Die wundersame Abschiebe-Rechnung im Land der unbegrenzten Willkommenskultur Große Worte, lächerliches Ergebnis

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Ohne Zweifel ist Katrin Göring-Eckardt, ihres Zeichens hochbezahlte Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, eine der Lichtgestalten dieses Landes, sofern man die Perspektive derer einnimmt, die nicht „schon länger hier leben“ – um einmal die Worte der alleszermalmenden Altkanzlerin zu gebrauchen – sondern ihr Sinnen und Trachten darauf konzentrieren, in das Land der unbegrenzten Willkommenskultur zu gelangen oder gar dort zu bleiben. „Sind wir ein Land“, so fragte sie im Jahr 2017, „das für Migrantinnen und Migranten offen ist? Was Leute anzieht, die wir übrigens dringend brauchen – nicht nur die Fachkräfte, sondern weil wir auch Menschen hier brauchen, die in unserem Sozialsystem zu Hause sind, und die sich hier auch zu Hause fühlen können?“ Warum man insbesondere Letztere so dringend brauchen sollte, ist nicht unmittelbar klar, und sie hat es auch nicht erläutert; vermutlich genügte der nicht ganz fertig gewordenen Beinahe-Theologin ihre persönliche Glaubensgewissheit als Argument. Aber die Aussage ist so klar, wie man es sich nur wünschen kann, und viele, zu viele sind diesen Worten gefolgt und tun es noch heute.

Und nun das! Der Kanzler einer Regierung, in der sich immerhin die Partei des infantilen Totalitarismus – man nennt sie auch Grüne – befindet, äußert im „Spiegel“: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.“ Das ist ein Wort, und man kann hoffen, dass dieses Wort auch bis in den benachbarten schwarz-roten Berliner Senat dringt, in dessen Koalitionsvertrag die goldenen Worte „Im Winter soll auf Abschiebungen verzichtet werden, wenn Witterungsverhältnisse dies humanitär gebieten“ zu finden sind. Selbstverständlich ist man auf der grünen Seite des Kabinettstisches wenig begeistert, äußert Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neu anzustrebenden Regelung und sieht darin „unverhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte auf Freiheit, auf Unverletzlichkeit der Wohnung und auf Privatsphäre der Betroffenen“ – ein Problem, das Grüne bei unverhältnismäßigen Coronamaßnahmen nicht als ganz so dringend empfunden haben.

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Doch der eiserne Kanzler bleibt hart und will für eine deutliche Steigerung der Abschiebequote sorgen. Dafür gibt es gute Gründe. Zum Ende des ersten Halbjahres 2023 hielten sich in Deutschland knapp 280.000 ausreisepflichtige Personen auf, von denen 224.768 sich einer Duldung erfreuen konnten, während immerhin annähernd 55.000 direkt und ohne Verzug ausreisepflichtig waren. Oder doch wenigstens gewesen wären, wenn sich jemand wirklich darum gekümmert hätte. Die Geduldeten halten sich keineswegs zu Recht hier auf, auch sie müssten eigentlich das Land verlassen, es wird aber „vorübergehend davon abgesehen, die Ausreisepflicht mit dem Zwangsmittel der Abschiebung durchzusetzen.“ Dafür kann es mehrere Gründe geben, und genau daran hätte der Kanzler ansetzen können. Wenn man denn schon im großen Stil abschieben will, dann sollte man zusehen, ob diese Gründe auch wirklich einen weiteren Aufenthalt trotz eigentlich vorliegender Ausreisepflicht rechtfertigen oder vielleicht im Gegenteil die Duldungsgründe restriktiver gehandhabt werden müssten, denn auch die Geduldeten sind ausreisepflichtig.

Davon hört man allerdings wenig, im Gegenteil. Zum 31. Dezember 2022 trat das Chancen-Aufenthaltsrecht in Kraft, das hinreichend lange Geduldeten die Möglichkeit eröffnet, „für 18 Monate eine Art Aufenthaltserlaubnis auf Probe zu erhalten,“ die dann nach Ablauf der Frist gegebenenfalls in ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht umgewandelt werden kann. Das haben bis zum 30. Juni bereits 17.788 Menschen in Anspruch genommen, unter ihnen 1.277, die bisher mit einer „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ versehen waren. Man erinnert sich daran, dass schon so mancher Eingereiste zwar niemals sein Mobiltelefon, aber sehr schnell seine Papiere verloren hat. Die vorgebrachte Kritik, man belohne auf diese Weise diejenigen, die „sich hier verbotenerweise aufhalten, also längst in ihre Heimat zurückkehren mussten,“ und von denen man überhaupt nicht wisse, „wer sie eigentlich sind, weil sie bewusst ihre Identität verbergen,“ verhallte selbstverständlich ungehört.

Kurz gesagt: Das Abschieben im großen Stil bezieht der Kanzler offenbar nicht auf die ausgesprochen große Menge der Geduldeten, er hat sie selbst vor Kurzem erst bessergestellt. Bei seinem bekanntermaßen ausgezeichneten Gedächtnis wäre es immerhin denkbar, dass er das inzwischen vergessen hat. Aber was ist mit den anderen annähernd 55.000? Die werden die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Es wäre müßig, hier den einzelnen vorgesehenen Maßnahmen nachzuspüren; entscheidend ist, zu welchem Resultat sie führen. Hier kann uns der Regierungsentwurf zum Rückführungsverbesserungsgesetz weiterhelfen. Man kümmert sich dort in der Gesetzesbegründung recht genau um die Frage, welcher zusätzliche Aufwand wohl der Verwaltung durch die neuen Regeln entstehen mag, und weil das kaum einer lesen möchte, hat man die eine oder andere wesentliche Information dort untergebracht. Auf Seite 29 sehen wir dort: „Im Mittel wurden in den Jahren 2021 und 2022 pro Jahr rund 12.000 Abschiebungen vollzogen.“ Das lässt hoffen, denn die Differenz zwischen 12.000 und den 55.000 ohne Wenn und Aber Ausreisepflichtigen beträgt gut und gern 43.000. Im großen Stil abschieben will der Kanzler, hier hat er die Gelegenheit. „Im großen Stil“ ist aber ein dehnbarer Begriff, denn kurz darauf enthüllt man uns: „Wie viele Abschiebungen aufgrund der Rechtsänderungen zusätzlich vollzogen werden, ist schwer abschätzbar. Es wird angenommen, dass durch die Verschärfung der Ausreisepflicht die Anzahl der Abschiebungen um rund 600 (fünf Prozent) steigen wird.“

600 Abschiebungen mehr. In Worten: sechshundert. Da fehlt noch eine Kleinigkeit an die wünschenswerten 43.000. Und nicht einmal das weiß man genau, denn die Sache ist ja schwer abschätzbar, und deshalb muss man eben irgendetwas annehmen. Vielleicht wird es ja auch keiner oder nur 200, wer will das schon so genau wissen? Nancy Faeser bestimmt nicht.

Immerhin macht man sich Gedanken um die zusätzlichen Kosten. Ich muss hier nicht auf die Einzelheiten der Berechnung eingehen, sie beruhen wieder auf Schätzungen für die Anzahl der nötigen Prüfungen, auf der Mitwirkung verschiedener Behörden bei der Prüfung einer Ausweisung und auf den vermuteten Kosten für Abschiebungsvorbereitung und -vollzug durch die Bundesländer. Wer möchte, kann sich das auf den Seiten 29 und 30 der Gesetzesbegründung genauer ansehen, wobei es doch eine interessante Frage wäre, warum die „fallbezogene Bearbeitungszeit je Prüfung … für die bisherigen Prüftatbestände rund 26,5 Stunden“ beträgt. Womit man diese mehr als drei Arbeitstage verbringt, wenn es klar ist, dass der Betreffende abgeschoben werden muss, darf sich jeder selbst vorstellen.

Addiert man nun die Kosten aus den Abschnitten 4.3.2, 4.3.3 und 4.3.4 der Begründung, so kommt man auf 4.256.000 €. Bei gerade einmal 600 erwarteten zusätzlichen Abschiebungen sind das mehr als 7.000 € pro Fall. Jede zusätzliche Abschiebung soll mehr als 7.000 € kosten – fast, aber nur fast, muss man froh sein, dass es nur 600 sind.

Ich darf wiederholen: Bisher brachte man es über sich, im Laufe eines Jahres etwa 12.000 Ausreisepflichtige abzuschieben. Dank des segensreichen Rückführungsverbesserungsgesetzes sollen es 12.600 werden – ein minimaler Fortschritt, den man mit Kosten in Höhe von 7.000 € pro zusätzliche Abschiebung erkauft und der nicht im Entferntesten gesichert ist, denn es handelt sich um Annahmen, und wir haben gelernt: „Wie viele Abschiebungen aufgrund der Rechtsänderungen zusätzlich vollzogen werden, ist schwer abschätzbar.“ Hat man vielleicht die gleichen Leute gefragt, die schon die Entwicklung der sonderbaren PCR-Pandemie völlig falsch eingeschätzt hatten?

Zudem finden sich jeden Tag neue Abschiebungskandidaten im besten Deutschland, das es je gab, ein. In den ersten acht Monaten des Jahres 2023 sind bereits „über 71.000 Menschen unerlaubt nach Deutschland eingereist“, allein im August waren es 15.100, die Tendenz ist steigend. Bis September 2023 gab es in eben jenem Deutschland, das nach Göring-Eckardt „für Migrantinnen und Migranten offen“ sein soll, 233.744 Erstanträge auf Asyl. Man darf annehmen, dass sich unter all diesen Menschen so viele Ausreisepflichtige finden werden, dass die eventuellen 600 zusätzlichen Abschiebungen nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein sind.

Eine große Schlagzeile, sogar ein Titelbild beim „Spiegel“ – und dann ein lächerliches Ergebnis, nichts als Augenwischerei. Geht es darum, die Bürger um ihr Eigentum zu bringen, sei es mit einem Heizungsgesetz, das man sich in Kreisen der organisierten Kriminalität nicht besser hätte ausdenken können, sei es durch eine weitere Erhöhung der CO2-Abgabe, die man mit einem gewissen Recht als Wegelagerei bezeichnen kann – dann ist die Regierung schnell und mit Begeisterung dabei. Geht es aber um eine Entlastung für die Bürger, die nicht unbedingt erfreut sind über den andauernden illegalen Zuzug, dann wird Aktivität vorgetäuscht und heraus kommt annähernd nichts.

Es ist erbärmlich.

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

 

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