Hochrisikoland – Neues aus Schweden Stockholm am Scheideweg?

Von Sören Padel

Als ich neulich gelesen habe, dass Schweden nun von deutscher Seite aus als Hochrisikogebiet definiert wurde („Vor nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Schweden wird gewarnt…“, so das Auswärtige Amt), wusste ich nicht, ob ich lachen sollte oder nicht. Kurz zuvor hatte ich einen Beitrag im schwedische ARD-Gegenstück SVT gesehen, in dem Professor Sönnerborg vom Karolinska Institutet (KI) beschrieb, dass es unmöglich sei, die aktuelle Omikron-Variante von einer harmlosen Erkältung zu unterscheiden. Wohl aber von der Influenza, da letztere wesentlich schwerere Symptomatik mit sich führe. Daher müsse mehr getestet werden (der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass das KI eines der bedeutendsten Universitäts-Krankenhäuser Europas ist und Sönnerborg so etwas wie der Drosten seiner Uni ist, nur mit dem Unterschied, dass Sönnerborg Infektiologe ist, also kein Labormediziner wie Drosten).

Und in der Tat, es wird nun mehr getestet. Da es keine 3G-Regeln gibt und bisher nur bei Reisen und Symptomen getestet wurde, gab es bisher, verglichen mit Deutschland, auch nur wenige Anlässe zum Testen. Dazu kommt, dass Omikron wesentlich ansteckender ist als die vorhergehenden Varianten.

Hoch ansteckend und hochgefährlich?

Ansteckender ja, gefährlicher – mit Blick auf die Schwere der Symptomatik eher weniger verwunderlich – nein. Während die Anzahl der gemeldeten Infektionen geradezu explodiert, ist die Anzahl der Intensivfälle im Verhältnis zum Sommer nur moderat angestiegen und liegt jetzt bei täglich 5 bis 15 neuen Einweisungen. Ähnlich sieht es bei den Todesfällen aus (3 bis 13 pro Tag). Bei beiden Werten müssen jedoch die Spitzen aufgrund der Melderoutinen runtergerechnet werden, so dass wir tatsächlich von etwa 10 neuen Intensivpatienten und 7 Verstorbenen täglich auszugehen haben. In Schweden sterben aufs Jahr gerechnet im Schnitt etwa 260 Personen täglich, im Winter um die 300.

Neue Maßnahmen

Aber nicht nur das deutsche Auswärtige Amt gerät in Panik. Auch in Schweden wurden die Daumenschrauben angezogen. So werden alle Veranstaltungen – mit oder ohne Impfpass – in geschlossenen Räumen auf 500 Teilnehmer begrenzt. In Gaststätten dürfen pro Gesellschaft nur noch 8 Personen zusammensitzen, die Gaststätten müssen um 23 Uhr schließen usw. Private Akteure im Kulturbetrieb und in der Gastronomie dürfen den Impfpass für den Zugang ihrer Lokale einfordern, was in der Praxis durchaus passiert.

Verglichen mit Deutschland ist das alles immer noch sehr moderat und man fragt sich, will man hier Panik schüren oder nur den öffentlichen Druck abbauen. Einerseits haben wir eine sehr schwache Minderheitsregierung (die Sozialdemokraten stellen zwar die Regierung, aber nur 100 der 349 Reichstagsabgeordneten). Andererseits haben wir eine bürgerliche Opposition, die eine Impfplicht für Kinder fordert und Beschränkungen für alle Versammlungen ab null (sic!) Personen. Ähnlich widersprüchlich sind die medialen Signale. Einerseits sind die meisten (wenn auch nicht alle) Journalisten der großen Medien im Klabauterbach-Modus. Andererseits werden sowohl in den sozialdemokratisch als auch in den bürgerlich dominierten Medien kritische Leserbriefe ungekürzt veröffentlicht. Diese stammen teils von gewichtigen Stimmen und werden eher wie Artikel publiziert, sind oft von hervorragender Qualität und finden daher auch seitens des Publikums Beachtung. Dazu muss gesagt werden, dass die prominente Darstellung gegensätzlicher Meinungen (pro und contra) in den schwedischen Seiten eine stark ausgeprägte Tradition hat. Oft sind es Halbseiten-Artikel auf der dritten Seite, also nichts, was irgendwo unter „Diverses“ versteckt wird.

Ähnlich schwer zu deuten ist das Agieren der Behörde für Volksgesundheit (FoHM). Anfänglich setzte diese strategisch auf die Erreichung der Herdenimmunität, wechselte später auf die Gen-Therapie als Ausgang aus der Epidemie. Jetzt wäre ja eigentlich eine goldene Lage, zur Herdenimmunität zurückzukehren, da Omikron (hohe Infektiosität, schwach Symptomatik) geradezu dazu einlädt. Aber auch unter der neuen Chefin der Behörde wird an der Verabreichung experimenteller Substanzen festgehalten, obwohl alle wissen und zugeben, dass diese nicht vor Ansteckungen schützt. Ist das einfach nur Hilflosigkeit? Schwer zu sagen…

Ausblick

Halten wir fest: Man kann ohne Impfpass nach Schweden einreisen, hier auch ganz gut, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, leben. Die Kinder gehen weiter in den Präsenzunterricht (ohne Masken, ohne Tests, ohne Mobbing). Der Einzelhandel ist auch in Zukunft von der Impfpass-Regelung per Gesetz ausgeschlossen und es besteht keinerlei Maskenpflicht. Wer kann, soll von zu Hause aus arbeiten, und die „Impfung“ wird weiterhin stark promotet.

Es bleibt also spannend. Spätestens, wenn Omikron (im Februar?) durch ist und mehr oder weniger alle dadurch eine natürliche Immunität erlangt haben, werden wir endgültig wissen, wie es weitergeht. Da in Schweden nur tatsächliche Krankheitsfälle (allerdings auch die mit sehr milder Symptomatik!) in die Inzidenz eingehen, wird hier also keine hohe Anzahl falsch-positiver Tests eine evidenzbasierte Strategie unterminieren.

Immer die Wahl am 11. September im Hintergrund und damit ein möglicher Regierungswechsel mit bereits angekündigter Änderung des Corona-Kurses, wird das ein spannender Wettlauf mit der Zeit. Wenn das Corona-Narrativ nicht im Frühjahr in sich zusammenbricht, werden wir hier spätestens im Herbst deutsche Zustände haben. Davor bewahre uns Gott!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Sören Padel lebt seit einigen Jahren in Schweden, im nördlichen Västerbotten. Er hat an der Hochschule auf Gotland (heute Universität Uppsala, Campus Gotland) Humangeographie und an der Mittuniversität (Sundsvall und Härnösand) Geschichte studiert. Außerdem ist er ausgebildeter Schülerassistent. In Schweden hat er u.a. in der öffentlichen Verwaltung und als Lehrer (Grundschule und Gymnasium) gearbeitet. Darüber hinaus war er als Tourismusunternehmer und Projektentwickler sowie als Übersetzer und Fachbuchautor tätig.

Auf seinem Portal corona-schwede.de betrachtet er die schwedische Strategie zur Corona-Krise mit deutschen Augen, aber mit gediegener Landeskenntnis, fern vom Elch. Wichtige Fragen sind u.a.: Was unterscheidet Schweden von Deutschland, was ist gut vergleichbar? Was sagen die Behörden? Welche Quellen gibt es? Alle Aussagen sind zu den entsprechenden Quellen verlinkt und ins Deutsche übersetzt, so dass man sie prüfen kann, ohne des Schwedischen mächtig zu sein. Machen Sie sich Ihr eigenes Bild von der Situation in Schweden! Lesen Sie auch sein neues Buch „Einführung in die Demografie„, aktuell mit der 7. Auflage.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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