Ein Vorgeschmack auf Bidens Amerika Keine guten Zeiten für die Freiheit

Ein Gastbeitrag von Felix Dirsch

Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen ist vor dem Hintergrund tiefgreifender Wandlungen der Tektonik der US-Gesellschaft zu interpretieren.

Der diesjährige Jubilar Hegel hatte ein Faible für herausragende Persönlichkeiten der Weltgeschichte („welthistorische Individuen“). Für ihn waren sie kaum mehr als Marionetten des Weltgeistes, die die ihnen zugewiesenen Rollen im welthistorischen Drama spielen mussten. Hegel spricht von der „List der Vernunft“. Des Philosophen ambivalente Faszination galt Napoleon als dem „Weltgeist zu Pferd“. 

Diese Parallele mag manchen zu weit hergeholt erscheinen, wenn es um das facettenreiche Phänomen Donald Trump geht. Und dennoch spielt auch der höchst umstrittene Immobilienmilliardär eine Rolle in längerfristigen historischen Prozessen. Analysen „in the long run“ sollten nicht dabei stehenbleiben, nur die negativen Seiten des abgewählten US-Präsidenten zu beleuchten. Besonders sein mitunter rabiates Auftreten hat sicherlich ein ums andere Mal sein Amt beschädigt. Es reicht aber genauso wenig, nur seine unstrittigen Erfolge hervorzuheben: vornehmlich seine Impulse für den Arbeitsmarkt und die Schaffung von Jobs, bis die Bilanz durch die einbrechende Corona-Pandemie kurzzeitig getrübt wurde. Noch während der einschneidenden Maßnahmen jedoch kam es zum Wirtschaftsaufschwung, der besonders Schwarzen und Latinos genützt hat. Trumps Kampf gegen illegale Migration sowie seine Erfolge in der Handelspolitik, vor allem die Standfestigkeit gegenüber China, aber auch positive Akzente in der inneren Sicherheit fallen auf. Seine Steuerreform hat auch der Mittelklasse spürbare Erleichterung gebracht. Nicht zu vergessen ist der Abzug von US-Truppen aus etlichen Erdteilen und seine Vermeidung kriegerischer Konflikte. Dass sein Vorvorgänger, George W. Bush, stets die Differenzen gegenüber dem „Friedenspräsidenten“ herausgestellt hat, verwundert nicht, fungierte Bush doch als Förderer neokonservativer Kriegstreiber. Die Verhandlungen der USA mit Nordkorea und die Vermittlung zwischen den Emiraten und Israel, für die Trump verantwortlich ist, haben selbst Kritiker überrascht. Zu den wichtigeren Erfolgen zählt darüber hinaus die Besetzung des Supreme Court mit einer konservativen Richtermehrheit. Beachtung hat auch die Anerkennung Jerusalems als legitime Hauptstadt Israels gefunden.

Das alles ist in letzter Zeit häufig erwähnt worden. Selbst ein bekanntlich tendenziöses Medium wie das ZDF musste während des Endkampfes ums Weiße Haus einräumen: Der Amtsinhaber hat geliefert. Die Einlösung diverser Versprechungen dürfte nur ein Grund gewesen sein, warum es ihm auf den letzten Metern noch gelungen ist, Boden gut zu machen, wenngleich es doch nicht zum Sieg gereicht hat. Welche Rolle dabei das Corona-Management spielte, ist wohl nicht mehr zu klären.

WASP – White, Anglo-Saxon, Protestant

Ja, Trump ist ein alter weißer Mann. Diese Spezies ist in verschiedenen Teilen der Welt aufgrund demographischer Umbrüche auf dem Rückzug – gerade in den USA. Eines der wichtigen Bücher nicht nur im Hinblick auf die US-Identität hat der verstorbene Politologe Samuel P. Huntington vor rund zwei Jahrzehnten vorgelegt: „Who are we?“ Der wohl meistgelesene Vertreter seiner Zunft in den letzten 50 Jahren hat die absteigende WASP (White, Anglo-Saxon, Protestant), das christliche, bürgerlich-konservative Amerika, in dieser Schrift verteidigt. Seine Diagnose fällt nichtsdestoweniger eindeutig aus. Die „amerikanischen Leidenschaften“ wären „seit jeher über Fragen von Rasse und ethnischer Zugehörigkeit“ entbrannt. Vornehmlich die WASP führte die Vereinigten Staaten zur Weltmacht. Allerdings ist der Wendepunkt schon seit einiger Zeit zu erkennen: Das postamerikanische Zeitalter ist absehbar, sei es demographisch, sei es hinsichtlich des Weltbruttosozialprodukts. Die Tendenz ist unübersehbar: In zahlreichen Staaten (New York, Connecticut, New Jersey, Maryland und viele andere) ist die Zahl der nicht-weißen Bewohner schon jetzt in der Mehrheit. Die Tendenz geht im ganzen Land in diese Richtung, forciert nicht zuletzt durch Einwanderung. Bald dürfte die statistische Majorität der Weißen Geschichte sein. Die 2040er Jahre werden manchmal als zu erwartendes Schwellenjahrzehnt angegeben.

mvgDer Wiener Publizist Martin Lichtmesz hat in einem lesenswerten Traktat („Rassismus. Ein amerikanischer Alptraum“) Huntingtons Buch auf den aktuellen Stand gebracht. Lichtmesz belegt mit einigen Beispielen, dass wir Zeugen davon sein werden, wie der „Leuchtturm der Freien Welt … uns in einen Abgrund geführt hat, in den er gerade selbst hineinstürzt“.

Lässt sich eine säkulare Entwicklung wie die Demographie aufhalten, vielleicht sogar umkehren? Wohl kaum, aber es ist nicht verboten, solche Prozesse unter Umständen hinauszuzögern und im schlechtesten Fall wenigstens in Würde unterzugehen. „Trump ist eine Nachhutschlacht der Weißen, wenn nicht ihr ‚letztes Gefecht‘“, notiert der deutsch-ukrainische Publizist Viktor Timtschenko. Tatsächlich ist der Selbsthass vieler Weißer aufgrund der angeblichen und tatsächlichen Schuld ihrer Vorfahren groß. Moralistische Motive sind omnipräsent: So bekundete der Harvard-Professor Noel Ignatiev vor Jahren: „Das Ziel der Abschaffung der weißen Rasse ist offenkundig so wünschenswert, dass manche kaum glauben werden, dass irgendjemand auf die Idee kommen könne, dagegen zu opponieren, abgesehen von überzeugten weißen Suprematisten.“

Tektonische Umbrüche

Es wäre ein Wunder, blieben solche tektonischen Umbrüche an der sozialen Oberfläche ohne seismographische Niederschläge. Die heftigen Unruhen der letzten Monate – meist war Polizeigewalt der Anlass – haben für viele Schlagzeilen gesorgt. Die Unruhen der „Black Lives Matter“-Bewegung, etwa in Portland und in Kenosha, liefern einen Vorgeschmack auf Jo Bidens Amerika. Der designierte Präsident hat mit seiner ostentativen Unterstützung der vermeintlich Diskriminierten wohl nicht nur seiner Wahlkampfkampagne nützen wollen. Der konservative Publizist Joel B. Pollak schrieb kürzlich über diese Vorgänge: „Die Randalierer in Portland und Chicago haben keine anderen politischen Ziele, als für Unordnung zu sorgen. Ihr primäres Ziel ist es zu zeigen, dass sie – und nicht die Polizei – die Kontrolle haben. Wenn Trump im November die Wiederwahl gewinnt, werden sie wüten. Aber sie werden genauso wüten, wenn Biden gewinnt.“ Weiter heißt es: „Wenn die Linke ihre politischen Ziele durch Gewaltanwendung erreichen kann, wird sie dies erneut tun.“ Es bleibt zu befürchten, dass die Randalierer bald im regierungsamtlichen Auftrag unterwegs sind.

Das neue Buch des Autors

Trump und seine Gegner verkörpern noch andere gesellschaftliche Bruchlinien. Ein wahrlich weites Feld stellt die globale Agenda dar. Trump hat sich gegen das Pariser Klimaabkommen gestemmt. Diese Vereinbarung, die sein Nachfolger wohl goutiert, bedeutet in der Konsequenz nichts anderes als Umverteilungen im großen Stil, die obendrein den Handelskonkurrenten China begünstigen dürften. Der asiatische Riese genießt Sonderkonditionen. Gelder für die als korrupt geltende WHO hat Trump gestrichen, auch wegen des Versagens dieser Organisation in der derzeitigen Krise. Bidens Distanzierung vom „Green New Deal“ und der damit verbundenen Umverteilungsorgie war ohnehin nur halbherzig. Die sozialistischen Radikalen in den Reihen der US-Demokraten, etwa die designierte Vizepräsidentin Kamala Harris und die junge Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, müssen befriedigt werden, so sehr Biden auch den gemäßigten Biedermann mimt. Es ist bekannt, wer in den Startlöchern sitzt, wenn der dement-senil wirkende künftige erste Mann zurücktritt.

Zweifellos erhält das Gemisch aus Geheimdiensten, Hochfinanz, Neocons und Linksideologen nunmehr Auftrieb. Seine Vertreter sind die natürlichen Gegner eines Mannes, der „Nationalismus als Tugend“ (Yoram Hazony) verkörperte. Dessen Scheitern freut viele. Globalisten wie der „Gesundheitsdiktator“ Bill Gates, der UN-Generalsekretär António Guterres und der Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, Klaus Schwab, wittern im Windschatten von „Corona“ Morgenluft für ihr großes Ziel: den „Great Reset“. Gemeint ist die Neugestaltung des weltweiten Gesellschaftsvertrages. Globale Eliten sollen gerechtere Strukturen der Verteilung schaffen.

Höchste Desorientierung

Die Stärkung global-zentrifugaler Kräfte lebt nicht zuletzt davon, Kritik an einem solchen Unterfangen als verschwörungstheoretisch zu denunzieren. Derartige Diffamierungen sind deshalb in den meisten Fällen wirksam, weil die Protagonisten der großen Neuordnung in Wort und Schrift für ihre Anliegen trommeln. Eine streitbare Persönlichkeit wie der frühere Apostolische Nuntius in Washington, Kurienerzbischof Carlo M. Viganò, hat in einem Schreiben an Trump kurz vor der Wahl die Feinde klar benannt: die alten freimaurerischen Ideale der Neuen Weltordnung, die im neuen Gewand so aktuell wie selten zuvor sind, die Mainstream-Medien, aber auch einige US-Bischöfe, die im Zustand höchster Desorientierung zur Wahl von Abtreibungs- und Homo-Ehe-Befürworter wie Biden oder (noch offenkundiger) Harris aufgerufen haben. Die Guten sollen aus ihrer Trägheit erwachen, so der kuriale Würdenträger. Wer die großen Kulturkämpfe unserer Zeit überblickt, die sich in den USA gleich einem Brennspiegel zeigen, wird es nicht für übertrieben halten, alte biblische Metaphern neu zur Geltung zu bringen: die Kinder der Finsternis, die sich gegen die Kinder des Lichts wenden.

Man muss nach der Zäsur vom 3. November nicht unbedingt so weit gehen, eine „globale Weltdiktatur“ in Reichweite zu vernehmen. Aber die Entmachtung der Staaten, auf deren Ebene freiheitliche Grundrechte gewährt werden und demokratische Mitbestimmung zuallererst stattfindet, zugunsten der globalen Trias „Klima, Corona und Krieg“ dürfte weitergehen. Der Verfasser dieser Zeilen wäre froh, wenn er sich täuschte.


Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Professor Dr. Felix Dirsch lehrt Politische Theorie und Philosophie. Er ist Autor diverser Publikationen, u.a. von “Nation, Europa, Christenheit” und “Rechtes Christentum“. Dirsch kritisiert unter anderem den Einfluss der 68er-Generation und der „politischen Korrektheit“.

2020 erschienen die Bücher: „Die Stimmen der Opfer. Zitatelexikon der deutschsprachigen jüdischen Zeitzeugen zum Thema: Die Deutschen und Hitlers Judenpolitik“ (zusammen mit Konrad Löw) und „Rechtskatholizismus. Vertreter und geschichtliche Grundlinien. Ein typologischer Überblick“.

 


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Bild: Nuno21/Shutterstock
Text: gast


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