„Freiheit stirbt immer zentimeterweise“ Guido Westerwelle wäre heute 60 geworden

Guido Westerwelle kannte ich nur flüchtig, von einem Interview und einem gemeinsamen Abendessen. Ich muss ganz offen gestehen – er war nie mein Lieblingspolitiker (sehr diplomatisch ausgedrückt). Heute sehe ich das anders – er, der heute 60 Jahre alt geworden wäre und 2016 an Leukämie verstorben ist, fehlt an allen Ecken und Enden. Die Bürgerrechte waren für ihn ein zentrales Thema. Das er auch seiner Partei ins Stammbuch schrieb. Er wehrte sich vehement gegen den Abbau der Freiheit. Seine Abschiedsrede als Parteivorsitzender am 13. Mai 2011 in Rostock klingt heute geradezu prophetisch. Und zeigt, wie heftig eine solche Stimme für die Freiheit heute fehlt. Und wie massiv Christian Lindner das Erbe Westerwelles verraten hat. Hier dokumentiere ich eine der in meinen Augen wichtigsten Stellen aus der großen Rede des viel zu früh verstorbenen Liberalen: 

 

Meine Damen und Herren,

natürlich leben wir in Deutschland nicht in Zeiten, wo eine Freiheitsbedrohung von Gewalt ausgeht. Sondern sie kommt anders daher. Die Freiheitsbedrohung in Deutschland kommt nicht laut mit Gewalt daher, sondern sie kommt leise. Sie kommt mit allerlei Begründung daher. Mit oftmals auch gutgemeinten Begründungen. Zum Beispiel, wenn es um die Bürgerrechte geht. Zeiten, wo wir alle Sorge haben wegen Terrorgefahr. Wo wir alle natürlich auch alles tun müssen für unsere Bürgerinnen und Bürger, damit sie unversehrt ein glückliches Leben führen können. In solchen Zeiten kommen dann Parteien und Politiker und sagen, das ist die Zeit, wo man wieder mal günstig Bürgerrechte, die uns sowieso immer ein wenig stören, scheibchenweise reduzieren kann. Freiheit stirbt immer zentimeterweise, hat Karl-Hermann Flach einmal formuliert. Und Freiheit stirbt nicht durch Politiker. Sie stirbt nicht dadurch, dass man Bürgerrechte und Freiheitsrechte von Politik wegen einschränken will. Sondern es wird dann gefährlich für die Freiheit, wenn die Bürgerinnen und Bürger ihr eigenes Immunsystem vergessen, das sie wappnen muss gegen jede Freiheitsbedrohung. Und für mich ist dies das entscheidende Selbstverständnis unserer Partei: Das wir sagen, für uns kommt zuerst der Bürger und erst dann der Staat. Andere Parteien vertrauen zuerst dem Staat und vertrauen erst dann dem Bürger. Man kann mit dem Vorwand, dass man zusätzliche Sicherheit schaffe, jedes Bürgerrecht in Zweifel ziehen. Man kann mit dem Vorwand, die Sicherheit brauche dieses oder jenes, jede gesetzliche Verschärfung beschließen. Wir wehren das ab, wo wir können: In der Bundesregierung und im Parlament.

Aber, meine Damen und Herren, wir brauchen auch die Bürgerinnen und Bürger. Wir brauchen selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger, die sich den Satz nicht gefallen lassen „wer nichts zu verbergen hat, soll sich doch gefälligst nicht beklagen“. Nein, wir wollen ein Volk von selbstbewussten Staatsbürgern und nicht von Staatskunden, nicht von Untertanen.  Bürgerrechte zu verteidigen, das ist eine heilige Aufgabe der FDP – zu allen Zeiten: in der Vergangenheit und auch in Zukunft, meine sehr geehrten Damen und Herren. Freiheit zur Verantwortung ist die unbequemste Botschaft. Weil sie fordert. Freiheit wollen alle haben. Aber die Verantwortung, die damit verbunden ist, zu übernehmen, da  wird es dann schon schwieriger. Es ist fordernd, es ist anstrengend, strapazierend. Aber,
meine Damen und Herren, dennoch ist absolut richtig, dass wir uns in Zeiten, wo Staatsbevormundungen bei einer bestimmten Konkurrenzpartei als liberal ausgelegt werden, so etwas nicht gefallen lassen. Wer mir morgens schon erklären will, was ich frühstücken soll, welches Auto ich fahre, wohin ich in Urlaub zu fliegen hätte, sprich: welchen Lebensentwurf ich leben sollte, der ist doch nicht liberal. Der ist gefährlich für die Liberalität in unserem Lande. Das hat mit Freiheit nichts zu tun und mit Liberalismus auch nichts, meine Damen und Herren. 

Niemand kann sagen, die Gefahr sei nicht absehbar gewesen.

Bild: 360b/Shutterstock
Text: br

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