Esprit-Beben: Insolvenz-Verschleppung im großen Stil? Dubiose Geschäfte auf den britischen Jungferninseln

Von Kai Rebmann

Bis Ende November schließen bundesweit alle 56 Filialen, rund 1.300 deutsche Arbeitnehmer werden dann auf der Straße stehen. Auch zwei US-Gesellschaften des Modekonzerns – US Distributions Limited und Esprit US Retail – haben sich vor wenigen Tagen nach Chapter 7 der Konkursordnung der USA zahlungsunfähig erklärt und streben die direkte Liquidation ohne Insolvenzverfahren an. Doch hätte das große Esprit-Beben verhindert werden können?

Dieser Frage geht aktuell der Jurist Lucas Flöther nach, der vom Amtsgericht Düsseldorf als Verwalter über das Insolvenzverfahren bestellt worden ist. Einen entsprechenden Antrag hatte Esprit im Mai dieses Jahres gestellt – und damit offenbar mindestens ein halbes Jahr zu spät. Denn bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens schienen die Modekette und die darin verankerten Arbeitsplätze bereits unrettbar verloren

Zu diesem Schluss kommt Flöther in seinem Gutachten, aus dem der „Business Insider“ hinter der Bezahlschranke zitiert: „Es liegt Zahlungsunfähigkeit vor. Es liegt Überschuldung vor. Es bestehen keine Aussichten für eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens.“

Esprit wohl schon seit Dezember 2023 zahlungsunfähig

Im Klartext: Ende Juli 2023 standen einem kläglichen Kassen- und Bankguthaben von gerade einmal 220.000 Euro Forderungen in Millionen-Höhe gegenüber. Neben den zu diesem Zeitpunkt unmittelbar fälligen Forderungen in Höhe von 5,3 Millionen Euro habe dies weitere 69 Millionen Euro betroffen, die aus Geschäften zwischen verschiedenen Tochtergesellschaften des Konzerns resultierten, wie es in dem Bericht heißt.

Das Gutachten führt dazu weiter aus: „Eine Beseitigung dieser Unterdeckung von über 95 Prozent in einem überschaubaren Zeitraum kommt nicht einmal ansatzweise in Betracht.“ Flöther beziffert die Überschuldung anhand dieser Grundlage auf mindestens 44 Millionen Euro und stellt deshalb klar: „Aus den vorliegenden Planungen ergibt sich, dass eine kostendeckende Geschäftstätigkeit der deutschen Esprit-Gruppe für den Zeitraum ab Januar 2025 nicht möglich ist. […] Die insbesondere für den Bezug der Waren und die Beschäftigung des Personals entstehenden Kosten können nicht gedeckt werden.“

Doch wie konnte es so weit kommen? Bei der Ursachenforschung fällt in dem Gutachten immer wieder der Name von Man Yi Yip. Die Chinesin war von November 2021 bis Anfang Mai 2024 Geschäftsführerin der jetzt insolventen Esprit Europe GmbH. Merkwürdig: Deren Nachfolger, Christian Gerloff und Christian Stoffler, traten ihre Ämter am 14. Mai 2024 an – und stellten bereits am Tag danach den offenbar längst überfälligen Insolvenzantrag.

In den Wochen davor ereignete sich reichlich Sonderbares, das spätestens jetzt nach Bekanntwerden des ganzen Ausmaßes des Esprit-Desasters in einem unrühmlichen Licht erscheint. Noch im Dezember 2023 wurden die Markenrechte ohne jede Gegenleistung an die Million Success Resources Limited verscherbelt. Die wiederum hat ihren Sitz auf den britischen Jungferninseln in der Karibik und ist eine 100-prozentige Tochter der Esprit Holdings Limited (Sitz in Hongkong), welche von dem Insolvenzverfahren nicht betroffen ist.

Ex-Chefin taucht in China unter

Der naheliegende Verdacht: Die millionenschweren Markenrechte sollten in der Karibik in Sicherheit gebracht und so dem Zugriff der Gläubiger der Esprit Europe GmbH entzogen werden – nicht zuletzt auch auf Kosten der 1.300 Arbeitnehmer. Wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, haben sich Deichmann (Schuhe) und die Theia Group of Companies (Textilien) diese Markenrechte gesichert. Die Kaufsumme blieb unbekannt, zuletzt wurde jedoch ein Preis in Höhe von 25 Millionen Euro kolportiert.

Doch selbst, falls sich der Verdacht der Insolvenzverschleppung weiter erhärten sollte – die Gläubiger sowie die bisherige Belegschaft werden wohl auf jeden Fall in die Röhre schauen. Denn Man Yi Yip hat ihren Wohnsitz in China und ist damit für die deutschen Behörden praktisch nicht zu greifen, wie auch Lucas Flöther konstatiert: „Die rechtliche und wirtschaftliche Durchsetzung etwaiger Ansprüche in China erscheint fraglich.“ Abgesehen davon, seien sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ex-Chefin als auch deren tatsächlicher Aufenthaltsort unbekannt, wie in dem Gutachten festgehalten wird.

Allem Anschein nach wurde die Esprit Europe GmbH spätestens seit Dezember 2023 bis zum letzten Tropfen der bis dato noch vorhandenen Rest-Liquidität ausgequetscht, ehe die Verantwortlichen, allen voran Ex-Chefin Yi Yip in Fernost untergetaucht sind. Im selben Zug wurden zweistellige Millionen-Beträge in die Karibik transferiert, um sie dort dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Die Leidtragenden sind am Ende die rund 1.300 deutschen Arbeitnehmer, die jetzt vor den Scherben ihrer wirtschaftlichen Existenz stehen.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

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