Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger
Früher war es ein Witz, und nicht einmal ein übermäßig guter: „Herzlichen Glückwunsch zum Nachwuchs! Was ist es denn, Mädchen oder Junge?“ „Ach, das soll das Kind selbst entscheiden, wenn es groß genug ist.“ Hieß es im Vorspann zur Fernsehserie „Raumpatrouille Orion“ noch vor vielen Jahren: „Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein,“ so hat sich inzwischen die Lage verändert, denn was früher ein Witz war, entspricht heute der Wirklichkeit.
Im schönen Bayern waren zwei glückliche Eltern eines Neugeborenen der Ansicht, dass es bei der Eintragung ihres Säuglings im Geburtsregister keiner näheren Bezeichnung des Geschlechts bedürfe. Das sei nach dem Paragraphen 22 des Personenstandsgesetzes prinzipiell möglich. Und tatsächlich: In Absatz 3 dieses Paragraphen findet man die Regelung, dass jenseits der üblichen Zuordnungen „männlich“ und „weiblich“ „der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden“ könne.
Das örtliche Standesamt zeigte wenig Verständnis für die fortschrittlichen Eltern und weigerte sich, die Geburt ohne Geschlechtsangabe zu registrieren. Aber warum denn nur, wenn das Gesetz es doch ermöglichte? Die Ursache findet sich vermutlich darin, dass man einen Satz, erst recht in einem Gesetz, ganz lesen sollte, bevor man sich darauf beruft. Denn der zitierte Satz lautet völlständig: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden.“ Das sieht schon etwas anders aus, denn die freihändig vergebene Eintragung des nicht vorhandenen Geschlechts darf nur erfolgen, wenn das Kind keinem der üblichen Geschlechter zugeordnet werden kann.
Doch das war nicht der Fall, da es sich um eine Hausgeburt ohne ärztliche Begleitung gehandelt hatte und eine ärztliche Bestätigung des Sachverhaltes folglich nicht vorlag. Eine Hebamme war vor Ort und hatte auch das nötige Formular ausgefüllt, wobei sie die Geschlechtsangabe „ohne“ für angebracht hielt. Warum sie das tat, hat sie aber nicht verraten, denn der eigentlich nötige Vermerk, dass die unvermeidbare Zuordnung nicht möglich sei, fehlte. Im Standesamt hätte man gerne Näheres gewusst und fragte nach, scheiterte aber am Bollwerk der auch für Hebammen geltenden Schweigepflicht.
So kam es, wie es kommen musste. Standesamt und Eltern beharrten auf ihrem jeweiligen Standpunkt, und die Eltern zogen im Bewusstsein ihrer überlegenen moralischen Position vor Gericht. Aber es gibt noch Richter in Deutschland, man glaubt es kaum. Nicht alle sind von der Sorte, die reihenweise verheerende Urteile über Ärzte fällt, weil sie nach bestem Wissen Maskenatteste ausgestellt haben, oder Richterkollegen wegen Rechtsbeugung verurteilt, da sie übergriffige Corona-Schutzmaßnahmen an Schulen unterbanden. Am Oberlandesgericht München zeigte man sich dem Zeitgeistfortschritt nicht eben zugeneigt. Das elterliche Argument, man wolle und müsse die „geschlechtliche Identität“ des Kindes schützen, stieß auf wenig Gegenliebe.
Man muss auch zugestehen, dass das Argument nicht von bester Qualität war. Ohne Frage gibt es Identitäten, die man durch Verschweigen am besten schützen kann. Ein Heiratsschwindler wird kaum seine Heiratsschwindleridentität aufdecken, da er sie dann sehr schnell verliert, ein kognitiver Minderleister wird seine Dummheitsidentität ebenfalls nicht lauthals verkünden, sondern eher im Schutz eines Ministeramtes einer zu ihm passenden Partei ausleben – das sind Fälle, in denen das Verschweigen einer bestimmten Identität dem Schutz eben dieser Identität dient. Doch die „geschlechtliche Identität“ schützt man nicht, indem man sie verschweigt oder als nicht vorhanden etikettiert, das schadet nur. Im Übrigen, so meinte das Gericht, habe das Kind „keine Vorstellung von seiner Geschlechtszugehörigkeit“, und welche Haltung die Eltern zu dieser Frage einnähmen, sei ohne jede Relevanz. Dem wird man kaum widersprechen, denn Neugeborene pflegen sich nur selten Gedanken über geschlechtliche Fragen zu machen, und Eltern, seien sie auch noch so progressiv, trans- oder klimabewegt, können an den gegebenen Tatsachen der Physiologie nichts ändern. Auch die Hebamme musste sich übrigens fragen, ob sie des vollständigen Lesens eines kurzen Textes fähig sei, denn die Bayerische Hebammenberufsordnung, von der sie doch vielleicht schon etwas gehört haben sollte, schließt „die Anzeigepflichten nach dem Personenstandsgesetz“ explizit von der Schweigepflicht aus.
Da standen sie nun, die armen Eltern, die doch nur das Beste für ihr Kind wollten, wenn auch außer ihnen kaum jemand nachvollziehen kann, auf welche Weise der Säugling wohl von der Verweigerung des Geschlechtseintrages hätte profitieren sollen. Die Beschwerde gegen die Haltung des Standesamtes wurde am 1. September 2023 vom Oberlandesgericht abgewiesen. Dabei hätten sich die Eltern doch nur ein wenig in Geduld üben müssen: Das neue Selbstbestimmungsgesetz steht vor der Tür, man fühlt sich in der eigenen Vorfreude schon an Weihnachten erinnert. Im dortigen Paragraphen 2 findet man die Regelung, dass jede Person, „deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag im Personenstandsregister abweicht“, einfach im Standesamt erklären kann, „dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag geändert werden soll, indem sie durch eine andere der in § 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes vorgesehenen Angaben ersetzt oder gestrichen wird.“ Und was das Schönste ist: Das gilt auch für Minderjährige gleich welchen Alters, wie uns § 3 verrät: „Ist die minderjährige Person geschäftsunfähig oder hat sie das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, kann nur der gesetzliche Vertreter die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen (§ 2) für die Person abgeben.“
So wäre es gegangen. Die Vertreter des Fortschritts in der bayerischen Elternschaft hätten jede beliebige Eintragung im Standesamt vornehmen lassen und in aller Gemütsruhe das Inkrafttreten des neuen Gesetzes abwarten können. Unter Berufung auf den Paragraphen 3 ist es dann ein Leichtes, den Geschlechtseintrag wieder zu streichen, es sei denn, Bundestag und Bundespräsident brauchen mehr als 14 Jahre, um das Gesetz wirksam werden zu lassen. Da es sich um puren Unsinn handelt, darf man davon ausgehen, dass es schneller gehen wird. Unsinn geht im besten Deutschland aller Zeiten immer schnell.
„Du bist am Ende – was du bist.
Setz’ dir Perücken auf von Millionen Locken,
Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer, was du bist.“
So spricht Goethes Mephisto zu Goethes Faust, und er hat recht. Ob nun woke-bewegte Eltern ihrem Kind die Enscheidung überlassen wollen, welches Geschlecht es sich zum nächsten Geburtstag wünscht, ob ein Bundestagsabgeordneter auf Basis der grünen Frauenquote gewählt wird, obwohl er juristisch und biologisch ein Mann ist und sich einfach als Frau fühlt oder bezeichnet – sie alle bleiben am Ende, was sie sind. Kein Gesetz wird daran etwas ändern.
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Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.