Der tweet wurde in kurzer Zeit 623 Mal geteilt und fast 1600 Mal geliked. Und es wären sicher mehr Likes geworden, hätte ich ihn nicht löschen müssen. Gensing setzte nämlich weniger auf Gegen-Argumente, als darauf, die Löschung des Tweet und eine Unterlassungserklärung per Anwalt durchzusetzen. Er machte geltend, er habe von dem Fotograf die Rechte an seinem Bild erworben – und deswegen habe ich sein alleiniges Nutzungsrecht verletzt. Auf meine Bitte, den Vertrag mit dem Fotografen vorzulegen, kam aber nur per Mail eine fast schwarze, unleserliche Kopie. Erst mit der Klage legte der Anwalt dann eine lesbare Kopie vor: Mit einem Datum, das nach (!) der Aufforderung zur Unterlassungserklärung liegt.
Das Teilen von Bildern und „Kacheln“ ist das Funktionsprinzip sozialer Medien. Täglich werden Hunderttausende Male Bilder anderer Nutzer weiter verbreitet. Deshalb schrieb ich Gensings Anwalt ironisch zurück, dass bei Anwendung seiner Logik (die ich nicht teile) wohl auch Gensing es mit dem Urheberrecht nicht sonderlich genau genommen habe – weil er einen Screenshots meines tweets mitsamt meinem Profilbild tweetete. Die Antwort: Eine Unterlassungserklärung Gensings mir gegenüber (für die ich selbstverständlich auch keine Kosten geltend machte).
Weiter ging es wie in einem Kafka-Roman: Gensings Anwalt drohte per e-Mail, wenn ich ihm meine Anschrift nicht mitteile, würden er neben seinen bisherigen Gebühren für die Abmahnung bzw. Durchsetzung der Unterlassung (für die er 6.000 Euro Streitwert ansetzte) weitere „“962,– zuzüglich 19 % Umsatzsteuer“ in Rechnung stellen – für die „Adressermittlung“. Ich zitiere lieber nicht, mit wie das ein bekannter Jurist kommentierte, als ich ihm davon erzählte. Er meinte, 15 Euro seien für eine Adressermittlung Standard, maximal 80 Euro.
Kurz darauf bekam ein befreundeten Anwalt einen Anruf von Gensings Rechtsvertreter, und dieser sprach in dezenten Andeutungen von einem Detektiv, der in der Sache aktiv sei und „übereifrig“. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Gleichzeitig meldete sich bei meinem Bruder telefonisch eine Frau, die sich offenbar in betrügerischer Absicht als Mitarbeiterin der Rentenversicherung ausgab und ihn nach meiner Adresse fragte. Er roch Lunte, dass etwas nicht stimmte – meine Adresse ist geheim, wegen Bedrohungen bis hin zu Morddrohungen. Meine alte Mutter, die es ohnehin am Herz hat, machte sich große Sorgen, dass mich da irgend jemand auf diese Weise sucht, und auch meinem alten Vater setzte es zu. Zeitgleich erfuhr ich, dass eine Privatdetektivin bei den Behörden in Berlin eine Adressauskunft über mich beantragt hatte.
Hier sei nochmal ausdrücklich betont, dass ich selbstverständlich davon ausgehe, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den merkwürdigen Vorgängen. Spannend wäre allerdings, in einem Gerichtsverfahren ein paar Beweisanträge dazu zu stellen – vielleicht würden die ja Interessantes zu Tage fördern.
Ich selbst dachte, dass der ARD-Mann bzw. sein Anwalt in der Sache so viele Eigentore geschossen hatten, dass ich nichts mehr von ihm hören würde – weil jede Fortsetzung eine Blamage wäre, die auch auf die ARD zurückfallen würde. Ein Freund, der die Anstalt gut kennt, quittiere diese Aussage von mir nur mit Kopfschütteln: „Zum einen werden andere Medien da den Mantel des Schweigens drüber legen, zum anderen unterschätzt Du, wie völlig abgehoben von der Realität und wie XXXXXXX die sind bei der ARD!“ (das Eigenschaftswort streiche ich aus Gründen der Höflichkeit).
Der Freund hatte Recht. Just zu Heiligabend landete heute die Klage von Gensing gegen mich in meinem Briefkasten. Er fordert die Anwaltsgebühren für die Abmahnung. Weil er geltend macht, meine twitter-Seite sei „beruflich“, und nicht privat, setzt er den Streitwert mit 6000 Euro an. Interessant: So viele rundum versorgte öffentlich-rechtliche Journalisten und Politiker betonen, auf twitter privat unterwegs zu sein – bei einem freien Journalisten ohne Vollkasko vom Steuer- bzw. Gebührenzahler wird geltend gemacht, er sei beruflich auf twitter.
Der Vorfall zeigt ganz deutlich, wie gefährlich es ist, öffentlich gegen den Strom zu schwimmen. Und warum sich so viele das nicht trauen – ich kann es nachvollziehen. Und eigentlich müsste ich dem ARD-Faktenfinder dankbar sein. Nur in Folge seiner Abmahnung habe ich reitschuster.de im November vom Netz genommen, weil ein juristischer Seitenhieb auch der Seite galt. Und nur deswegen habe ich die Seite Anfang Dezember grundlegend erneuert, und wieder online gestellt – mit umwerfendem Erfolg, allein 135.000 aktive Nutzer in rund drei Wochen, 351.000 Aufrufe in den vergangenen acht Tagen.
Noch viel wichtiger: Gensing hat eindrucksvoll belegt, mit welchen Mitteln mit unseren Gebührengeldern hoch dotierte und weich gepolsterte ÖR-Journalisten gegen Kritik vorgehen. Und gegen freie Journalisten.Ich überlege mir nun über Weihnachten gründlich, wie ich weiter vorgehen werde. Vor allem, ob ich das Risiko eingehe, den Prozess durchzufechten. Einerseits reizt es mich, das zu tun: Ich finde, man sollte Gensing (der übrigens nur seine ARD-Adresse angibt, während von mir meine wegen Drohungen geschützte Privatadresse verlange wurde) das nicht ersparen. Andererseits sind die Mühen und Ausgaben erheblich, und beides wäre anderweitig besser eingesetzt.
P.S.: Gensing macht geltend, dass es sich bei der einschlägigen „Kachel“ um eine Fälschung eines Sprechers der AfD handelte, die den irreführenden Eindruck erwecke, es handle sich um eine offizielle ARD-Kachel, und die sein Zitat aus dem Zusammenhang reiße. Eine schnelle Überprüfung, woher eine sehr weit verbreitete Kachel im Internet stammt, bevor man sie teilt, ist in der Praxis der sozialen Netzwerke kaum möglich. Geprüft habe ich das Wichtigste, das Zitat. Und dieses ist korrekt. Und entscheidend – und nicht das Bild, auf dass sich Gensing nun stürzte. Zu seinen Vorwürfen, es sei aus dem Zusammenhang gerissen, kann sich jeder selbst ein Bild machen, wenn er oben beide Versionen vergleicht. In meinen Augen gibt das auf der Kachel aufgeführte Zitat die wesentliche Botschaft von Gensings Aussage sehr genau wieder. Und die Kachel ist in meinen Augen eine „Meme“ – also eine Parodien. Und sind Parodien Fälschungen oder Fakes?
P.P.S.: Ein Treppenwitz am Rande ist, dass der ARD-Mann, bekannt für seine Kritik am russischen Sender RT, sich ausgerechnet von einem Anwalt vertreten lässt, der RT Interviews gibt und sich öffentlich über Kritik an RT lustig macht.;-)
P.P.P.S.: Sehr bezeichnend ist auch diese Reaktion von Gensing auf diesen Artikel hier auf twitter (wobei ich sein Foto unkenntlich mache – ich will kein Risiko eingehen, weitere Abmahnungen zu bekommen). Ich frage mich: Ist so viel Arglosigkeit gespielt, oder leben wir einfach in ganz verschiedenen Realitäten?
Bilder: Martin Kraft/Wikipedia (CC BY-SA 3.0)