlbeobachter erdulden mussten, bis hin zu Drohungen und Rauswürfen, in diesem Jahr normal, weil eben alles um dieser Präsidentschaftswahl nicht normal gewesen ist. Kann sein. Es fällt allerdings auf, dass sich das Fernhalten von republikanischen Wahlbeobachtern mit eben jenen Orten deckt, wo Zeugen Manipulationen bemerkt und Mathematiker Anomalien erkannt haben wollen. Auch das kann natürlich Zufall sein, aber irgendwann – so zumindest mein Eindruck – muss man den Zufall einmal zu oft bemühen, um alles – über das ein Großteil der deutschen Medien überhaupt nicht erst berichtet hat – für normal zu halten.
Trump ist nicht normal. Okay, gekauft. Aber was ist mit der von Trump vor der Wahl so gescholtenen Briefwahl (Mail-in Ballot), auf die sich nach der Wahl ein Großteil Kritik von republikanischer Seite fokussierte? Wie normal war diese nahezu flächendeckende Briefwahl angesichts der Corona Pandemie für einen Amerikaner? Wohl gemerkt für einen Ami, für einen, der drüben lebt und arbeitet, nicht für einen Deutschen.
Denn der Deutsche lebt in einem Land, das Personalausweispflicht, Einwohnermelde- und Standesämter kennt, und das deshalb fast automatisch Wählerlisten hat so sauber wie ein Kinderpopo. Und der Wahlschein, der per Post kommt, ist für diesen Deutschen so normal wie das Schnürsenkelzubinden. Beim Ami ist das allerdings anders. Zwar kann sich auch der seine Schnürsenkel zu binden, aber Personalausweis, Einwohnermelde- und Standesamt gibt’s drüben nicht. Und eben das ist für den Ami normal.
Die Antwort auf die Frage, wie normal die Wahlrechtsänderung dieses Jahr in einigen US-Bundesstaaten waren, findet man als Deutscher recht leicht bei ARD oder ZDF. Dort heißt es – eigentlich seit dem Tag, an dem Donald Trump das erste Mal damit angefangen hatte, darauf rumzureiten und vor „Voter Fraud“ zu warnen: Nein, das ist nicht richtig. Alles normal. Die US-Briefwahl ist eigentlich wie bei uns. Nur Trumps Postminister ist ein Böser, weil er die Zustellung der Unterlagen und die nötige Infrastruktur der Post mit Sparmaßnahmen hintertreibt.
Ein bisschen anders sehen das viele Amis. Einer von ihnen ist der Rechtsanwalt Mark Reed Levin. Levin hat bei dem konservativen Sender Fox News seine eigene Sendung: „Life, Liberty and Levin“. Am 7. Dezember fragte er dort in die Kamera „Was ist Wahlbetrug (Voter fraud)?“ und gab sich und seinen Zuschauern dann eine Antwort:
„Wenn Sie [zuvor]… im Bundesstaat Pennsylvania per Briefwahl abgestimmt hätten, wäre das nicht möglich gewesen [Anmerkung: Es war Wähler zuvor nur möglich per Absentee Ballot (Abwesenheits-Wahlzettel) abzustimmen, was vorher meist in Person beantragt werden musste]. Wenn ihr Briefwahl-Stimmzettel trotzdem gezählt worden wäre, wäre das Betrug gewesen… Wenn Sie einen Stimmzettel ohne Unterschrift [zur Überprüfung Ihrer Identität] eingereicht hätten, wäre er abgelehnt worden. Und wenn er doch gezählt worden wäre, wäre es krimineller Betrug gewesen. Wenn Sie einen Stimmzettel mit einer Unterschrift einreicht hätten, die nicht mit der Unterschrift, die sie bei der Behörde hinterlegt hatten, übereingestimmt hätte, wäre Ihre Stimme ignoriert worden. Wenn sie doch gezählt worden wäre, wäre auch das krimineller Betrug gewesen. Und wenn Sie nach dem Wahltag einen Stimmzettel einreicht hätten, wäre dieser ungültig gewesen. Und wenn er doch gezählt worden wäre, wäre das ebenfalls Betrug gewesen. Wenn Sie einen Stimmzettel ohne Poststempeldatum eingeschickt hätten, wäre dieser auch nicht gezählt worden. Und wenn doch, dann wäre auch das Betrug gewesen. Oder wenn Sie einen Stimmzettel eingesendet hätten, bei dem das Datum deshalb nicht angegeben war, weil die Stempelschwärze verschmiert gewesen wäre, wäre auch er nicht gezählt worden. Und wenn er doch gezählt worden wäre, wäre auch das Betrug gewesen.
All diese Stimmzettel wurden diesmal… in Pennsylvania gezählt… [und] nichts davon wurde in einer einzigen Nachrichtensendung in Amerika – egal ob im Fernsehen, Radio oder sonst wo – diskutiert.“, so Levin sichtlich angefressen. „Und was in Pennsylvania geschehen ist, ist mehr oder minder auch in den anderen Bundesstaaten geschehen.“
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*) Der Autor ist in der Medienbranche tätig und möchte anonym bleiben, darum schreibt er hier unter Pseudonym.
Bild: HOMONSTOCK / Shutterstock
Text: gast
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