Von Daniel Weinmann
Es ist das Eingeständnis einer blauäugigen gescheiterten Energiepolitik. Statt ein funktionsfähiges Energiekonzept zu entwickeln, versucht die EU einmal mehr – ganz im Sinne von Grün/Rot – über Eingriffe den Weg aus einer selbstverschuldeten Notlage zu finden. Eine Notlage, die nicht in diesem Ausmaß entstanden wäre, wenn man keine Sanktionen gegen sich selbst verhängt hätte.
Schon vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine hatte die Versorgungssicherheit bei der Energiepolitik gerade hierzulande nie Priorität. Stattdessen war die ganze Energiewende von grüner Ideologie getrieben und wurde aus wahltaktischen Gründen von den anderen Parteien übernommen.
Besonders perfide: Die Energiesparvorgaben stammen von genau jenen EU-Politikern, die ständig mit ihrem gesamten Hofstaat zwischen Brüssel und Straßburg hin- und herziehen und dabei nicht nur enorme Steuergelder, sondern auch teure Energie verschwenden. Frei nach dem Motto: Wasser predigen und Wein trinken.
»Private Haushalt müssen auch ihren Anteil leisten«
„Jeder kann jetzt Gas sparen“, heißt es in dem Entwurf des Gas-Notfallplans der EU, der am kommenden Mittwoch vorgestellt werden soll. Es folgt eine weitere Binsenweisheit: „Je höher die Reduzierung durch freiwillige Maßnahmen ist, desto geringer ist die Notwendigkeit obligatorischer Einschränkungen für die Industrie.“ Da das Prinzip der Selbstverantwortung den Brüsseler Bürokraten aber völlig fremd zu sein scheint, sollen die EU-Mitgliedstaaten in öffentlichen Gebäuden und Büros von Oktober bis März eine maximale Raumtemperatur von 19 Grad Celsius vorschreiben dürfen.
Auch Privathaushalte sollen den Thermostat um ein Grad herunterdrehen. Ein Zwang ist dafür bislang jedoch – noch – nicht vorgesehen. Prekär ist allerdings, dass der EU-Plan den Vorrang für die grundsätzlich besonders geschützten Privathaushalte infrage stellt: „In Notfällen können die Mitgliedstaaten beschließen, der Gasversorgung bestimmter kritischer Gaskraftwerke Vorrang vor der Gasversorgung bestimmter Kategorien geschützter Kunden einzuräumen, sofern die Sicherheit der Elektrizitätsversorgung gefährdet sein könnte“, heißt es in dem Entwurf.
Dieser Passus bestätigt insbesondere Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der die bisher vorgesehene Priorisierung von Verbrauchern gegenüber der Industrie im Falle einer Gasknappheit erst am vergangenen Dienstag anzweifelte. Private Haushalt müssten auch „ihren Anteil leisten“, lautet das Credo des Grünen-Politikers.
Noch ist nicht klar, ob es bei 19 Grad bleibt. Diese Zahl steht in eckigen Klammern, was darauf schließen lassen könnte, dass sich dieser Wert bis zum kommenden Mittwoch noch ändern könnte.
Verschiebung des Atomausstiegs als Lösungsmöglichkeit
Der Staat, der laut dem Kommissionspapier ein knappes Drittel der in der Europäischen Union verbrauchten Energie absorbiert, soll mit gutem Beispiel vorangehen. Entsprechend sieht der Entwurf vor, dass die Mitgliedstaaten bereits ab diesem Monat für öffentliche Gebäude vorschreiben, dass dort die Innenräume in kalten Phasen auf höchstens 19 Grad geheizt werden dürfen.
Hierzulande weist der Bundestag den Weg: Büros werden im Winter nur noch auf 20 statt 22 Grad geheizt. Klimaanlagen sollen im Sommer nur noch auf 26 bis 28 Grad statt 24 bis 26 Grad herunterkühlen. Auch die Sitzungssäle werden im Winter nur noch auf 20 statt 22 Grad geheizt.
Was den Grünen gar nicht schmecken dürfte: „Das Herunterfahren von Kernkraftwerken wo möglich zu verschieben oder auf Atomkraft umzustellen“, wird im Anhang des Hauptdokuments expressis verbis als Option gegen die Energieknappheit aufgeführt. Innerhalb der Kommission hatte darauf unter anderem Binnenmarktkommissar Thierry Breton gedrungen – und kürzlich die Bundesregierung aufgefordert, den Atomausstieg zu verschieben.
Am kommenden Mittwoch soll es genauere Einblicke in die Ideenwelt der EU-Kommission geben. Allzu hohe Erwartungen sind sicherlich fehl am Platze.
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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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