Professor Christian Drosten gilt vielen Politikern und Journalisten als der „Corona-Papst“. Viele hängen an seinen Lippen. Allerdings werden seine Aussagen sehr filtriert wiedergegeben – was seine Anhänger und Kritiker sich jeweils wechselseitig vorwerfen. Manche Aussagen scheinen in Vergessenheit geraten – wie etwa seine sehr grundsätzlichen Zweifel an der Wirksamkeit von Masken im Januar (siehe hier). Oder seine sehr massiven Bedenken gegenüber genau jenem Testtyp, für den er heute bei Corona Pate steht. Damals machte er fast genau die Vorbehalte geltend, die ihm heute seine Kritiker entgegenhalten. Allerdings können diese ihre Bedenken meist nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit äußern, weil sie in den großen Medien kaum zu Wort kommen (siehe hier).
Weil Drosten als Corona-Orakel gilt, müsste eine noch relativ neue Aussage des Professors jetzt eigentlich für massive Schlagzeilen sorgen und das von Corona-Maßnahmen geplagte Land aufhorchen lassen, ja elektrisieren. Tut sie aber nicht. Sie wird weitgehend verschwiegen. Weil sie nicht zum politischen Kurs passt? Wie schon mehrmals bei Zitaten von Drosten wollte ich auch diesmal erst nicht glauben, was mir Leser schickten. Bis ich es in der Originalquelle fand. In diesem Fall in Drostens Blog beim NDR, Nr. 58 vom 30.9.2020.
„Da gibt es noch eine neue Studie, die ich auch hervorheben möchte. Die kommt aus Deutschland.“, sagt der Professor da. Was folgt, ist zwar schwer zu verdauen, aber die Mühe wert – nehmen Sie sich also bitte die Zeit: „Eine sehr gut gemachte immunologische Studie, wie ich finde. Die ist im Prinzip so etwas wie eine Ergänzung dieser Frühjahrsstudie aus der Charité, die wir schon mal besprochen haben, wo man gesehen hat: Es gibt bei so 30–40 Prozent der nicht Exponierten, also derjenigen, die keine SARS-2-Infektion hinter sich haben, dennoch eine Reaktivität auf der Ebene der T-Zellen. Dann hat man relativ bald eine ganze Zahl von anderen Studien gehabt aus England, aus den USA und so weiter, die dasselbe gefunden haben. Es gibt also eine gewisse Zahl von Patienten, und das sind nicht wenige, das ist häufig im Bereich von einem Drittel der Bevölkerung, die reaktive T-Zellen hat, wenn man die in relativ direkten immunologischen Verfahren misst, obwohl die keinen Kontakt zu dieser Infektion hatten. Und es wurde gerade in den USA auch schon eine sehr große Argumentation darauf aufgebaut, die sagt: Im Prinzip ist das die Erklärung dafür, dass es so viele milde Verläufe gibt. Und wahrscheinlich wird deswegen auch die Schwelle der Herdenimmunität viel niedriger liegen, weil in Wirklichkeit sind wir alle schon längst kreuzimmun. Also man sagt kreuzimmun, kreuzreaktive T-Zellen sind da – das heißt, die Aktivität der T-Zellen, die bezieht sich nicht nur auf die Erkältungscoronaviren, die wir alle immer wieder kriegen, sondern die bezieht auch ein bisschen am Rand des Aktivitätsspektrums dieses neue Virus mit ein. Darum sind wir, ohne dass wir das wussten, doch zu großen Teilen schon geschützt.“
Wie bitte? Die Kanzlerin, große Teile der Politik und der Medien warnen uns ständig vor einer zweiten Welle, verbreiten massive Alarmstimmung. Und der Virologe, auf den sie und die Medien am meisten geben, sagt im stillen Kämmerlein, wir seien „zu großen Teilen schon geschützt“? Und redet von viel niedrigeren Schwellen für die Herdenimmunität? Ist man etwa nicht Verschwörungstheoretiker, wenn man so etwas sagt?
So einfach ist es nicht. Denn weiter unten im Podcast sagt Drosten genau das Gegenteil: „Wir können wahrscheinlich sagen, was man in diesen Studien sieht, ist eben nicht eine Kreuzimmunität, sondern nur eine Kreuzaktivierbarkeit, eine Kreuzreaktivität, wie man das auch immer in Worten ausdrücken mag. Also die Zellen machen zwar ein Signal, aber das ist sicherlich nicht stark und aktiv genug, um wirklich eine Infektion fernzuhalten aus dem Körper. Also wir können wahrscheinlich nicht wirklich von einer Immunität sprechen. Und das ist natürlich jetzt hier ein Einzelbefund in dieser Studie.“
So sehr ich als medizinischer Laie Zurückhaltung üben muss: Als Journalist kann ich Drostens Aussagen sehr wohl dahingehend einordnen, dass sie in jedem Fall derart interessant und brisant sind, dass sie in der breiten Öffentlichkeit hinterfragt und diskutiert werden müssen. Breit und laut. Mit offenem Ergebnis. Auch wenn dieses Ergebnis möglicherweise nur ist, dass er nicht in der Lage ist, sich unmissverständlich auszudrücken. Auch wenn er in jener Passage wirklich nur andere zitieren sollte. Umso mehr wäre eine breite Diskussion und Erörterung in den Medien und in der Politik notwendig. Dass genau das nicht passiert, ist ein weiterer Beleg für das Systemversagen in weiten Teilen von Medien und Politik, das wir gerade erleben.
PS Eine Leserin schrieb mir: Drosten „ist ja unbegreiflicherweise vom Bundesverband der Kommunikatoren für ‘herausragende Kommunikation‘ ausgezeichnet worden, man scheint ihm seine Wirrnis irgendwie als wissenschaftlichen Ethos (‘Ich weiß, dass ich nichts weiß‘) anzurechnen. Im Übrigen sind die Medien an der Verwirrnis schuld: ‘Ich wehre mich gegen eine Veränderung von dem, was ich sage‘, erklärte Drosten auf dem Kommunikationskongress. Das Problem der falschen Wiedergabe seiner Aussagen sei, dass die Botschaft verloren gehe und sich Fehlinformationen in der Öffentlichkeit verbreiteten, die dann immer weitergesponnen würden.“
PS Warnhinweis an die selbsternannten und staats(nah) finanzierten „Faktenchecker“: Sie haben mich wiederholt für das Zitieren Drostens bzw. kritische Fragen zu seinen Zitaten attackiert. Offenbar merken Sie gar nicht, wie sehr Sie sich damit selbst entlarven. Denn Zitieren, Fragen stellen und Zweifel anmelden ist die Pflicht von Journalisten. Dass Sie Journalisten genau dafür angreifen, zeigt, wie weit Sie sich vom Journalismus entfernt haben.
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Bild: PHOTOCREO Michal Bednarek/Shutterstock
Text: br